Motor

Angebaggert

Gregor Josel

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem ersten Ausflug von BMW ­Motorrad ins Cruiser Segment scheinen es die Bayern diesmal wirklich ernst zu meinen mit dem Angriff auf dieses spannende und hochlukrative Segment. Die neue R 18 B trägt als Bagger-Derivat der Anfang 2021 vorgestellten R 18 das Gefecht nun direkt vor die Haustür der gewissen Motor­company aus Milwaukee und braucht sich dabei in keiner Weise fürchten.

BMW Motorrad hat ja eine gewisse Kontinuität in Sachen Skurrilität bei der Eroberung neuer Segmente. Wir erinnern uns an den legendären BMW C1 Scooter mit Dach, Scheibenwischer und Gurt, der erst nach Einstellung der Produktion sein Dasein als Ladenhüter ablegen konnte oder eben auch den ersten Cruiser aus Bayern, die BMW R 1200 C, den BMW im Herbst 1997 in das Motorradangebot aufnahm. Und der nebst kleinhubigerer Ausführung immerhin bis 2004 gebaut wurde. Der große Erfolg blieb allerdings aus, zu technisch raffiniert und vielleicht zu wenig „räudig“ war die R 1200 C im Vergleich zu den damals am Markt erhältlichen Cruisern aus den USA und Japan.

Inzwischen ist dieses Segment der Big Cruiser unaufhaltsam gewachsen und aktuell sind von den jährlich durchschnittlich eine Million verkauften Motorrädern knapp 400.000 dem Segment der großen Cruiser zugehörig! Umso erstaunlicher, dass sich diesen enormen Marktanteil grade mal ein paar Marken, allen voran Harley-Davidson, Indian Motorcycles und Co. aufteilen. So mag es ja auch nur reiner Zufall sein, dass BMW Motorrad nun sozusagen mit der neuen R 18 Cruiser Reihe zurückfeuert, nachdem Harley-Davidson ja nun auch durchaus gekonnt und erfolgreich mit der ebenfalls im Frühjahr vorgestellten Pan America im Kern-Segment von BMW Motorrad bei den Groß-Enduros mitmischen will. Sinn macht dieser Move von BMW allemal, denn das Potential hier, einen erheblichen Marktanteil von den eingesessenen Cruiser-Marken abzustauben, ist enorm. Und BMW Motorrad hat aus den Fehlern der 90er und 2000er gelernt und stellt mit der neuen BMW R 18 B einen Bagger der Sonderklasse auf die Straße, bei dem einfach alles stimmt und der eine langersehnte Alternative in dieser Klasse darstellt, vor allem am Harley- und Indian-dominierten US-Markt.

Die neue R 18 B ist auf Bayrisch ein Mordstrumm Motorrad, 110 Kilogramm wiegt allein der Big Boxer-Motor mit 1802 Kubik. Fahrbereit bringt die R 18 Bagger satte 398 kg auf die Waage und das mag man nicht nur in den USA, denn Konkurrentinnen wie die Harley Road Glide oder die Indian Roadmaster fahren in der gleichen Superschwergewichtsklasse. Beim Bagger, den BMW im Taunus auf die Teststrecke geschickt hat, haben die Designer die klassische Optik perfekt getroffen: Die Fluchtlinie von der fest am Lenker verbauten Verkleidungskuppel fällt verspielt ab bis zu den Koffern tief am Heck. Sehr traditionell also, wobei sich schon im Cockpit andeutet, dass viel Moderne im Spiel ist: Zu den vier klassischen Rundinstrumenten kommt ein 10,25 Zoll-Bildschirm. Und was zwar unbewusst aber trotzdem sofort ins Auge sticht, ist die außergewöhnliche Verarbeitungsqualität und Detailverliebtheit, die die BMW Ingenieure und Entwickler diesem Motorrad zu Teil werden ließen. Es gibt derzeit wohl keinen schöner inszenierten und verarbeiteten Motor, der die beiden Boxer-Zylinder seitlich und den Krümmer an der Vorderseite so perfekt inszeniert wie bei der R 18 und in dem Fall der Bagger-Variante. Kein einziges Kabel ist sichtbar, man kann sich an den kleinen, edlen Details, die man an jedem Eck und in jedem noch so versteckten Winkel der R 18 B findet kaum satt sehen! Selbst die Deckel der Bremsflüssigkeitsbehälter sind ein verchromtes kleines Gesamtkunstwerk.

