AKUT

MALARINA – ERNST, ABER LUSTIG

Christian Jandrisits

Im Gespräch ist die Austroserbin Malarina ernst und reflektiert, die Jokes hebt sie sich für die Bühne auf. Dort kommen sie nicht als Nummernrevue daher, sondern als Teil eines zwei Stunden langen Stückes namens Serben sterben langsam. Und das ist sehr lustig.

Interview: Manfred Rebhandl

Fotos: Peter M. Mayr

Ort: Kabarett Niedermair

Zeit: 27.11.2022 um 17 Uhr

Malarina, Artist, Cabarett, Foto. Peter M. Mayr

WIENER: Sie „haben einen Arsch für Kleider“, wie Sie selbst so schön sagen, heute tragen Sie aber eine Hose.

MALARINA: Mein Soloprogramm Serben sterben langsam spiele ich immer in einer Hose, ich trage dabei nur Schwarz. Zu Beginn habe ich alles getragen, Kleider, Röcke, aber die Choreografie des Stückes hat sich dann so weit geändert, dass ich viel sitze und auch viel manspreade, wie man sagt, weil das Damen ja nicht tun sollen, die Rolle hat sich also ein bisschen in Richtung „härter“ entwickelt, in Richtung Hose.

WIENER: So ein Stück wächst, sobald man anfängt, es zu performen?

MALARINA: Ja. Ich hatte ja davor noch nie ein Programm geschrieben, es ist dann tatsächlich so, dass man erst nach einer gewissen Zeit richtig „spielt“, am Anfang ist man mehr beim Text und hofft, dass alles paßt, dass man nichts vergisst. Vertrauen in den Text hatte ich immer, aber erst sobald man merkt, dass alles paßt, beginnt man auch richtig zu spielen.

WIENER: Sie waren keine natural born Rampensau?

MALARINA: Hm, keine Ahnung. Mein allererster Auftritt war im Dezember 2019. Im Februar darauf hatte ich den Entwurf für das Programm fertig, und ich hätte im März 2020, am Freitag, den 13., Premiere haben sollen, das war aber der Tag des ersten Lockdowns. Dann war im Oktober endlich Premiere, und im Mai 2021 war wieder alles zu. Erst seither spiele ich es relativ ­regelmäßig.

WIENER: Die Wiener Kabarettszene kannte Sie bis dahin nicht, und Sie kannten die Wiener Kabarettszene nicht, in der es die längste Zeit nicht sehr viele Migranten gab.

MALARINA: Aber jetzt sind wir im Kommen! Es gibt immer mehr Migras, die Comedy und Kabarett machen, darüber bin ich auch sehr froh. In Deutschland gibt es schon ganz viele. Der Begriff Deutsch­türke ist dort auch viel selbstverständlicher als hier der Begriff Austrotürke, seine multikulturelle Identität kann man in Deutschland besser behalten. Die Deutschtürken dort sind keine Türken, sondern eben Deutschtürken. Auch wir hier sind keine Serben, sondern Austroserben, wir verbringen ja den Großteil des Lebens hier.

Wiener: Warum der Unterschied zu Deutschland?

Malarina: Ich glaube, das liegt an der Aufarbeitung der Vergangenheit, die Deutschen konnte der ja wirklich nicht entkommen, die mussten, und die haben auch. Dadurch konnte man aber auch wieder patriotisch sein, ohne diesen anrüchigen Touch. Da konnte man auch wieder die deutsche Fahne schwenken beim Fußball, bei uns in Österreich fühlt sich das immer komisch an. Das ist schade, weil es so viel Schönes und Tolles an der Österreichischen Kultur gäbe, das aber ausstirbt, weil nur noch jemand, der sich als rechts verortet, das für sich in Anspruch nimmt. 

