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Als Luxus nach Europa kam

Manfred Sax

Hier geht es um Seide, Gold und Wolle sowie den Pony-­Express auf der Seidenstraße, dessen Nachrichtenvermitt­lungs­potential der jungen Stadt Wien das Überleben rettete. ­Neugierig geworden? Dann nichts wie hinein in unsere Themenstrecke zum Luxus im Wandel der Zeit.

von Manfred Sax / Fotos: Getty Images

Es ist auch schon wieder 780 ­Jahre her, dass die mongolische Invasion Europas ausgerechnet vor den Toren Wiens ihr Ende fand. Die berüchtigte „goldene Horde“ des mongolischen Feldherrn Batu hatte die Siedlungen, die heute Wiener Neustadt und Korneuburg heißen, bereits geplündert. Aber Wien, die jüngste und nach Enns erst zweite anerkannte Stadt des Herzogtums Österreich, blieb verschont. Die – Tataren genannten – Mongolen brachen ihre Lager in der ungarischen Tiefebene ab und wurden nie wieder gesehen. 

Kolportierter Grund (1) für den unerwarteten Abzug der Horde war die Nachricht vom Tod des Herrschers Ögedei Khan; das erforderte die Präsenz aller Feldherren. Dass sie nicht wiederkehrten, hatte banale Gründe: Im kargen Europa des finsteren Mit­telalters gab es nichts zu holen. Der durch Kriege, Verfolgungen und Seuchen ausgepowerte Kontinent hatte nicht das zivilisatorische Niveau, geschweige denn eine Kultur, die einen Asiaten interessieren konnte. Die Nachfolger Ögedeis fassten „fettere und bes­se­re Ziele“ (2) ins Auge – China und die islamische Welt. Dort waren ältere Kulturen manifest, ein weit höher entwickelter Lifestyle, mit entsprechend interessanteren Dingen, die du nicht unbedingt zum Überleben brauchst, aber jedenfalls haben willst. Die Mongolen waren am Zenit ihrer Macht, ihr Einflussbereich erstreckte sich vom Pazifischen Ozean bis zur Donau. Viel wurde über ihre blutigen Feldzüge berichtet. Weniger Beachtung fand eine Konsequenz ihrer Expan­sions­politik: Der Ausbau und die Absicherung der sich über 6000 Kilometer erstre­cken­den Han­dels­route, die heute Sei­den­straße (besser: Seiden­routen) genannt wird. Die Straße des Luxus. 

Die Seiden­strasse führte über Samarkand, das Rom des ­Ostens. Die Karawanen mit Luxusgütern wie Seide, Gold und Teppichen waren ­Monate lang ­unterwegs. 

Dass die schönen Dinge aus dem Osten kamen, war schon in der Antike ein geflügel­tes Wort. „Ich kam vom fabelhaft reichen Osten nach Griechenland“, heißt es in der Tragödie „Bacchae“ von Euripides (405 BC). Referiert wurde der Ägypten-Feldzug der Perser unter Darius (6. Jh. BC). Das Wort „persisch“ war seinerzeit ein Synonym für „guter Geschmack in allen Dingen“. Darius plünderte Ebenholz und Silber in Ägypten, sowie Zedernholz im Libanon, um Paläste zu bauen. In den Handel gerieten auch Gold und Elfenbein, Beute aus Indien. Perser, so hieß es, mussten nur von neuem Luxus hören, um ihn haben zu wollen. Aus Persien selbst wurden (unter vielem anderen) ­Nischapur-Türkise, Kunst­hand­werke und Minakari-Emaillierungen in den Handel gepumpt. Als der Mazedonier Philip II (382–336 BC), Vater von Alexander dem Großen, seine Reichskassen auffüllen wollte, verschwendete er keinen Gedanken an Europa. Dort gab es nichts, weder Kultur noch Prestige noch ­Belohnung. Er ging nach Osten, wie später auch Sohn Alexander, der es nach Indien schaffte. Im Handel seither: Zinn, Kupfer, Blei, Elfenbein, Topaz, Lapislazuli, Gewürze usw. 

