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Kolumne im Fieber – Mein Hang zum Viertwagen – Mercedes 240 D

Christian Jandrisits

Götz Schrage war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher. – Kolumne im Fieber – Mein Hang zum Viertwagen – Mercedes 240 D ….

Ich schreibe hier, weil ich gezwungen wurde. Dieser Text wurde mir abgerungen und entspricht mehr einer Nötigung in 5700 Zeichen. Und ferner sollten Sie wissen, dass ich diese Kolumne unter Einfluss von Homöopathie und veganem Nasenspray schreibe. Meine Krankmeldung, Männerschnupfen im Vollbild, wurde ignoriert. Alles was ich wollte, war ein Monat Auszeit, einen WIENER ohne Schrage. Ich gehe da sicher kaum wem ab. Leider sieht das der pedantische Franz J. Sauer gar nicht so und so tippe ich jetzt in die Tasten und bestehe auf verminderter Schuldfähigkeit. Ganz egal, was kommt, ich habe Sie gewarnt! 

Wirre Träume sind ein Teil der Symptomatik. Ich gerate in Situationen der großen Aufregung, um mich dann nach langem Kampf in die gelöste Harmonie zu träumen. Vorletzte Nacht träumte ich von einem völlig überheizten Wagen. Ich tastete mich mit schweißnassen Händen erfolglos die Tür entlang, auf der Suche nach den elektrischen Fensterhebern, bis ich schließlich diese kühle Kurbel fand. Mit der rechten Hand hielt ich mich mit letzter Kraft am Lenkrad fest,  und begann mit der wunderbar, kühlen Kurbel zu kurbeln, bis ich das Fenster exakt so weit geöffnet hatte, wie ich es schon immer geöffnet gehabt haben wollte. (Ist das noch deutsch, oder ist das noch Fieber?). Zügig fuhr ich im Traum durch die Nacht. Statt hilflos an Knöpfen zu scheitern, erkurbelte ich mir die totale Kontrolle, kühle Luft an den Schläfen, aber kein unangenehmer Luftzug in den Augen. Und dann wachte ich auf  und mein erster Gedanke war: So ein Auto möchte ich! 

Heute Morgen wachte ich wieder auf nach einer anstrengenden Nacht und ich erinnerte mich wieder an meinen Traum und notierte alles auf dem karierten Block, den ich mir extra vorbereitet hatte. In Träumen bastle ich mir stets eine Welt in Harmonie, ohne peinliche Kompromisse, dafür mit Stil und Würde. Ich hatte mich in eine Welt zurückgeträumt, in der Diesel und Turbo zwei Worte waren, die völlig aneinander vorbei lebten. Frei von Peinlichkeiten wie sie  Familienkutschen mit zwei Turboladern darstellen. Ein Diesel war ein Diesel und ein Diesel war in erster Linie gemütlich und dann natürlich verlässlich. Es war die Welt meiner Kindheit, von der ich da träumte. Wir spielten Auto-Quartett am Schulweg in der Straßenbahn. Ich war der Beste und  merkte mir alle Karten, weil ich wie Rainman war, lange bevor es Rainman gab. Und in meinem Traum saß ich da in der Straßenbahn am Weg zur Schule und am Weg zum Sieg und plötzlich hatte ich diese Karte in der Hand auf der stand „V10 Diesel, Turbolader“. Mit einem Schrei schreckte ich auf und saß da, schweißgebadet aber immerhin mit einer weiteren Erkenntnis. Als Viertauto möchte ich einen Diesel ohne Turbo, und ohne elektrische Fensterheber. 

Wir hatten es ja nicht leicht als Kinder. Außer dem Auto-Quartett und dem Lederfußball, der bei Regen immer so schwer wurde, und ich nahm viele, viele Kopfbälle, gab es ja nichts für uns. Doch jede Kindheit hat auch ihre gute Seiten und jedes Autoquartett hatte seine guten Karten. Diese Karten, wo irgendetwas herausragend war. Sei es der Hubraum, das Alter, die Höchstgeschwindigkeit, oder die Anzahl der Zylinder. Man musste die ganz starken Karten spielen, wenn man sie brauchte, oder eben die mittelstarken Karten, wenn sie reichten. Zwölf Zylinder zum Beispiel, da gab es kein Verlieren. Ein würdiger Benziner wie ein Joker, den man mit Stolz ausspielte, als würde einem das Auto auf der Karte gehören. 