Der Schlüssel bleibt in der Hosentasche, alles keyless, der Sitz ist gut konturiert, genügend hart, und liegt ziemlich tief. 720 mm, da kommen die Füße sicher auf den Boden, wenn auch hier der wohl größte Unterschied zu den amerikanischen Cruisern ist, deren Fußrasten üblicherweise doch deutlich weiter vorne liegen! Bei der R 18 B finden die Füße klar hinter den beiden Zylindern Platz, die wie satte Flügel seitlich in den Fahrtwind schneiden. Das ist anfangs etwas ungewohnt, doch es wird schnell klar, dass diese Sitzposition auch der deutlich dynamischeren Fahrbarkeit der R 18 B zuträglich ist. Eine Schräglagenfreiheit von 35 Grad lässt die neue R 18 B durchs Gebirge stechen wie kaum ein anderes Bike dieser Klasse. Mit der R 18 B hat man kaum Probleme mit großen Enduros bei gemeinsamer Ausfahrt mitzuhalten. Und auch wenn die Fußrasten dann doch aufsetzen – spätestens nach dem Kurvenausgang ist man dank des brachialen Schubs, mit dem der 1.803 ccm große Boxer via traumhaft schön verchromtem Kardanantrieb dank 158 NM Drehmoment am Hinterrad reißt, wieder schnell auf Augenhöhe mit dem Vordermann auf der Großenduro.

Wo die Bayern die Konkurrenz im für BMW Motorrad neuen Segment auf jeden Fall das Fürchten lehren, ist in Sachen Elektronik und Ausstattung: Vollintegral ABS, das Vorder- und Hinterrad gleichzeitig anspricht, automatische Stabilitätskontrolle ASC, Motorschleppmoment-Regelung MSR am Hinterrad, Tempomat mit radargesteuerter Abstandsregelung, LED-Kurvenlicht, elektrischer Rückwärtsgang, Berganfahrhilfe und automatischer Beladungsausgleich am hinteren Federbein. Da legen die Blau-Weißen der amerikanischen Konkurrenz die Latte extrem hoch, denn all das sind langjährig entwickelte und etablierte Technologien, die BMW schon aus den anderen Segmenten mitbringt und in der R 18 B zum Einsatz bringt. Herausragend ist auch das Soundsystem, ohne das ein Luxuscruiser unvollständig wäre. BMW hat sich für den Bagger mit den britischen Klangexperten von Marshall zusammengetan. Serienmäßig sind zwei Lautsprecher mit je 25 Watt Leistung in der Front verbaut. Mit weiteren Boxen und Subwoofer kann man den Rock’n Roll bis auf 280 Watt auffetten. Da sind Dezibel-Beschränkungen für das Abgassystem durchaus zweitrangig.

So bleibt am Ende nur ein einziger Kritikpunkt nach den ersten hocherfreulichen Kilometern im Taunus nahe Frankfurt: Die Bedienung der Heizgriffe, denn diese ist nicht so wie bei den meisten anderen Modellen mittels Knopf am Lenker zu steueren, sondern man muss mit dem durchaus sophisticated auftretenden Menürad erst in diverse Untermenüs und Einstellungen, um die Griffheizung steuern zu können.

Mit der R 18 hat BMW Motorrad Anfang 2020 bereits den Grundstein für einen weitreichenden Erfolg im Cruiser-Segment gelegt, mit der nun vorgestellten R 18 B haben die Bayern allerdings klar gemacht, wie ernst es ihnen diesmal mit ihren Cruisern ist. Und denkt man nur als Beispiel an den Einstieg in die Supersportklasse mit der S1000RR, ist einem sonnenklar, dass der Erfolg im Big Cruiser-Tech diesmal nicht lange ausbleiben wird.

BMW R 18 B
Motor: 2-Zylinder-Viertakt-Boxermotor
Hubraum: 1801 ccm
Leistung: 91 PS/158 Nm Drehmoment
Gänge: 6
Fahrwerk: Telegabel, Zweiarmschwinge mit Zentralfederbein
Bremsen: 300/300 mm Scheibe mit 4 Kolben-Festsattel
Sitzhöhe: 720 mm
Gewicht (fahrbereit): 398 kg
Tankinhalt: 24 Liter Preis: ab 32.800 Euro