Wiener: Den Begriff Heimat

Malarina: Der Begriff Heimat wird von der Politik definiert. Seit es z.B. hier die Doppelstaatsbürgerschaft nicht mehr gibt, ist es hart zu sagen: Gib auf, wo du herkommst! Man vergisst, dass das zahlreiche Konsequenzen nach sich zieht, im Erbrecht, im Immobilienrecht. Ich fand hart, dass ich die serbische Staatsbürgerschaft nicht behalten durfte. Man kann sich ja sehr wohl hundertprozentig integrieren, sogar assimilieren, und trotzdem seine Wurzeln behalten. Serbien wird für immer der Ort sein, aus dem die Bäume gewachsen sind, die meine Ahnen betrachtet haben. Diese Erde kann ich nicht umsiedeln.

Wiener: Ihren Herkunftsort, den Sie immer nennen – Picka Materina – gibt es natürlich nicht.

MaLARina: (lacht) Neiin! Der Begriff wird in Serbien sehr inflationär im Sinne Eures „Scheiß drauf!“ oder „Fick dich!“ verwendet, heißt aber wörtlich übersetzt „Die Vagina der Mutter“ . Also „Geh in Mutters Vagina!“ ist bei uns das, was für Euch „Geh in Oarsch!“ ist. 

Wiener: Dann ist der serbische Schmäh wohl eher vaginalfixiert, während wir doch sehr arschfixiert sind?

Malarina: Genau. Arschfixiertheit gibt’s bei uns natürlich auch, aber nicht so sehr wie in Österreich und Deutschland. Der lustigste Moment in diesem Zusammenhang war einmal, als eine seriöse Damenstimme im Deutschlandfunk gesagt hat: Geboren wurde Marina Lakovic im serbischen Picka Materina. Das muss dort Verkehrsunfälle verursacht haben, das war zum Schießen! Das wurde aber auch beim Salzburger Stier auf die Homepage übernommen, mit dem Zusatz: Ein kleiner Ort, der ohne Autobahnanschluß auskommen musste.

Wiener: Den Ort Ihrer Herkunft möchten Sie nicht offenbaren?

Malarina: Das ist zu privat, das ist ein kleiner Ort.

Wiener: Die Bedeutung der Auto­bahn für Migranten, das Reisen, das Kommen ins fremde Land, das Zurückreisen ins Herkunftsland, das bestimmt dann einen Großteil des Lebens.

Malarina: Als ich ein Kind war, waren die Verhältnisse in Ex-Jugoslawien so schlecht, dass man über Ungarn reisen musste. Inzwischen fahren Migranten, die ab Salzburg westwärts leben, die Route über Kärnten. Die, die ab Linz ostwärts leben, fahren immer noch über Ungarn.

Wiener: Aber was zieht einen überhaupt nach Innsbruck?

Malarina: Die Österreicher sind gekommen und haben bei uns nach Menschen gesucht, die Arbeitsmigranten werden wollten, Saisonarbeitskräfte. Nach Ostösterreich zu gehen, wäre weniger strapaziös gewesen, aber im Westen brauchten sie so viele für Gastronomie und Hotellerie, für den Tunnelbau, den Bau überhaupt. Meine Oma ist als Arbeitsmigrantin ins Zillertal gegangen. Ich habe ein Interview mit dem ersten Migranten aus meiner Herkunftsregion geführt, der damals nach Australien gegangen ist. Der erzählte, dass die Englische Bank die Überfahrt bezahlte, er arbeitete im Stahlwerk. Für ORF.at habe ich die verlassenen Gastarbeiterdörfer in Serbien protraitiert, daher: „Ohne Autobahnanschluss“ hört sich witzig an, ist aber insofern ernst, als man sich ohne eben wirtschaftlich nichts aufbauen kann, da gibt es keine Firmensitze, keine Produktion. Und seit die Landwirtschaft immer schlechter läuft, verlassen immer mehr das Land.

Wiener: Wegen Tito wollte man auch nicht bleiben?

Malarina: Der Kommunismus in Jugoslawien war auch nicht so romantisch, wie Außenstehende glauben. Wäre es so gewesen, wie die Propagandamaschinerie es gezeichnet hat, dann schon. Aber wenn man weiß, wie viele Menschen unterdrückt werden mussten, um diesen Staat aufrecht zu erhalten… Tito war ja trotzdem ein Diktator! Auch wenn er vielleicht nicht so böse war wie andere Diktatoren. Aber die Leute waren nicht frei! Und für meine Groß­eltern war es sehr schmerzhaft, nicht die Kirche besuchen und nicht die Hauspatronfeste feiern zu dürfen. Die Mischehe war ein beliebtes Instrument, mit dem man das Volk zusammenwachsen lassen wollte. 

