Buch

FRISCHFLEISCH UND EISENSCHÄDEL

Der Schriftsteller Georg ­„Eisenschädel“ Biron hat ­soeben sein 32. Buch ­ver­öffentlicht – einen auto­­bio­grafischen ­Roman, in dem er den Dichter Georg „Frischfleisch“ Biron in den 1970er Jahren beschreibt. Im Doppel-Interview lässt der WIENER die beiden zu Wort kommen: Zwei glor­reiche Halunken schwimmen auf der ­Buch­staben­suppe daher.

Moderation: Franz J. Sauer – Fotos: Privatarchiv Georg Biron

WIENER: Danke, dass ihr euch die Zeit für dieses Gespräch genommen habt. Es gibt Schokobananen und Erdnusslocken sowie Kaffee, ­Mineralwasser und Wodka. Esst und trinkt nach Herzenslust! Aber Rauchen ist verboten …

FRISCHFLEISCH: Na, das haben wir notwendig gehabt! Jetzt sitzen wir zwei da rum wie das stinkerte G’selchte – nur weil du das Buch „Eisenschädel“ rausgebracht hast und darüber im WIENER reden willst … (Er zündet sich eine Zigarette an.) War das wirklich notwendig? Gibt es nicht schon genug Bücher auf der Welt?

GEORG BIRON: EISENSCHÄDEL Mit dem ersten Teil der Biron-Trilogie widmet sich der Schriftsteller den 50er bis 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Erschienen im Wieser-Verlag.


EISENSCHÄDEL: Das ist alles deine Schuld! Du hast ja schon mit elf Jahren deine ersten Storys geschrieben und gesagt, du willst später einmal Schriftsteller werden. Ich habe dann halt irgendwann einfach weitergemacht. Außerdem: Jeden Tag kommen circa 300 deutschsprachige Bücher auf den Markt. Das war gestern so und es war heute so und es wird auch morgen so sein. 300, jeden Tag. Da spielt ein Buch mehr oder weniger keine Rolle. – Es ist unglaublich, wie jung du ausschaust!
FRISCHFLEISCH: Ich bin jung. Und du bist alt. Aber wir werden uns jetzt nicht auf die Suche nach der verlorenen Zeit begeben. (Er hebt sein Wodka-Glas …) Prost!

WIENER: Es gibt ein Sprichwort über die jungen und die alten Poeten: „Junge Dichter sind strenge Richter, später werden sie mitleidiger und gute Verteidiger!“ Ist es so?

EISENSCHÄDEL: Es ist ein Kaschperltheater. Heute ist die Blunz’n verkehrt g’füllt, der Kapitalismus zeigt sein wahres Gesicht. Vor dem Untergang der Sowjetunion hat das System beweisen müssen, dass es den Menschen bei uns im Westen besser geht als im Osten. Das ist jetzt vorbei. Wir marschieren alle in Richtung Dritte Welt. Der Staat denkt nur an die Reichen. Und die subventionierte Kunst ist eitles Blendwerk und orientiert sich am Quotendenken der Fernsehsender.
FRISCHFLEISCH: Der Staat kann mich am Arsch lecken, und ich glaube, das ist eine Haltung, die jeder Dichter haben sollte. Ich halte es für falsch, wenn die Künstler dauernd raunzend am Rocksaum der Bürokratie hängen wie an einer Kindergarten-Tante und um Hilfe schreien. Und auch diese ganzen Kulturfunktionäre, die mit ihren billigen Aktenköfferchen so staatstragend herumrennen, sind eine Pest, weil sie ja nichts anderes tun, als sich selbst zu verwalten. Die könnte man alle bei Fischamend in die Donau schmeißen – aber das geht ja wegen des Umweltschutzes nicht.

WIENER: Kann man sich heute noch als politischer Autor begreifen?

Heute ist die Blunz’n verkehrt g’füllt, der Kapitalismus zeigt sein wahres Gesicht.

