AKUT

DER GOLDENE STUSS (Glück durch Schadenfreude)

Christian Jandrisits

Es muss nicht immer alles schön sein. Manche ­Genüsse sind einfach nicht salonreif. Damit ­meinen wir jetzt nicht BDSM und Marihuana. ­Sondern Schadenfreude. Warum ergehen wir uns so gern in dieser „bösartigen“ Emotion? Sind wir alle tendenziell ­toxisch? Oder ist ­„Scha­denfreude ist die schönste Freude“ vielleicht doch nicht so ein Stuss?

Text: JAKOB STANTEJSKY

Schon mal von Oxytocin gehört? Es handelt sich um ein Hormon, das unser Gehirn produziert. Sein Ruf ist ausgezeichnet – aus gutem Grund. Denn schon bevor ein Mensch auf die Welt kommt, spielt Oxytocin eine große Rolle in seinem Leben. Unter anderem ist es nämlich dafür zuständig, dass die Wehen einsetzen. Doch damit nicht genug. Die Muttermilchabgabe wird ebenfalls von dem Neuropeptid positiv beeinflusst. Doch nicht nur Körperfunktionen fallen ins Aufgabengebiet von „Big O“. Die Mutter-­Kind-Bindung profitiert von der Ausschüttung des Hormons ebenso wie Liebe, Vertrauen und Lust zwischen Erwachsenen. Auch beim Orgasmus gönnt das Gehirn uns eine fette Dosis Oxytocin – deshalb ist man danach auch so relaxed und müde. So, nachdem wir jetzt alle endgültig im Oxytocin-Fanclub sind, ist es an der Zeit, die Verbindung zum Thema wiederherzustellen.

Schadenfreude zieht eben…

Denn es ist natürlich doch alles wieder nicht ganz so einfach. Will heißen, dass Oxytocin auch seine dunklen Seiten hat. Dass es tief mit unserem sozialen Verhalten verwoben ist, ist schon lange bekannt. 2009 hat eine Studie aber konkret festgestellt, dass es Zusammenhänge mit Schadenfreude und Neid gibt (1). 56 Testpersonen nahmen teil, die einen bekamen Oxytocin über die Nase verabreicht, die anderen ein ­Placebo. Danach wurden Glücksspiele um Geld gegen Fake-­Teil­nehmer gespielt. Die Oxytocin-gedopten Kollegen empfanden bei einem Sieg mehr Schadenfreude und bei einer Niederlage mehr Neid als die Placebo-Verkoster. Es ist jetzt nicht wahnsinnig überraschend, dass in einem so unvorstellbar komplexen Werkl wie dem menschlichen ­Gehirn nicht alles nur schwarz und weiß ist. Da ist nicht das eine Hormon nur für Katzenbabies zuständig und das andere ausschließlich für Hassverbrechen. Aber es zeigt doch, dass Schadenfreude vielleicht genauso zu unserem zwischenmenschlichen Verhalten gehört wie Treue oder Liebe.

Wer kann schon von sich behaupten, niemals Schadenfreude zu empfinden? Ist ja auch keine Schande. Schließlich wird uns von Kindesbeinen an vorgelebt, dass sie, wenn schon nichts anderes, dann zumindest lustig ist. Egal ob Tom von Jerry vorgeführt und vermöbelt oder Donald Duck zum dreitausendsiebenhundertundvierundneunzigsten Mal als beispielloser Pechvogel glänzt. Wer „funny fail videos“ bei Youtube eingibt, bekommt zahllose Ergebnisse ausgespuckt, von denen manche mehr als hundert Millionen mal angeklickt wurden. Und wie schön ist es bitte, wenn Donald Trump der Wind von hinten in seine Haarpracht fährt und den eitlen Ex-POTUS vor den Augen der Öffentlichkeit zum Gockel in Verzweiflung macht? Sind wir Menschen uns doch mal ehrlich: Schadenfreude taugt uns halt.

Aber irgendwo ist halt die Grenze. Nur wo? An den Missgeschicken des zugegebenermaßen nicht allzu liebenswürdigen Mr. Trump kann man sich in Gesellschaft oder gar auf einer öffentlichen Plattform, sei es Fernsehen oder Zeitung, weiden – niemand wird es einem verdenken. Alte Zeichentricksendungen findet inzwischen manch ein Moralapostel schon barbarisch. Und spätestens wenn man selbst das Opfer ist, dann ist Schadenfreude böse. Verständlich, fühlt sich halt nicht so cool an, wenn andere auf den eigenen Missgeschicken herumreiten. Das muss auch nicht sein. Es tut niemandem weh, wenn man in sich hineingrinst, weil der Kellner auf einer Bananenschale ausgerutscht ist und dem feinen Herren die Frittatensuppe aufgesetzt hat. Aber herumzuschreien, dass alle mal herschauen sollen und ihn publikums­heischend auszulachen – das ist eher ein beschissener Move. Doch Schadenfreude zu empfinden bedeutet ja nicht zwangsläufig, sie allen Umstehenden unter die Nase zu reiben.