Wiener: Was nicht funktionierte, Stichwort: Balkankriege.

Malarina: Weil vieles, was im Ersten und Zweiten Weltkrieg passierte, vertuscht wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das in die Luft fliegt. Das erkläre ich alles in meinem Stück.

Malarina, Artist, Cabarett, Foto. Peter M. Mayr

Wiener: Wie sehen solche verlassene Orte in Serbien aus?

Malarina: Da entwickeln sich ganze Wirtschaftszweige darum herum. Altenpflege wird notwendig, Housesitting, Grundstückssicherung, Überwachung, Gärtnerei. All das, was man machen würde, wenn man dort wäre, muss ja gemacht werden, aber es sind nur noch die Alten dort. Es ist wirklich tragisch, wenn man bedenkt, dass viele ursprünglich nur wegen eines Projektes weggegangen sind: Der eine brauchte einen Traktor und wollte ihn sich während einer Saison verdienen, der andere eine Garage für sein Haus. Dann begann man aber, sich übertrumpfen zu wollen: Der Nachbar hatte was Größeres gebaut, hatte plötzlich ein Auto, also hat man selbst noch eine Saison angehängt, und dann noch eine, noch eine… . Erst mit den Balkankriegen haben viele dann auch ihre Kinder nachgeholt. 

WIENER: Den Traum von einem ­zukünftigen Leben zurück in der Heimat aber haben sie nie auf­gegeben?

MALARINA: Sonst würden sie ja nicht immer wieder hinunterfahren und an ihren Häusern bauen! Man verbaut dort ein Vermögen in einer Lage, die außer Nostalgie nichts zu bieten hat, weil die Infrastruktur darum herum zerfällt, und je mehr von uns gehen, desto weniger wird darin investiert werden. Da stehen halt dann die Fassaden dieser Häuser vor riesigen Schlaglöchern, und die Natur holt sich das Fußballfeld zurück, die Tiere kommen wieder … Am exzessivsten betreiben dieses „eine Fassade aufbauen“ die Schweizer Serben. 

WIENER: Die sind auch die Reichsten.

MALARINA: Die mit dem höchsten Einkommen, genau. Aber die sind schon geografisch viel weiter weg von Serbien als wir hier in Wien, fahren aber trotzdem bei jeder Gelegneheit heim und nehmen „das Schweizerische“ mit, bleiben auch zuhause als Schweizer Diaspora wieder nur unter sich. Daher merken die gar nicht, wie dort alles stagniert, weil sie zu sehr beschäftigt sind mit ihrem Leben zwischen Arbeiten, Heimfahren, Bauen, Zurückfahren. Andererseits merkst du bei Serben, die nach Italien gegangen sind, dass sie in einer viel offeneren, lockereren Kultur leben, die sie dann mit zurückbringen, wenn sie viel seltener heimfahren, weil sie ja auch viel schneller die Sprache lernen. Wir zum Beispiel sind ja Wallachen…

WIENER: Vlasi…

MALARINA: Genau, und wir ­sprechen Rumänisch, das ja wie das Italienische eine romanische Sprache ist.

WIENER: In dieser ostserbischen Region, wo die Vlasi leben, soll es noch Hexen geben?

MALARINA: (lacht) Ja, wir lassen die Serben in dem Glauben! Das Witzige ist, dass serbische Serben sich viel mehr mit dem Thema beschäftigen als unsereiner. Tatsächlich gibt es die wallachische Magie, aber ich kann gar nichts, außer ein bisserl Kaffeesatz lesen. Niemand hat bei uns in der Familie gehext, das war bei uns nicht so angesehen (lacht). 

Malarina, Artist, Cabarett, Foto. Peter M. Mayr

WIENER: Zum ersten Mal die Tiro­ler Nordkette zu sehen, wie dramatisch war das für Sie als Kind?