Eisenschädel

EISENSCHÄDEL: Manchmal begreife ich mich überhaupt nicht. Ich bin nicht links, ich bin nicht rechts, ich bin verzweifelt. Als nächstes plane ich, nicht nur das Trinken aufzugeben, sondern die Welt überhaupt.
FRISCHFLEISCH: Ich bin ein Partisan, ein Attentäter. Mein MG hat aber keinen Patronengürtel, sondern eine Tuschpatrone. (Er zündet sich eine Zigarette an.) Ich wäre sicherlich ein ganz guter Diktator, auf jeden Fall bin ich ein politischer Philosoph. Ich will mich mit dem Erzählen von spannenden Geschichten in die bestehenden Verhältnisse einmischen. Ich schreibe über die moralischen Schweinereien, die um uns herum passieren, die aber auch in uns selbst mit schöner Regelmäßigkeit stattfinden.

WIENER: Was ist der Unterschied zwischen einem Wiener Dichter in den 1970er und 1980er Jahren – und heute?

FRISCHFLEISCH: Die Parole in den 70ern und 80ern heißt: „Nix scheißen, durchbeißen!“ Immer provozieren. Sowohl mit den Texten, mit Kunstaktionen, aber auch mit dem Lifestyle und dem Sexuellen. Der Schauspieler Herbert Fux oder der Literat Joe Berger zum Beispiel sagen immer wieder zu wildfremden Frauen: „Wos is? Willst pudern? Bist scho feucht?“ Und entweder es gibt dann von der Frau eine mordstrumm Watsch’n oder sie lässt sich darauf ein. Die meisten lassen sich darauf ein, weil wir komplett anders sind als irgendein Herr Hofrat aus Hietzing. Die Frauen in der Wiener Szene sind keine Hascherln, die wissen ganz genau, was sie wollen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich in einem Lokal von der Kellnerin oder einer Gästin aufs Klo verschleppt worden bin, weil sie schustern wollte. Ich sage: „Sex ist Revolution!“ Und: Writing is fighting, der Widerstand liegt auf der Hand.
EISENSCHÄDEL: Aber dann war es bald vorbei mit dem anarchistischen Spaß. Typen wie Charles Bukowski, die sich von Huren bemuttern ließen, waren plötzlich out. Die US-amerikanischen Bestseller-Schreiberlinge wussten sich auf einmal zu benehmen und traten in schicker Maßkleidung vor die Fernsehkameras. Und in Europa nahm man sich daran ein Beispiel. Die Literatur der westlichen Welt wurde spießbürgerlich und eckte nirgends an. Ich bin mit Büchern von Bachmann, Böll, Grass, Frisch aufgewachsen, heute gibt es fast nur noch Krimis, und alles ist ­politisch korrekt.

WIENER: „Eisenschädel“ ist der erste Band der „Biron-Trilogie“. Nummer zwei soll im nächsten Jahr unter dem Titel „Frischfleisch“ erscheinen, und Band drei wird 2024 – ebenfalls im Wieser Verlag – auf den Markt kommen. Eigentlich hätte es ja einfach eine Auto­bio­graphie werden sollen. Warum werden es jetzt drei Romane?

… mit dem Dalai Lama in Hannover an einer Hotelbar zu sitzen und über das Rad des Lebens zu diskutieren, den Autorennfahrer Jo Gartner nach Frankreich zu begleiten und mitzuerleben, wie er in Le Mans tödlich verunglückt, mit dem Ex-Boxer Hans Orsolics scharfen Schnaps aus Gurkengläsern zu trinken, mit dem Bildhauer Alfred Hrdlicka in den Steinbrüchen von Carrara Partisanenlieder zu singen, mit Prinzessin Stéphanie von Monaco im Restaurant „Wiener“ zu dinieren …

