Sex

Klitoris – Das Lustdings

Christian Jandrisits

Sie ist das Lustzentrum der Frau, war aber für die Wissenschaft nie sonderlich interessant. Weil die Klitoris beim Prozess der ­Fortpflanzung keine Rolle spielt, galt sie als überflüssig. Als Luxus, der Männer ­offenbar irritierte.  

Text: Manfred Sax / Fotos: Getty Images

Man nannte sie mal „Lustknopf“.  So ein Dings, kaum größer als eine magersüchtige Erbse, das unter einer Art Kapuze hervorlugt. Wem das Privileg widerfährt, es aus der Nähe zu betrachten, dem fällt auch auf, dass dieses Dings faszinierend glänzt. Heute weiß man, dass der Glanz von winzigen ölproduzierenden Drüsen besorgt wird, die den Knopf mit einer feuchten Membran bedecken. Das erlaubt der Kapuze, über den Knopf zu gleiten. Eine großartige Einrichtung, zumal sich annähernd 8000 Nervenenden in diesem Knopf versammeln – die größte Konzentration im Körper des Menschen, und doppelt so viele wie im Penis. 

Diese begehbare Klitoris ist Teil der Ausstellung „Amor Veneris“ im Palacio Anjos in Alges, Portugal. Im Juni 2022 unter Beteiligung von 40 Künstler:innen ­eröffnet, befasst sich die Ausstellung mit dem Stellenwert und der Bedeutung weiblicher Lust in Wissenschaft, ­Pädagogik und Gesellschaft.

In den Jahren der Sexuellen Revolution konntest du das nicht wissen. Die Sexualerziehung in der typischen heimischen Schule war auf eine Unterrichtsstunde im Rahmen des Faches Naturgeschichte beschränkt; diese Stunde hieß „Enthaltsamkeit“. (1) Detto die einschlägige Literatur. Im Buchhandel verfügbar nur das „Lexikon der Liebe“ von Ernest Borneman. Dort konnte man unter „K“ wie „Kitzler“ nachschlagen – (so wurde der Knopf in der Umgangssprache genannt) – und wurde per Pfeil auf „Klitoris“ verwiesen. Diese hätte man zwischen „Klitoridektomie“ (die chirurgische Entfernung der Klitoris) und „Klitorisspaltung“ (eine ostafrikanische Sitte, die die Frau ihre Orgasmusfähigkeit kostet) finden müssen, nur war da zwischen den beiden Horrorszenarien: nichts. Auch in Bornemans Liebeslexikon gab es nichts Nettes über die Klitoris. Das Lustzentrum der Frau fand dort simply nicht statt. Kurz: Wer mehr darüber wissen wollte, musste „an der Quelle“ forschen. Und an dieser Quelle gibt es halt nicht nur die Klitoris, sondern etliche weitere höchst faszinierende Dinger. Es gibt die inneren und äußeren Schamlippen, die heute Vulvalippen genannt werden, nämlich zu Recht; bei diesen Lippen gibt es nichts zu schämen. Dann ist da noch die Vagina, ein Kanal, der nun als „potenzieller Raum“ gefeiert wird. Nicht zu vergessen der sanfte Hügel über der „Klit“, Mons pubis oder auch Venushügel genannt – von der Wortwahl her die richtige Göttin. So eine Vulva ist nun mal phänomenal. Einen Forscher an der Quelle kann das nicht nur begeistern, sondern auch verwirren. Und so kam es denn auch früh zu jenem Witz, der heute noch gern erzählt wird: Was ist der Unterschied zwischen der Klitoris und einem Golfball? Richtig: Männer stört es nicht, wenn sie zehn Minuten lang einen Golfball suchen. 