Bruce AIlmächtig. Nicht nur Cineasten genießen es vorzüglich, wenn Bruce Nolan (hinreißend gespielt von Jim Carrey), neuerdings mit göttlichen Kräften versehen, seinen gemeinen Widersacher …

„Natürlich kann Schadenfreude Stuss sein. Aber dank Biochemie ist sie selbst dann zumindest der goldene Stuss.“ 

Leider ist das mit dem unter die Nase reiben halt heutzutage so einfach. Selbst auf die Gefahr hin, dass das jetzt wie eine Boomer-Tirade à la „Soschl Midja ist der Untergang des Abendlands!!!“ klingt, kann man nicht verleugnen, dass wir uns online deutlich hemmungsloser gehaben als „irl“, wie es so schön heißt. Stichwort: Hasspostings. 2016 erklärte uns Neurobiologe Gerald Hüther im WIENER 415: „Hass ist eine Strategie zur Bewältigung von Angst […] Im direkten Austausch mit Menschen ist es unwahrscheinlicher, dass man mit solchen Hassausbrüchen durchkommt und sich anschließend erleichtert fühlt. Aber im Netz kann die andere Person ja nichts entgegnen.“ Und er hielt auch fest: „Der Hintergrund ist immer der gleiche: Man hat Angst, weil man sich bedroht fühlt. Wenn man diese Angst auf diese Art und Weise abarbeiten kann, dann geht es einem besser.“ Dass unser Gehirn uns in bestimmten Situationen mit Hass reagieren lässt und uns dann dafür belohnt, ist also eine Funktion und niemandes böser Wille. Social Media entfernt aber die Konsequenzen aus der Rechnung und fördert somit den übermäßigen Ausdruck von Hass – weil die Belohnungsausschüttung gibt es trotzdem jedes Mal.

Schadenfreude kann eng mit Hass verwandt sein. Wenn das Objekt meines Hasses in irgendeiner Form kassiert, taugt mir das natürlich. Und wenn ich jetzt frauenfeindlicher Hassposter aus Leidenschaft bin, lasse ich natürlich die ganze Welt wissen, wie lustig es ist, dass Sigi Maurer ­online belästigt wird. Denn sie steht ja für etwas, das mir Angst macht. Schadenfreude und Hass gehen hier Hand in Hand. Also immer her mit dem chemischen Gut-Gemacht-Cocktail, liebes Gehirn!

In dieser Form ist Schadenfreude natürlich oasch. Kann man nicht anders ausdrücken. Aber dieses Image hat sie vor allem deshalb, weil sie mit genau solchen lauten Großmäulern verbunden wird. Bestes Beispiel aus der Popkultur: Nelson Muntz aus den Simpsons. Wem der Name jetzt nichts sagt – das ist der Rowdy, der in jeder Situation auftaucht, wo es jemanden auszulachen gilt, mit seinem Wurstfinger zeigt und „Ha-ha!“ schreit. So stellen wir uns den durchschnittlichen Schadenfreudigen vor. Doch dabei handelt es sich dann schlicht um einen unbeherrschten Vollkoffer.

… Evan Baxter (alias Steve Carell) per Telepathie zur lustigsten versauten TV-Ansage aller Zeiten veranlasst. Gegen dessen Willen natürlich. Und am Dopamin-­Ausstoß von Bruce Allmächtig  naschen wir alle ein wenig mit.

Genau wie Hass seine tief im Menschen verwurzelten Funktionen hat, ist es auch bei der Schadenfreude so. Ja, sie kann aus Gefühlen wie Abneigung oder Aggression entstehen: Wenn mein Rivale ein Hoppala erleidet, gibt mir das eine gewisse Befriedigung und mein Mitleid hat mal Pause. Aber sie kann auch eng mit dem Gerechtigkeitssinn gekoppelt sein. Wenn ein von mir als Bösewicht (egal ob es sich dabei um den Mobbing betreibenden Klassenkollegen oder Adolf Hitler höchstpersönlich handelt) wahrgenommener Mensch eine gute alte Portion Karma abkriegt, freue ich mich. Ist das schlimm? Und selbst wenn es das wäre: Ich kann gar nicht anders. Denn durch Magnetresonanztomographien wurde nachgewiesen, dass Schadenfreude das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert und dort dann Dopamin gegönnt wird (2). Das Ganze funktioniert übrigens nicht nur bei uns Menschen so, sondern auch bei Schimpansen (3). Die Schadenfreude steckt verdammt tief in unserer Evolution drin und erfüllt auch nur ihre soziale Funktion. Sie steht in Verbindung zu einem Hormon, das zwischenmenschliche Beziehungen orchestriert. Unser Körper belohnt uns dafür, sie zu empfinden. Moralisch ist sie in unserer Gesellschaft halt nicht akzeptiert. Aber wissen wir es wirklich besser als unser eigenes Gehirn? Und was haben wir in der Vergangenheit nicht sonst schon so alles als moralisch schlecht erachtet, das heute ganz normal ist?

Keine Frage, man sollte im Umgang mit Schadenfreude kein rücksichtsloser Idiot sein. Aber sie ist ein vollwertiger Teil unseres Sozialverhaltens und wir dürfen sie auch genießen. Wir können eigentlich gar nicht
anders, Dopamin ist nun mal
Dopamin. Vielleicht ist sie ein wenig primitiv. Aber das stört uns beim Sexualtrieb ja auch nicht. Je nachdem, wie man mit ihr umgeht, kann Schadenfreude manchmal auch Stuss sein. Aber dank entsprechender Biochemie ist sie selbst dann zumindest der goldene Stuss.  

● Quelle: (1) pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/ 19640508, (2) dw.com/de/schadenfreude-ist-besser-als-ihr-ruf/a-51108935, (3) mpg.de/11864829/kinderrache