Frischfleisch

FRISCHFLEISCH: Das verstehe ich gut. Eine Autobiographie ist etwas Beängstigendes, weil es nach Ende riecht, nach Abschluss und Final Curtain. Auch deswegen würde auch ich mich immer davor drücken, eine Autobiographie zu verfassen. Man ist ja weder Pop-Star noch Meisterkoch, weder Fernsehgesicht noch der beste Richard III. aller Zeiten, weder Weltmeister im Grillen noch Bitcoin-Finanzgenie.
EISENSCHÄDEL: Ich bin in den letzten Jahren von den verschiedensten Menschen immer wieder ermuntert worden, meine Autobiographie zu schreiben. Weil ich so viel in der Welt unterwegs war. Weil ich so vielen merkwürdigen und auch berühmten sowie berühmten merkwürdigen Menschen begegnet bin, den Reichen und Schönen, aber auch den Armen und Elenden. Weil ich so vieles erlebt habe. Weil ich weiß, wie es sich anfühlt, 300 km/h mit einem Ferrari Testarossa auf dem Hungaroring zu fahren, in Marrakesch auf dem Marktplatz Djemaa el Fna einen Boxkampf zu gewinnen, in einer Jugendherberge am Ufer des Baikalsees ein Schachturnier zu verlieren, neben dem Matterhorn mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen, ohne Fallschirm mit einem Flugzeug in Mexiko abzustürzen, mit dem Maler Franz Ringel um fünf Uhr in der Früh im Taubstummencafé beim Naschmarkt zu frühstücken, Anzug und Krawatte zu tragen, wenn rundherum betrunkene Rebellen mit ihren Kalaschnikows schießen, einen Pornofilm mit durchgeknallten Frauen zu drehen, bösen Bullenhaien in der Karibik zu begegnen, einen Weihnachtsbaum nach Beirut zu bringen, in einem Heißluftballon über die Alpen zu fahren, mit Peter Patzak abgelehnte Drehbücher unter einem Baum im Garten zu vergraben, österreichische Panzer in der Westsahara und israelische Jets in Honduras zu sehen, in Saint-Jean-Cap-Ferrat in der Villa Ephrussi de Rothschild von Romy Schneider mit Feigen gefüttert und von Picasso im Colombe d’Or Restaurant in St. Paul de Vence an den Ohren gezogen zu werden, mit Oskar Werner in einem Weinhaus beim Theater in der Josefstadt schwere Alkoholverbrechen zu begehen, Richard Burton in Nazi-Uniform im Pissoir des Cafe Landtmann zu einer Taxifahrt zu überreden, mit Erich von Däniken in alten Schriften nach UFOs zu suchen, mit Wolfi Bauer, Joe Berger und Otto Kobalek im Restaurant Beograd so lange Free Schach zu spielen, bis alle Vorhänge brennen, mit der Porno-Queen Dolly Buster einen Urlaub auf Bali zu verbringen, mit Iris Berben in Bane’s Bar russischen Kaviar mit den Fingern zu naschen, im Keller des Moulin Rouge immer wieder mit dem Wiener Nachtklubkönig Werner Schimanko ein paar Runden zu boxen und danach im Gutruf große Steaks zu essen, in der Bar des Hotel Ukraina in Moskau mit dem KGB-Killer Sergej über österreichische Waffenlieferungen in den Iran zu sprechen, mit Eric Burdon und Gianna Nannini beim Schnitzl-Fritzl im Hinterzimmer laut und falsch „Knockin’ on Heaven’s Door“ zu singen, mit Marisa Mell und Helmut Berger in Trastevere Touristen zu schockieren, mit Udo Proksch heiße Sommernächte in der Gruft unter der Michaelerkirche zu verbringen, mit Maria Schell in einer romantischen Almhütte zu kuscheln, mit Ernst Senkowski Stimmen aus dem Jenseits aufzunehmen, mit Hell’s Angels-Gründer Sonny Barger im Stadtpark Milchkaffee und Schokoladetorte mit Schlagobers zu genießen, mit Helmut Qualtinger im Cafè Alt Wien Fernet und Bier zu trinken und den Bahnhof von Bologna nachzumachen … (Er zündet sich eine Zigarette an.)