MALARINA: Bei uns kannst du nur in der Region Kopaonik Skifahren, aber natürlich gilt das auch nur für reiche Serben in Serbien. So ein Felsengebirge wie die Alpen hatte ich bis dahin noch nie gesehen.

WIENER: Als Quotentschuschin haben Sie dann sofort Skifahren gelernt in Tirol?

MALARINA: Nein, nein. Das ist ja ein sehr teurer Sport. Die, die das immer machten, haben ja alles daheim, aber neue Ski, neue Bindung, neue Schuhe – und das für zwei Wochen Skikurs, ohne zu wissen, ob es einem gefällt? – das konnten wir uns nicht leisten. Da musste man sich schon entscheiden: Ist es mir wichtig genug, diesen Berg runter zu fahren? Ich habe den Ruf des Berges aber nie gehört, mir ­waren die Berge immer egal.

WIENER: Hat das den Außenseiterstatus zementiert?

MALARINA: Natürlich. Tirol ist nicht sehr liberal. Auch wenn wir uns dort bemühen, wirklich argen Tiroler Dialekt zu sprechen, das muss man dort tun, um irgendwie dazu zu gehören. Mein Deutsch war anfangs nicht so gut, ich konnte dafür sehr viele Sätze auf Türkisch oder Mandarin, weil wir im Hof mit den Kindern derer spielten, die das Chinesische Restaurant hatten, und mit den Türkenkindern, die auch im Haus gewohnt haben. 

WIENER: Wie erleben Sie Österreich insgesamt mit seiner Haltung der Abschottung? Sind wir da besonders borniert?

MALARINA: Menschen, die konservativ sind, werden Migranten immer als Gefahr sehen, das ist, glaube ich, ein internationales Phänomen.

WIENER: Selbstmitleid, diese sehr österreichische Eigenschaft, ist auch Euch Serben nicht fremd?

MALARINA: Die österreichische und die serbische Seele sind sich sowieso sehr ähnlich. Wir fühlen uns gerne und schnell als Opfer, fühlen uns für vieles verantwortlich gemacht, woran wir nur – wenn überhaupt! – Teilschuld tragen, wir verorten die richtige Schuld immer bei anderen. Das ist sehr schade, weil man dann immer die Populisten wählt, und Länder, die so sind, denen hört irgendwann niemand mehr zu. Das ist, was Serben und Österreicher erleben.

WIENER: Das genaue Hinschauen, wo haben Sie das gelernt? In der Familie?

MALARINA: Nein, das bin einfach ich. Mir hat der Umstand, dass so viele meiner Landsleute rechts
gewählt haben, sobald sie das Wahlrecht in diesem Land erlangt hatten, so sehr gestört und
geärgert, dass ich mein Programm geschrieben habe. Ich habe mich gefragt: Wie konnte das passieren? Wie kommt es zu so einem irrationalen Handeln? Was ist das Gemeinsame? Und das Gemeinsame ist der Hass.

Malarina, Artist, Cabarett, Foto. Peter M. Mayr

WIENER: „Der kleinste gemein­same Nenner ist der Hass“, heißt es im Programm. Wie kann man da Liebe reinbringen?

MALARINA: Ich glaube, dafür müsste man einfach verstehen, dass Unrecht Unrecht ist. Und wenn man einem anderen Volk Unrecht zufügt, dann kann man selbst auch Unrecht erlitten haben, die eigene Schuld wird dadurch aber nicht getilgt. Das ist wie in einer Liebesbeziehung. Wenn Leute streiten, kann man sich darauf verständigen: Wir sind jetzt beide nicht zufrieden, wir haben uns beide jeweils Schlechtes zugefügt und Schlechtes erlitten. Echte Größe wäre, zu den eigenen Fehlern zu stehen. 

WIENER: Humor kann dabei ­helfen?

MALARINA: Humor ist ein Mittel, um ein Thema erstmalig wieder ein bisschen zu öffnen, auf nicht so aggressive Art. „Laßt uns mal einfach nur hinschauen!“ Das Miteinander-Lachen macht Menschen versöhnlicher und ihre harten Ansichten etwas weicher. Manchmal so weich, dass man über die eigene Schuld reden kann.