AKUT

Keine Angst, es ist nur … das Weib

Manfred Sax

Gynophobie heißt die männliche Urangst vor der Frau, die bei Verdrängung in Hass umschlagen kann. Und die er nur los wird, wenn er sie konfrontiert.

Text: Manfred Sax / Fotos: Ricardo Cheroke

Zunächst die Entwarnung: Der Schlange auf dem Foto hier ist nichts passiert. Und Model Doris ist nicht ophidiophob, sie hat keine Angst vor Schlangen. Aber viele Männer haben Angst vor Frauen, sie sind gynophob. Außerdem sind Männer naturbequem, und der bequemste Weg, mit so einer Phobie umzugehen, ist Verdrängung. Und so entsteht also im Lauf eines Männerlebens der Misogynist, der Frauenhasser.

Aktuelles Beispiel: Ende April hatte der englische Premier Boris Johnson im Parlament wieder mal einen stotternden Tag. Das ist eigentlich der normale Boris. Aber diesmal saß ihm auf der Oppositionsbank Angela Rayner, Vizechefin der Labour Party, gegenüber. Sie trug einen Rock, und mehr brauchte sie nicht. Ein – bei Redaktionsschluss noch anonymer – Tory verständigte die Tageszeitung Daily Mail, Leibblatt der alten Konservativen, dass Ms Rayner a la Sharon Stone unterwegs gewesen sei, um den Prime Minister aus dem Konzept zu bringen. Stichwort Basic Instinct also, die gekreuzten Beine von Ms Stone beim Verhör, ihre berühmteste Szene. Selbstverständlich ergoss sich das Tagblatt unverblümt, und hier war es wieder einmal – das ganze, aus Frauenhass und Sexismus geschnürte Paket. Warum nur trug die Rayner, die in Abwesenheit ihres Chefs Keir Starmer in der ersten Reihe saß, nicht auch dessen Hosen? Und natürlich war der Aufschrei der Empörung darob inselweit, der Tenor der übliche: Die Männer müssen sich endlich ändern, meldete sich etwa Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon. Stimmt eh, müssen sie schon lange. Nur steckt hinter dem inhärenten Frauenhass eines Mannes die noch tiefer sitzende Angst vor ihr. Und wie geht das Unverdrängen von etwas, das er immer verdrängt hat? Nun, gelegentlich kann er das. Er hat seine angstfreien Momente, nur sind sie meist rar und immer kurz. Er braucht Glück.

Eigentlich will der Mann ja nur glücklich sein. Sein Pech ist, dass es nur einen Weg gibt, ihn glücklich zu machen. Sein Glück ist ein Kleinsturlaub im Minutenbereich. Drei bis zehn Sekunden mehr oder weniger ekstatische Wunschlosigkeit, die ein paar Minuten des Gehirnstillstands triggern, in welchen der orbitofrontale Cortex ausgeschaltet ist. Diese paar Minuten werden ohne Selbstreflexion, ohne Vernunft und ohne bewusste Entscheidungen Geschichte, er hat weder Kontrolle noch Ängste. Er hat also Glück. Anders gesagt: Er ist glücklich, wenn er gerade einen anständigen Orgasmus hat. Das ist happy. Kein Denken, keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur das hirnlose Jetzt. Und hirnlos bedeutet, dass dich nichts kümmern kann, nicht mal die Angst. (1) Natürlich geht ein simpler Orgasmus auch solo. Du kannst auf Pornhub die Milf deiner Wahl besuchen, nur macht das weder wunschlos noch glücklich. Es fehlt die Unverdrängung. Gay wäre auch okay, nur hilft das dem Gynophoben nicht weiter, der Andere ist so einer wie er, im wesentlichen ein Ersatzteillager. (Ja, der Schreiber hier ist der Überzeugung, dass die Kräfte, die da sind, anfangs die Frau erschufen, mit den besten Bausteinen perfekt geformt, dann den Mann mit den schäbigen Tools, die noch übrig blieben). Das ist wohl seine lebenslange Gram. Kurz: Um seiner Angst vor dem Weib Herr zu werden, braucht er ihre Präsenz, sie ist verkörperte Perfektion, sie muss nur sein, um sexuell zu sein, er muss einen hochkriegen. In seinen Augen ist sie sowas wie ein Engel, und wenn man in der Bibel blättert und dort mal ein Engel erscheint, sind dessen erste Worte immer: „Fürchte dich nicht …“ (2) Dort wäre anzusetzen. Um Ängste loszuwerden, muss man sie konfrontieren. Aber wie geht das?

So manch ein Psychologe rät zur Empathie, und mangelnde Empathie ist nie hilfreich, aber wer weiß schon, was die Frau will, sogar Sigmund Freud scheiterte an der Frage. Frau und Mann ticken anders, Frauen sorgen sich um Sachen, die Männer vergessen, Männer sorgen sich um die Sachen, an die sich Frauen erinnern. Die Frau ist Fleisch gewordene Natur, sie kann nicht verstanden werden, weil die Natur nicht verstanden werden kann. Wir schwärmen gern von der Schönheit der Natur, aber unter der Erdkruste lodert das Feuer, Eruption immer möglich. Daher jedenfalls: Du sollst mit der Frau nicht streiten; du kannst nicht gewinnen, weil das, was du sagst, für sie keinen Sinn ergibt; und umgekehrt. Sehr wohl aber kann so ein Streit entarten. In diesem Fall checke der Mann ihre Hände. Würgen sie seinen Hals, ist sie wahrscheinlich ­etwas unrund.

Will der Mann wirklich eine ­Erlösung von seiner Angst, bleibt nur die Arbeit an sich selbst, es braucht einen Willen zur Resignation. Tatsächlich hat er an dieser Resignation eine Menschengeschichte lang gearbeitet, nur war er sich dessen nie bewusst. Es hat mit sexueller Selektion zu tun, die eine Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung von Organismen spielt. Mit der ersten Zellteilung begann ein Prozess, dynamisiert durch den Wettbewerb unter Männern, der weibliche Organismen immer komplexer machte, also perfekter. Evolutionär gesehen ist es offenbar die Funktion des Mannes, die Frau zu ermächtigen. Das ist logisch. Und führt zu einer unausweichlichen Konsequenz: Sie möge die Rollen ergreifen, die immer der Mann innehatte, zumal der Misogynist, der immer alles tat, um sie im Zaum zu halten. Es werde Rollentausch. Dann kann er endlich weinen und schöne Kleider tragen, und wenn sein Schiff mal sinkt, ist er der Erste, der gerettet wird.


(1) Quelle: Come Together, WIENERonline, bit.ly/3viODJB; (2) Gilbert Morris