FRISCHFLEISCH: Stimmt! Und nicht zu vergessen … mit dem Dalai Lama in Hannover an einer Hotelbar zu sitzen und über das Rad des Lebens zu diskutieren, den Autorennfahrer Jo Gartner nach Frankreich zu begleiten und mitzuerleben, wie er in Le Mans tödlich verunglückt, mit dem Ex-Boxer Hans Orsolics scharfen Schnaps aus Gurkengläsern zu trinken, mit dem Bildhauer Alfred Hrdlicka in den Steinbrüchen von Carrara Partisanenlieder zu singen, mit Prinzessin Stéphanie von Monaco im Restaurant Wiener zu dinieren, mit Teddy Kollek im Prater spazieren zu gehen und über die 3.000 Jugendlichen aus dem Konzentrationslager zu spekulieren, die er Adolf Eichmann abgeluchst hat, mit dem Mörder Jack Unterweger bei den Huren in der Felberstraße seine Freilassung aus dem Gefängnis mit Champagner zu feiern, von Heinz von Foerster im Jazzklub Einhorn seines Bruders Uzzi Förster zu erfahren, dass die Wahrheit die Erfindung eines Lügners ist … und … und …

WIENER: Geh, geh, geh, geh, …. Jetzt rennts aber bissl davon mit Euch, die Phantasie, oder?

EISENSCHÄDEL (zu FRISCHFLEISCH): Ich hab’s Dir ja gesagt, der glaubt uns kein Wort …. (trinkt sein Glas Wodka auf Ex).
FRISCHFLEISCH (leicht an’gfressen): Ja, über all das könnte man sicher ein Buch schreiben. Aber ich habe immer abgewunken. Denn was sollte das schon für ein Buch werden? Klatsch und Tratsch? Der Biron und die Prominenz? Ein Blick durchs Schlüsselloch? Adabei und Seitenblicke. Und dann vielleicht auch noch der Verdacht, ich hätte all das nur erfunden. Münchhausen in der Rolle von König Midas? Also hat mein Verleger Lojze Wieser nach zahlreichen Gesprächen erkannt, dass ich keine Autobiographie im üblichen Sinn liefern will. Aber zu einem autobiographischen Roman als ersten Teil einer Trilogie konnte er mich überreden. Und ich muss sagen: Das Wörtern dieser Memoiren hat mir sogar Freude gemacht, denn es ist mehr als eine Chronik der Ereignisse, bei der sich im Kleinen das große Ganze spiegelt. Schnell wurde klar: Für dieses Buch musste ich nicht viel dichten. Das Problem bestand eher darin, meine Erinnerungen glaubhaft zu machen und wie Falco zu singen: „Eins, zwei, drei, naaa, es ist nix dabei, wenn i euch erzähl’ die Gschicht …“

WIENER: Moment! Du hast vorhin Prinzessin Stéphanie von Monaco erwähnt. Die passt ja in den 1980ern irgendwie zu dir wie die Faust aufs Aug’. Sie ist ja auch ein Frischfleisch und zugleich ein
Eisenschädel …

FRISCHFLEISCH: Ja, in die Stéphanie bin ich ein bissel verliebt gewesen, und bei einem Abendessen in Wien hat sie mich neugierig gefragt, was ich von Beruf bin. Ich habe ganz wichtig geantwortet: „Ich bin Schriftsteller …“ Da hat sie nur den Kopf geschüttelt und gelacht: „Aha. Große Worte. Kleine Schrift. Kein Geschäft.“
EISENSCHÄDEL: Das war alles ein Missverständnis. (Er trinkt noch einen Wodka auf ex.) Ich schreibe ja nicht, um reich zu werden. Mir geht es nur um den Ruhm und um die schönen Frauen. Mit den Büchern verdiene ich maximal vom Gilet die Ärmel … Darf ich mir ein paar Schokobananen nach Hause mitnehmen?

● Georg Biron wurde 1958 in Wien geboren und ist als Reporter, Herausgeber, Drehbuchautor, Kleinkünstler, Schauspieler, vor allem aber als Schriftsteller bekannt. Dem WIENER ist er seit frühesten Tagen als Mitarbeiter lieb und teuer, seine Reportagen, Interviews und Portraits sind von hinreißender Tiefe und schöner Eloquenz. Als Initiator mehrerer Kulturprojekte (etwa: „Qualtinger lebt!“) kennt er das Kulturgeschäft von allen Seiten.