AKUT

Mein wunderbarer Cadillac – Rauchende Frauen – Meine wunderbare Freundin

Christian Jandrisits

Cadillac Eldorado …. Götz Schrage war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher ….

Fotos: Eva Geiger

Mein neuer, alter Cadillac Eldorado hat einen fetten 4,9-Liter-Motor, seine beiden Türen sind so massiv, dass man aus jeder einzelnen einen ganzen VW Lupo schweißen könnte, wenn man das Fenster aufmacht, kann man den acht Zylindern beim Musizieren zuhören und auf der Beifahrerseite versteckt sich hinter der Sonnenblende ein dimmbarer Schminkspiegel. Alles was mein Auto kann und macht, macht mich glücklich. Alles was mein Auto kann und macht, habe ich meiner Freundin erzählt und sie hat mir die ganzen neun Monate der Restaurierung zugehört, weil wir uns lieben. Interessiert hat sie das alles kaum, bis auf die eine Sache und Sie wissen genau welche ich meine. Diese eine Sache hat ihr ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und sie hat begonnen unser neues Familienmitglied ein wenig zu mögen.

Selbstverständlich war das der dimmbare Schminkspiegel hinter der Sonnenblende und wenn Sie den Mut haben, das zuzugeben, dann gehören Sie wahrscheinlich zu meiner Generation. Früher waren Frauen eben Frauen und Männer eben Männer. Jetzt ist alles so durcheinander und ein Durcheinander macht selten glücklich. Weder am Schreibtisch, noch im Leben. Selbstverständlich räume ich meinen Schreibtisch selber auf, weil so altmodisch bin ich auch nicht. Mein Leben räumt mehr meine Freundin auf, weil sie das viel besser kann. 

»Würden sich alle Frauen meines Lebens auf meine beste Eigenschaft verständigen, wäre das mein Talent zu Warten. Da gehöre ich zu den besten, nur Gene Hackman in The French Connection kann besser warten, aber sonst wirklich niemand.«

Götz Schrage

Mir ist das mit den Männern und Frauen schon als Kind aufgefallen und wie verschieden die sind. Wir hatten das Klo am Gang und kein Badezimmer in unserer ersten Wiener Kellerwohnung. Mindestens zweimal in der Woche sind wir ins Tröpferlbad um die Ecke. Bei der Badeaufsicht hat man dann bezahlt. Rechts stand auf dem Schild: „MÄNNER“ und links „FRAUEN“ . Meine Mutter ist immer nach links mit mir gegangen, weil ich ein vierjähriges Kind war und deswegen zu den Frauen durfte. Zwar ein vierjähriges Kind, das schon rudimentär lesen konnte, aber trotzdem ist keine Conchita Wurst aus mir geworden oder so. So ein selbstsicherer, junger Mann war ich damals schon und bin es noch heute, nur halt nicht mehr jung, aber doppelt so selbstsicher. Natürlich haben mich die Schilder interessiert. Bin mir nicht sicher, ob ich als Vierjähriger schon den Begriff „kognitive Dissonanz“ fehlverwendet hätte, aber das Schild „FRAUEN“ konnte mir keinesfalls den richtigen Weg weisen, auf Dauer, und diese Dissonanz machte mich ein wenig unruhig. Ich stand im Tröpferlbad in einer direkten Abhängigkeit zu meiner Mutter. Nur sie wusste, wie sie meine Haare waschen konnte, ohne dass mir das Shampoo in den Augen brennt. Bis heute gibt es eine Menge Dinge, die ich nicht kann, aber ich bin erwachsen und frage so was selbstverständlich nicht mehr meine Mutter. Ich frage meine Freundin und die weiß eine Lösung für solche Sachen. Für uns beide passt das. Ich warte dafür im Auto vor dem Nagelstudio, wenn die Vietnamesen ihre Nägel machen. Warten vor Nagelstudios gehört zu den wenigen Dingen, die ich besonders gut kann. 

Meinen Vater habe ich gefragt wegen den Schildern und überhaupt wollte ich meine Position klären und auch meine Perspektiven. Männer dürfen auf der Straße auch ohne Begleitung rauchen, hat mir mein Vater gesagt und Rauchen war in den 60er Jahren wirklich wichtig. In Apotheken durfte man nicht rauchen, sonst überall und das wurde auch genutzt. Jede Schnellbahn, jeder Zug hatte seine Raucherabteile, in jedem Taxi durfte man rauchen und selbstverständlich in jedem Lokal. Es gab sogar Raucher- Kinos, aber dazu schreibe ich mal eine eigene Kolumne. Am meisten geraucht wurde jedenfalls im Wartezimmer beim Zahnarzt. Ich musste da alle zwei Wochen hin wegen meiner Zahnklammer und ich fürchtete mich jedes Mal. Wenn ich dann nach Hause kam, roch meine Mutter an meinem Pullover und dann wusste sie, ob ich wirklich dort war oder nicht. 

Dass Frauen nicht alleine auf der Straße rauchen durften, war somit damals ein ernsthaftes Problem, zumindest für die Frauen. Wenn meine Mutter ein unangenehmes Telefonat führen musste – und wenn man als Ausländerfamilie in einer Wiener Kellerwohnung wohnt, war jedes Telefonat ein unangenehmes – musste ich meine Mutter zur Telefonzelle zwei Gassen weiter begleiten. Am Hinweg rauchte sie, weil sie nervös war und am Rückweg aus Wut, oder aus Erleichterung. Je nachdem was sie erreicht hatte wegen den offenen Rechnungen und den Drohungen, uns aus der Wohnung zu schmeißen, den Strom abzudrehen, oder was sonst noch am Menüplan des Elends stand. Mir war das egal mit dem Elend, ich war nur stolz auf meine Aufgabe und mir war auch egal, wie lange das Telefonat dauerte, ich konnte warten. Quasi so wie heute, wenn ich vor dem Nagelstudio auf meine Freundin warten kann. Würden sich alle Frauen meines Lebens auf meine beste Eigenschaft verständigen müssen, wäre das sicher mein Talent zu Warten. Da gehöre ich zu den besten, nur Gene Hackman in The French Connection kann besser warten, aber sonst wirklich niemand. 

Meine Freundin und ich haben das fair aufgeteilt mit den Talenten. Ich fahre das Auto aus der engen Parkgarage nur deswegen, weil sie es findet. Wäre ich auf mich alleine gestellt, würde ich wahrscheinlich heute noch in dem Einkaufszentrum wohnen, welches ich unbedarft im letzten Lockdown betreten habe. Ich bin komplett orientierungslos, ich finde nicht mal meine notwendigsten Sachen und wenn ich sie finde, stecke ich sie verlässlich in die falsche Hose. Dafür finde ich immer nach Hause. Ganz egal von wo und das selbstverständlich auch ohne Navigationsgerät. Da bin ich wie ein Erdmännchen und mein Erdmännchenweibchen weiß das sehr zu schätzen. Manchmal lobt sie mich dafür, oder legt den Arm anerkennend auf meinen. Jetzt im Cadillac macht sie das eher weniger, da sitzt sie vor dem dimmbaren Schminkspiegel, der hinter der Sonnenblende versteckt ist und ich fahre dieses sowieso so sanft gefederte Auto noch sanfter, wenn sie sich die Augen schminkt. Wir sind ein wenig das perfekte Paar aus einer anderen Zeit und fahren in einem perfekten Auto aus einer anderen Zeit. Das passt wunderbar. Ziemlich sehr wunderbar.