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Die Rache der Radfahrer – Karma und so – Die Fahndung

Christian Jandrisits

GÖTZ SCHRAGE war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.Die Rache der Radfahrer

Kürzlich cruiste ich im friedlichen Stadt Tempo durch meinen Bezirk. Die Sonne schien, die Musik war geschmeidig und meine Laune bestens. Zweimal um die Ecke und ich wäre daheim gewesen. Unversehrt und unbeschädigt wäre ich daheim gewesen, wohlgemerkt. 

Eine dunkle Frau in einem bunten, knöchellangen Kleid mit zwei halbdunklen Kindern an der Seite querte den Fußgängerübergang. Theoretisch hätte ich nur aufs Gaspedal tippen müssen und hätte den Zebrastreifen vor ihnen gequert. Aber das tut man nicht. Ich tue es jedenfalls nicht. Die Kinder könnten erschrecken, die Frau könnte erschrecken und so streichelte ich mit meinem rechten Fuß zart über das Bremspedal, um langsam genug auszurollen, bis ich schließlich stillstand. 

GÖTZ SCHRAGE

Ein bis zwei Sekunden war ich stolz auf mich, dann verdunkelte sich meine Heckscheibe und ich hörte einen dumpfen Krach.  Auf meinem Kofferraum lag ein uniformierter Radfahrer. Keiner von der Exekutive, nicht so eine Art Uniform, sondern von einem der großen Essenszusteller. Die mit den großen Rucksäcken, die ich besonders im Winter und bei Schlechtwetter bewundere für ihre Härte und für ihre Nerven, sich gegen Regen und Schnee zu stemmen. Persönlich für mich habe ich da noch nie bestellt, aber schon öfter für Freunde Essen entgegengenommen. Wenn ich dann zwei Euro oder mehr Trinkgeld gebe, sind die Fahrer immer so verdächtig dankbar. So als sei das keine Selbstverständlichkeit mit dem Trinkgeld und so.

Mein unbestellter Fahrradbote stand schon wieder. Passiert war ihm nichts. So deutete ich seine Gesten. Immerhin. Verständigung auf deutsch  oder englisch war absolut nicht möglich, aber  durch angedeutete gymnastische Übungen demonstrierte er mir seine körperliche Unversehrtheit. Alles war OK. Alles bis auf mein Heck und sein Handy. Das Handy war in einem hohen Bogen aus der Halterung geflogen so als ob mich eine Taube überholt hätte. Und mein Heck hatte einen großen Kratzer vom Fahrradlenker und ein paar kleinere Dellen. Nicht sehr erfreulich und um meine gute Laune war es geschehen, trotz der geschmeidigen Musik. 

Fahrräder haben keine Nummernschilder. Und man darf keinen Fahrer festhalten gegen seinen Willen – und mit seinem Willen konnte ich ihn schwer festhalten, weil wir uns ja kaum kannten. Einen Ausweis hatte er nicht dabei, soweit ich ihn verstanden hatte. Dafür zeigte er mehrfach mit dem Finger auf mich und wiederholte immer das Wort “Freno, Freno!”- “Bremse” sagte einer der Passanten, die immer dabei sind, wenn es etwas zu sehen gibt. “Auf afghanisch?”, fragte ich. “Nein auf italienisch”, antwortete der Passant und dann war er weg und der Fahrer auch. 

DIE PLANETENRETTER IM SATTEL

So weit, so normal ist das. Wahrscheinlich werden die Radfahrer unter den Lesern finden, dass mir das recht geschieht, weil ich schließlich immer so hässlich schreibe über die Planetenretter im Sattel und so. Vielleicht war das ja ein bezahlter Stuntman, der geschickt wurde, um sich zu rächen wegen meiner Witze über die Pop-up Radwege und überhaupt? Wie auch immer, es wäre langweilig, würde meine Kolumne jetzt zur Kummerecke verkommen. Ich brauche einen Spengler und kein Mitleid. So viel ist sicher. 

Lassen wir diesen illegalen Fahrer, der wahrscheinlich einen Teil seines Verdienstes abdrücken muss, damit er für einen anderen halblegalen Botenfahrer fahren darf, ziehen und erteilen wir ihm die Absolution. Was eigentlich mein Thema ist – und unser aller Thema sein sollte – ist die Verantwortungslosigkeit des Unternehmens und der Ärger über  die Entwicklung der Zeit, die das alles so zulässt, wie es gerade mit uns passiert. Da vertrauen hunderttausende Kunden sich einem Unternehmen mit “mehr als zweitausend Fahrern” (so steht es im Mail) an bei so etwas Wichtigem wie der Nahrungsbeschaffung und dann hat dieses Unternehmen keinen Ort der Verantwortung. Keinen Kundendienst, wo man vorsprechen kann. Ja, nicht einmal ein ausgelagertes Call-Center. Zu teuer, wahrscheinlich, wenn man an die Börse will, oder, schlimmer noch, bereits an der Börse ist. Scheiß auf die Kunden, wo ist mein Bonus bitte?  Darüber sollte die Erste Allgemeine Verunsicherung einmal einen Song schreiben. 

Die Telefonnummer von Scarlett Johansson finden Sie leichter heraus, als die eines Verantwortlichen bei dieser großen Firma. Es wird einem empfohlen, sich zu registrieren, damit man einen Account anlegt, um im Supportbereich den Support zu ersuchen, einen anzuhören. Wenn man das alles getan hat, bekommt man eine vorgefertigte Antwort: Momentan seien so viele Anfragen, und es werde zu Verzögerungen mit dem Antwort-Mail kommen usw..  24 Stunden  später bekam ich dann eine Art Antwort. Meine Bitte um Rückruf wurde ignoriert. Stattdessen wurden mir Aufgaben gestellt, wenn ich bei der Polizei eine Anzeige machen würde, dann wären sie bereit, eine weitere Mail von mir zu lesen. Unfassbar eigentlich, dass sich das die Menschen generell gefallen lassen. Unternehmen wie dieses wollen unser Geld verdienen, verstecken sich aber hinter Mails, die von irgendwo auf der Welt kommen können. Hätte ich schon jemals dort bestellt, würde ich es ab jetzt sicher nie mehr tun. – Nicht einmal dieser Triumph wird mir jetzt vergönnt sein.

Jetzt wo ich das alles schreibe, muss ich mich wieder neu aufregen. Vielleicht verzeihe ich dem Fahrer doch nicht. Vielleicht wird diese Kolumne doch zur persönlichen Kummerecke und ich bitte meine LeserInnen um Mithilfe. Immerhin kann  ich den Fahrer ziemlich genau beschreiben. Zirka 175cm groß, dunkler Teint, kurze dunkle Haare und er trägt einen großen, gelben Rucksack. Bitte verständigen Sie mich unverzüglich, wenn Sie diesen Mann sehen. Ich komme dann sofort. Vielen Dank.