AKUT

Not today, Konsum.

Christian Jandrisits

Konsum erzeugt Dopamin, Freude, Glücksgefühl. Aber wer den Schmerz des Geldausgebens nicht konsumieren mag, genießt einfach den Verzicht, der gar kein solcher ist. Bahnhof?
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Die Straße runtergehen. In Auslagen schauen. Bei einem Sportgeschäft stehen bleiben, eine Gürteltasche sticht ins Auge. Leiwande Farbe. Reinschauen ins Geschäft. Die Tasche genauer anschauen. Sich vor den Spiegel stellen, den Taschenträger über den Kopf stülpen, die Tasche auf die Schulter legen (man hat kürzlich gelernt: Gürteltaschen auf Gürtelart tragen = uncool, geh weg damit. Selbe Gürteltaschen wie Crossbodybags tragen = cool. Muss man jetzt nicht verstehen.). Sich betrachten. Sich vorstellen, wie man im Alltag mit der Tasche rausgeht, wie sie zur Lederjacke zuhause passt. Bilder tauchen vor dem inneren Auge auf. Man steht nicht einfach nur im Geschäft vorm Spiegel, man sieht sich mit der Tasche im eigenen Leben. 

(Photo by Charles Hewitt/Getty Images)

Der Blick fällt auf Bluetooth-Kopfhörer neben dem Spiegel. Wow, tolles Angebot, gute Marke, gute Qualität. Das Spiel im Kopf wiederholt sich. Die sind super für Sport. Also stellt man sich vor, wie man mit den Kopfhörern auf, 80er Glamrock im Ohr, den Wienfluss entlangjoggt. Auch wenn man das letzte Mal vor der Pandemie joggen war, naja, man könnte ja jetzt wieder anfangen. 

Für das Gehirn ist das quasi eine kurze Wellnessbehandlung: Nicht nur ist man für einen kurzen Zeitraum extrem fokussiert (was uns gut tut), die Vorstel­lun­gen, was sein könnte, wenn man das kauft, lässt die körpereigene Biochemie eine große Portion ­Dopamin in die Bahnen spülen. Die glücklich macht. Neukauf macht glücklich, auch die größten Einkaufsmuffel, die mit dem vielzitierten „Shopping“ nix anfan­gen können, freuen sich, wenn sie sich etwas kaufen, was sie brauchen und haben wollen. Falsch. Wenn sie beschließen, etwas zu kaufen, das sie brauchen und haben wollen. Da setzt der Dopa­min­ausstoß nämlich schon ein. 

(Photo by Ken Harding/BIPs/Getty Images)

„Ich dachte, es heißt Shoppingtherapie
und nicht
Verzichtstherapie?“

NUNU KALLER

Warum? Geld ausgeben ist für unser Hirn de facto ein Vorgang, der mit Schmerz assoziiert wird. Und damit wir nicht verhungern oder erfrieren, hat unser Körper bereits vor Jahrtausenden dafür gesorgt, dass wir vor dem Geldausgeben einen kurzen Dopaminrausch haben, der den Schmerz übertünchen soll. Vom Müsliriegel im Supermarkt bis hin zum Hauskauf – der hormonelle Vorgang
ist in unterschiedlichen Ausformungen immer der gleiche. 

Damit könnte die Gschicht jetzt fertig erzählt sein: Dopaminrausch und raus aus dem Laden mit Tasche und Kopfhörern. Doch ich habe die Teile nicht gekauft. Und zwar nicht, weil der Schmerz des Geldausgebens zu groß gewesen wäre. 

Mir fiel ein: Ich habe eine ähnliche Gürteltasche zuhause. Ich wusste nur nicht, wo. Wenigstens hab ich einen Grund, sie zu suchen. Und mir wurde klar: Selbst die tollsten Bluetooth-Kopfhörer bringen mich nicht dazu, am Wienfluss joggen zu gehen. Ich bin mehr so der Radfahr-Typ, und da mag ich gar keine Musik in den Ohren, da hör ich lieber den umliegenden Verkehr. 

(Photo by Angus B. McVicar/Wisconsin Historical Society/Getty Images)

Aus dem Laden wieder draußen, schwebe ich förmlich vor Freude. Warum, versteh ich selbst nicht ganz – ich dachte, es heißt „Shoppingtherapie“ und nicht „Verzichtstherapie“? Doch im Grunde ist es logisch: Die Bilder im Kopf von meinem Leben mit der Tasche, die konnte ich ja sowieso erfüllen, weil ich ja schon in Besitz einer solchen war, und das ganze ohne einen Cent ausgeben zu müssen! Jackpot! Es fühlt sich gut an, etwas nicht zu brauchen. Es fühlt sich verdammt leiwand an zu merken: Ich brauch das nicht nur nicht, ich WILL das nicht. Weil ich es schon habe. Die Industrie will uns ja ständig einreden, dass wir das neueste Smartphone brauchen, dass wir im einen Jahr schmale Hosen und im nächsten weitgeschnittene tragen sollen, dieses Trendgehabe geht ja sogar bis in den Supermarkt. Sogar Schokoladenkekshersteller arbeiten inzwischen mit „Limited Editions“, damit wir bitte auf alle Fälle kaufen, kaufen, kaufen. Völlig egal, ob wir funktionale Smartphones, bequeme Hosen und eine volle Schoko-Lade zuhause haben: Täglich wird uns erklärt, was wir nicht alles kaufen sollen. 

(Photo by Angus B. McVicar/Wisconsin Historical Society/Getty Images)

Wahrscheinlich fühlt sich der Nichtkauf auch deshalb so gut an, weil man das Gefühl hat: Not today, Konsumsucht. Heute fall ich nicht auf dich rein. Heute hol ich mir das Glücksgefühl daraus, dir ein Schnippchen geschlagen zu haben. Ätsch. 

Nunu Kaller ist Aktivistin und Autorin, Konsumkritikerin und Macherin, Liustenerstellerin, leidenschaftliche Wienerin und Politweib. Sie denkt viel darüber nach, was Konsum mit uns und unserer Umwelt macht, fast sechs Jahre lang war es sogar ihr Job als KonsumentInnensprecherin bei Greenpeace Österreich. Neben einigen anderen Büchern veröffentlichte sie 2021 „KAUF MICH – Auf der Suche nach dem Guten Konsum“ und geht dem Konsum im Alltag auf den Grund.
Infos: nunukaller.com