Man möchte es nicht glauben: Wenn es um Erforschung der weiblichen Lust geht, steckt die Wissenschaft irgendwo hinterm Berg, und der Mann sowieso. Im Rahmen einer aktuellen Studie (2) im Jahr 2021 wurden die Teilnehmer mit einem Diagramm der Vulva konfrontiert und ersucht, die richtigen Orte für die diversen Dinge zu finden, die eine Vulva ausmachen. 37% der Befragten wussten nicht, wo die Klitoris anzutreffen wäre, noch war das Staunen über die Ignoranz groß. In Sachen Reproduktions-System sei das allgemeine Wissen halbwegs auf Stand, kommentierten die Forscher, aber die weibliche Lust scheint ein Stiefkind zu sein. Was auch mit mangelnder Neugier der Wissenschaft selbst zu tun hat. Es ist erst 24 Jahre her, dass die australische Urologin Helen O’Connell mittels Magnetresonanz-Technologie die ganze Klitoris entdeckte. Dass sie nicht nur jener mit zigtausend Nervenenden gespickte Knopf ist, sondern weiters via zwei Strängen die gesamte Vulva umarmt. Nur sind die Stränge hinter den Vulvalippen versteckt. Der „Knopf“ ist lediglich die sprichwörtliche Spitze eines Eisbergs, über 90% der ganzen Klitoris führen ins Becken, umrahmen die Vagina, sind ein Geflecht aus Blutgefäßen und – weiteren 15.000 – Nervenenden, stationiert in erektilem Gewebe. Die Findung erlaubte die folgliche Entsorgung des „Wissens“ von der Existenz eines vaginalen Orgasmus, der da neben dem wesentlich leichter erfahrbaren klitoralen Orgasmus zu genießen sei – und angeblich heftigere Sensationen im weiblichen Körper auslöse. Mitnichten. Der vaginale Orgasmus ist im Kern ebenfalls ein klitoraler. ­Womit immerhin die Aussage der frühen Sexforscher (William H.) Masters und (Virginia E.) Johnson (3) – es gibt keinen vaginalen Orgasmus – rehabilitiert war, wenn auch nur zum Teil. Die beiden Forscher hatten angenommen, der Orgasmus werde beim Geschlechtsverkehr durch ­Reibung des Penis am Klitoriskopf getriggert.

Die Klitoris selbst steht dank Ms O’Connell heute supercool da. Das eine anatomische Detail des Menschen, das ausschließlich der Lust dient. Ihrer Lust, unabhängig vom ganzen System der Reproduktion. Frauen müssen keine Lust haben, um ein Kind zu kriegen. Aber sie haben jedes Recht, zu hinterfragen, warum so eine essenzielle Information das ganze 20. Jahrhundert über unentdeckt blieb. Warum hat die Anatomen – vorwiegend Männer – weibliche Lust offenbar nie ausreichend interessiert? „Die Klitoris“, meldete sich die amerikanische Sexerzieherin Betty Dodson, „ist das weibliche Sexorgan, und die Tatsache, dass uns das nicht gesagt wurde, als wir Kinder waren, ist verheerend. Wir wuchsen ohne Information über das Lustzentrum unseres Körpers heran.“ (4)

Ja, die Klitoris ist rein in ihrer Aufgabe. Und wird heute von sinnlich geeichten Autorinnen enthusiastisch gefeiert. „Gott  gab der Frau eine Klitoris, ein kleines Stück Fleisch mit nur einem Zweck – transzen­den­ten sexuellen Genuss,“ heißt es bei der US-Autorin Lisa Valdez. „Warum also glauben manche Menschen, dass Gott nicht gemeinsam mit Sex in einem Satz erwähnt werden soll?“ (5) Nun, nicht mal sinnesfreudige alte Manuale geben hier positive Auskunft. Im berühmten zweiten Teil des Kamasutra wird zwar in der Abteilung nicht-penetrativer Sex Etliches geschildert, beim Blowjob werden gar acht Varianten für den Genuss empfohlen, die Technik Cunnilingus aber als „Sex in der Art der Krähe“ geächtet, inklusive Empfehlung für den Mann: gönne deiner Gattin nie einen Cunnilingus. Warum? Weil das die Gattin in eine Kurtisane verwandelt, die sich dann von Männern unterer Klassen bedienen lässt. Womit zumindest angedeutet wurde, dass Frauen den Cunnilingus ausgesprochen schätzen. 

Müßig zu erwähnen, dass jenseits von Sexpositivität auch Frauenhass virulent war und ist, dass etwa vor dem 20. Jahrhundert das 19. Jahrhundert passierte, als Ärzte noch die Klitoris chirurgisch entfernten, um Onanie, Nymphomanie und „Hysterie“ zu bekämpfen. Und die eine Rechtfertigung seitens der Medizinmänner ob der angewandten Ignoranz in Sachen weibliche Lust war stets, wenn überhaupt, dass die ­Klitoris in der Reproduktion keine Rolle spielt, sie sozusagen „überflüssig“ sei. Eine Nichtnotwendigkeit. Also so etwas wie Luxus. Eine Frechheit, in Wahrheit.  

Diese begehbare Klitoris ist Teil der Ausstellung „Amor Veneris“ im Palacio Anjos in Alges, Portugal. Im Juni 2022 unter Beteiligung von 40 Künstler:innen ­eröffnet, befasst sich die Ausstellung mit dem Stellenwert und der Bedeutung weiblicher Lust in Wissenschaft, ­Pädagogik und Gesellschaft.  

● (1) BRG Wels, Naturgeschichte, 1969.
(2) Studie: Public Understanding of Female Genital Anatomy by Dina El-Hamamsy et al, veröffentlicht in International Urogynecology Journal, 2021.
(3) Masters and Johnson, in Kinseyinstitute,
bit.ly/3MobOsS
(4) Betty Dodson, dodsonandross.com
(5) Lisa Valdez, bit.ly/3RXVLTO