AKUT

Kurt versucht’s nicht mehr

Als der WIENER vor unglaublichen 42 Jahren zum ersten Mal erschien, war ich 12 und hatte eine Alabasterhaut. Es war mein großer Wunsch, irgendwann für dieses Magazin zu schreiben. In diesem Winter werde ich 54. Ich schreibe für den WIENER und habe keine Alabasterhaut mehr.

Text: Kurt Molzer

Diese 42 Jahre haben aber noch viel mehr mit mir gemacht.

Meine Wangen und das Kinn werden schlaff. Langsam aber sicher bilden sich Hängebacken.

An beiden Nasenflügeln schimmern blau-rote Äderchen durch die Haut, rechts ist es ärger: Couperose. Das Maskentragen stört mich deshalb immer weniger. Die Pandemie kann von mir aus ewig dauern.

Am Oberkörper gibt das Gewebe nach. Ich bekomme Titten. Der Rücken zeigt an beiden Flanken – unterer Bereich – je drei große Falten. Wenn ich das Pech habe, noch 30 Jahre zu leben, werden sich diese Falten zu übereinander hängenden Lappen ausbilden. Eh schön.

Ich habe bedenklichen Zahnfleischschwund. Die Zahnhälse werden von Monat zu Monat deutlicher sichtbar. Vor zig Jahren habe ich mir das ganze Gebiss für ein Schweinegeld komplett sanieren lassen. Mein Maul ist die reinste Goldmine. Aber was hilft’s, wenn trotz Antibiotika die Bakterien im Zahnfleisch fröhliche Urständ feiern? Irgendwann ist das Zahnfleisch weg. Dann ist der Knochen dran. Und dann fällt mir das ganze Gold aus der Pappn und ich kann’s im Dorotheum verscherbeln oder zum Juwelier gehen und mir wie ein russischer Zuhälter für jeden Finger einen Ring machen lassen.

Der Arsch hängt immer mehr. Der Sack, kommt mir vor, geht auch mehr in die Tiefe.

Die Haut an den Knien gibt ebenfalls schön langsam der Schwerkraft nach.

An den Füßen, unterhalb der inneren Knöchel, bemerke ich – wie im Gesicht – Couperose. Das wird bald wie ein Heidelbeerstrudel aussehen da unten. Lecker.

Ich habe neuerdings erhöhte Speichelproduktion. Unter der Zunge bildet sich ständig ein kleiner Stausee, und wenn ich Liegestütze mache, atme ich einen Wasserfall aus.

Ich habe fortgeschrittene Osteochondrose (Veränderung von Knochen und Knorpeln) an der Halswirbelsäule. Der Nacken ist oft steifer als der Schwanz.

Ich habe, wie’s aussieht, chronische Gastritis. Kaffee und Alkohol nur noch in Maßen. Höchststrafe. Beim Frühstück sitze ich mit Haferflocken und Kamillentee da.

Kürzlich stand ich mit meiner Freundin (gerade 50 geworden, sieht aber zehn Jahre jünger aus) beim gemeinsamen abendlichen Zähneputzen im Badezimmer. Ich betrachtete mich eingehend im Spiegel und fragte sie: „Warum bist du ausgerechnet mit mir zusammen?“

Sie sah mich so von der Seite an und sagte: „Ich weiß auch nicht.“

Aber nun geht es darum, nicht noch unglücklicher zu werden.

Wie soll ich das anstellen?

Ich glaube, ich habe eine Idee: Ich könnte in noch größeres Elend eintauchen. Und dies wäre zu erreichen, indem ich öfter mit einem Kumpel aus Berlin telefoniere. Er ist in meinem Alter, hat aber eine 25 Jahre jüngere Freundin.

Neulich verriet er mir: „Ich kriege keinen mehr hoch.“

„Und warum?“, fragte ich.

„Weil meine Freundin gesagt hat, dass ich mit meinen hängenden Augenlidern wie ein Chinese aussehe. Sie wollte aber nie mit ­einem Chinesen ficken. Jetzt verlangt sie von mir, dass ich mich unters Messer lege.“

„Machst du’s?“

„Mir bleibt nichts anderes übrig. Sie hat gesagt, sie könnte jeden Abend fünf andere Typen für die Kiste kriegen.“

„Die muss ja total in dich verliebt sein.“

„Ist sie schon, glaub ich.“

„Und wie machst du‘s jetzt mit dem Ficken, ich meine bis zur Ausbesserung deiner fernöstlichen ­Augenlider?“

„So ne Scheiße, ich sag’s dir! Ich nehm Potenzpillen, die ich überhaupt nicht vertrag. Ich krieg davon Herzrasen, hohen Blutdruck, Schweißausbrüche, Schwindelattacken, rasende Kopfschmerzen. Alle Nebenwirkungen, die auf dem Beipackzettel stehen. Und hoch krieg ich ihn trotzdem kaum. Weil ich mittlerweile total blockiert bin.“

„Was sagt sie zu deinem Schlappschwanz?“

„Ich habe ihr gesagt, dass es mit ihrem Spruch über meine Augen­lider zusammenhängt. ­Worauf sie meinte, ich soll mich doch bitte nicht lächerlich machen.“

„Weiß sie, dass du die Pillen nimmst?“

„Nein, das macht’s ja eben noch schlimmer für mich! Ich hab irgendwie das Gefühl, als würde ich was Verbotenes tun, das ich vor ihr geheim halten müsste. Furchtbar belastend.“

„Dann sag’s ihr doch.“

„Niemals! Pauh, ich bin richtig fertig mit den Nerven. So eine wie Iris krieg ich nie wieder.“

„Du siehst inzwischen wirklich wie ein Chinese aus. Wenn du zu lange wartest mit der OP, verhängen dir die Lider den ganzen Augapfel. Abartig. Weißt du das eigentlich?“

„Leck mich am Arsch.“

„Ich kann mir auch denken, warum deine Freundin nie mit einem Chinesen ficken wollte. Chinesen können nämlich nicht lang. Hat mir eine Nutte in Hamburg erzählt.“

„Bist du ein Freund, oder was?“

„Nur ein Kumpel, und nicht einmal der beste. Spaß.“

Öfter so ein Telefongespräch, das würde mir helfen, da sind doch meine Titten und der Stausee unter der Zunge der reinste Klacks.


Kurt Molzer
ist eine der heißesten Aktien unter den deutschsprachigen Journalisten. Er war Chefreporter bei „Bild“ und „Bunte“, Chefredakteur von „Pent­house“ und ist auch den Lesern von „RAMP“ kein Unbekannter. Für den WIENER lässt der gebürtige und nun auch wieder hier lebende und arbeitende Buchautor seine Hochzeiten als „GQ“-­Kolumnist wieder aufleben. Allerdings in leicht veränderter Form.