„Gib mir Luxus, und ich verzichte auf die Notwendigkeiten.“

Oscar Wilde

Als die Römer begannen, den Mittelmeerraum zu beherrschen, tauchte auch ein Wort für die schönen Dinge auf, das heute noch im Umlauf ist: luxuria, lateinisch für „Extravaganz“ bzw. „Exzess“. Die ­alten Römer sagten „luxuria“, wenn sie rebellisches Leben und sündigen Exzess meinten. Für Sokrates war Luxus „künstliche Armut“, während Zufriedenheit „natürlicher Reichtum“ sei.

Das Maß allen Luxus war aber Seide. Im zweiten Jahrhundert BC hatte China begonnen, Seide in den Handelsweg zu pumpen, im Austausch für Jade und Pferde. Ein Game-Changer. Seide machte Status, nämlich überall. Noma­den­könige unterstrichen damit ihre hohe Stellung. Roms High Society war nun imstande, ihren exotischen und extravaganten Geschmäckern nachzugeben, zum Teil unter Protesten puritanischer Gemüter. Seneca war entsetzt über die Popularität von Seide, einem allzu leichten Material, das weder die Kurven noch die Anständigkeit der römischen Ladies verhüllte. Und Plinius der Ältere stieß sich an den überhöhten Preisen des suspekten Textils: Was sollen die Kosten, wenn das Zeug nur den neureichen Röme­rinnen dient, damit sie in der ­Öffentlichkeit glänzen? Seide war lange Zeit ebenso begehrt wie tabu. Aber anno Christi Geburt trugen alle Reichen und Mächtigen der großen Mittelmeerstädte Seide made in China. Ein Boom, dem dann Kaiser Diokletian (284–305 AD) eine Steuerbremse auferlegte. Als ihm das Geld für weitere Expansion ausging, ließ er das Vermögen des Reiches ermitteln, um es zu besteuern. Für die Notwendigkeiten des Lebens war der Steuersatz niedrig, Lu­xusimporte – dazu zählten neben Seide und Gold auch Nahrhaftes wie Sesam, Kümmel und Zimt – wurden gemolken. Mit dem Glau­benstransfer seines Nachfolgers Konstantin zum Christentum ­begann das finstere Zeitalter. In Europa war Luxus nur noch ein Thema für die irdischen Vertreter Gottes, die Nutznießer vor allem Kirchen und Regenten. Wer sonst, außer Gott, habe Luxus verdient?

Auch das Polospiel kommt aus dem fernen Osten. Hier ein Fresko aus der Tang Dynastie.

Es mutet wie eine Ironie der Geschichte an, dass heute ausge­rechnet Europa als globale Hochburg des Luxus dasteht, man nehme Konzerne wie LVMH mit seinen Louis Vuitton-, Dior- und Celine-Brands. Noch in der Moderne schied Luxus die großen Geister. Für Karl Marx war Luxus das Gegenteil des natürlich Notwendigen. Oscar Wilde wiederum umarmte ihn voll und ganz: „Gib mir Luxus, und ich verzichte auf die Notwendigkeiten.“ Auch führ­te wachsender Wohlstand nach den Weltkriegen zu neuen Definitionen. Luxus kann etwas nicht notwendigerweise Materielles sein, das dir großen Genuss berei­tet; oder eine ebenso unge­wöhn­liche wie erfreuliche Aktivität. Aber Luxus begann mit der Sei­den­route, jener 6000 Kilometer langen Strecke, wo China heute seine „Neue Seiden­straße“ baut. Auch die Mongolen vor den Toren Wiens waren Luxus-verrückt, ihr Friedenspreis war immer Seide, Gold und Wolle. Sie wurden im Europa des 13. Jahrhunderts nicht fündig, hinterließen aber eine Innovation, die heute als Prototyp des Amazon-Imperiums von Jeff Bezos dasteht. Sie hatten auf der Seidenstraße den ersten globalen Postdienst entwickelt, den sogenannten „Pony-Express“. Ein Glücksmoment für Wien. Ohne Pony-Express wäre die Nachricht von Ödegei Khans Tod nicht rechtzeitig beim Feldherrn der Goldenen Horde eingelangt. Batu hätte die junge Stadt Wien dem Erdboden gleichgemacht.  

(1) Eintragung des italienischen Franziskaners Johannes de Plano Carpini, der vier Jahre später die Mongolei bereiste. (2) Peter Frankopan: The Silk Roads – a New History of the World, Bloomsbury UK 2015. Große Empfehlung!