Überhaupt war es viel einfacher, sich zu orientieren, damals. Unsere Kindheit war gewissermassen mehr behütet. Keine bärtigen Männer in Frauenkleidern traten beim Eurovisions Songcontest an und gewannen auch noch. Gewonnen wurde schon, aber von Udo Jürgens und der war rasiert und trug einen dunklen Smoking mit schwarzer Fliege. Wobei für das Schwarz der Fliege kann ich mich nicht verbürgen, weil ich saß bei der Nachbarin aus der 3er Stiege vor dem Schwarzweiß-Fernseher mit Zimmerantenne. Obwohl, ich lehne mich jetzt aus dem Fenster, die Fliege war sicher schwarz, weil Udo Jürgens hatte Style und Stil. Das zu erkennen, dazu braucht man kein Farbfernsehgerät. 

Ich hatte mich in eine Welt zurückgeträumt, in der Diesel und Turbo zwei Worte waren, die völlig aneinander vorbei lebten. Frei von Peinlichkeiten wie sie  Familienkutschen mit zwei Turboladern darstellen.

Götz Schrage

Ich habe Udo Jürgens dann gesehen. In echt gesehen, meine ich. Wir hatten Schulwandertag und waren am Kahlenberg. In Rucksäcken Wurstbrote und dreieckiges Sunkist mit Strohhalm. Kein Geld für Restaurants, aber es gab ein Restaurant am Kahlenberg und vor eben diesem Restaurant stieg Udo Jürgens aus seinem dunklen 600er Mercedes. Dem Auto der Könige, Präsidenten und rasierten Song Contest Gewinner. Wir erkannten ihn sofort, auch ohne Smoking, aber keiner von uns machte Fotos. Entweder, weil wir zu viel Respekt hatten, oder das Handy mit Fotofunktion noch nicht erfunden war, so genau erinnere ich mich nicht mehr. 

So ein 600er Mercedes ist schon ein besonders eleganter Benziner, aber mir viel zu schnell, um bei den geträumten Kriterien zu bleiben. Mir fehlt einfach ein richtiger Diesel zum Glück. Manchmal packe ich drei Maria Theresien Taler aus meiner Altersvorsorge in meine kleine Blechbrotdose, wickle ein Handtuch darum und schüttle, nur um wenigsten den Sound zu haben, von dem Auto, das ich bis jetzt noch nicht besitze. Ich glaube, ich möchte etwas Langsames. Quasi ein Auto zum Entschleunigen und das ist wahrscheinlich billiger als auf Kur zu gehen, oder in Therapie, wie es andere Männer in meinem Alter tun. Ich möchte ein langsames Auto mit einem Dieselmotor ohne Kurbeln und es soll verlässlich sein. So verlässlich wie ich. Mindestens. Ich glaube es wird ein Mercedes 240D auf den kann man sich wirklich verlassen mit seinen 70 PS. Und so gesehen hat diese erzwungene Kolumne doch auch ihr Gutes. Ich weiß zumindest, was ich möchte und Sie wissen es jetzt gleich auch. Ich möchte in naher Zukunft mit einem 240 D von Drosendorf nach Schrems fahren. Über mäandernde Bundesstraßen niedriger Güte und im Wissen ganz sicher anzukommen. Egal ob ich von Drosendorf nach Westen starte, oder nach Osten. In beiden Fällen bringt mich der Mercedes ans Ziel. Über die Ostroute halt 300 Tage später. Aber das ist mir egal, ich werde da sitzen in meinen karamellbraunen Sitzen und den Luftstrom des Seitenfensters mit der Kurbel regulieren. Die Zukunft wird toll. Ganz toll. Glauben Sie mir das bitte.