AKUT

INES REIGER

Christian Jandrisits

In einer Zeit, der es an echten Diven schmerzlich fehlt, tut es gut, Ines Reigers edle Stimme zu hören, und wenns nur aus dem Radio ist. – WIENER DES MONATS/Ines Reiger

Text: Franz J. Sauer Foto: Peter Dominik

Natürlich wird sie nicht froh darüber sein, gleich im ersten Satz von mir als „Diva“ bezeichnet zu werden. Überhaupt ist Ines Reiger ein Ausbund an Bescheidenheit. Tritt lieber in den Hintergrund, am liebsten hinter ihre zahlreichen Studenten, denen sie allesamt „Welttalente“ bescheinigt. Sie sei kein Bühnenmensch, lieber leitet sie, organisiert sie und, natürlich, unterrichtet sie, gibt sie am Telefon zu Protokoll, während das Navi dauernd dazwischenquatscht. Für das Interview bleibt nur Zeit auf einer der zahlreichen Verbindungsetappen von Wien nach Graz, wo die Reiger seit 1993 an der Musikuniversität unterrichtet. In Wien bekleidet sie seit 2005 eine Professur im Konzertfach Jazzgesang an der MUK Privatuniversität, dem ehemaligen Konservatorium, betreut ebendort die Klavier-Korrepetition im Jazzbereich. Bleibt da noch Zeit für Live-Auftritte?

Weniger als früher, klarerweise, als Ines Reiger eine der präsentesten Stimmen der heimischen Jazzszene war und unentwegt zwischen Neusiedler- und Bodensee tourte, mit gelegentlichen Abstechern nach Deutschland zu Peter Herbolzheimer oder Jörg Seidel oder der WDR-Bigband, was halt gerade anstand. Da ist es bedeutend ruhiger geworden um die Künstlerin, die heutzutage zumeist mit ihrem Sohn, dem Gitarristen Christopher Pawluk, oder dem Pianisten Hermann Linecker im kleinen Line Up auftritt, „Jazz for Fun“ wie es heißt und was es auch nurmehr sein soll. Und dann gibt es da noch die Malerei, inspiriert von ihrer Großmutter, einer Studentin des großen Josef Hoffmann. „In früher Jugend konnte ich mich kaum entscheiden zwischen Musik und Malerei“, meldet Ines Reiger leichte Zweifel an, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, eine Entwicklung, der die History längst jede Richtigkeit bestätigte – obwohl wir die Bilder der Künstlerin auch gerne mal sehen würden. Bisher bevölkern sie nämlich bloß ein Atelier in Wien, „in das man gar nicht mehr reinkommt, weil überall ein Bild im Weg herumsteht.“ Trotzdem konnte sich die Reiger bislang nicht dazu durchringen, auch mal auszustellen. Hauptsächlich, weil sie sich so ungern von ihren Kunstwerken trennen möchte. 

Möglicherweise ist es in der Musik leichter, sich von den Tönen zu trennen, weil das Lied an sich, die Musik herself ja niemandem abgeht, wenn man sie interpretiert. Oder aber jungen Menschen beibringt, wie man sie interpretieren sollte. „Vor 40 Jahren wären das alles Weltstars geworden, heute ist das alles viel schwieriger“ kommen wir wieder auf die Studenten zu sprechen. Warum? „Weil das Angebot größer ist, die Bildungsquote höher und somit die Konkurrenz gröІer.“ Dafür, dass „Broadcast yourself“ Promotionebenen eröffnet, die anno Plakatkleben undenkbar waren, ist sich die Reiger höchstselbst keiner Schuld bewußt: „Ich hatte zwar immer einen Computer, aber nur zum Tetris spielen.“ 

Spätestens dieses Jahr wird Ines Reiger dem Rechner etwas mehr zumuten, wenn sie nämlich ihre in Planung befindliche „Villa Fellinger“ eröffnet. „Es ist dies mein Elternhaus in Schwechat, das ich zu einer Kulturstätte umbaue. Es gibt im Garten ein nettes Salettl, da plane ich Lesungen mit alten Freundinnen wie Marianne Mendt oder Mercedes Echerer, Jazzbrunches, kleine Konzerte, das ganze Spektrum eben, was sich ausgeht und gut anfühlt.“ Der Titel ist eine Hommage an die schon erwähnte Großmutter, Ziel des Ganzen ist es, das Kulturleben in Schwechat гhedonistisch und philosophisch“ zu erweitern.

In einem Zeitungsportrait wurde Ines Reiger einmal als „Die Philosophin des Jazz“ bezeichnet, ein Titel der ihr sehr gut gefiel. Ihr ging es stets um Inhalte, egal wie sie vermittelt werden, ob durch Worte, Töne oder Malfarben. Was sich auch in ihrer langjährigen Tätigkeit als Moderatorin und Gestalterin der „Jazznacht“ auf Ö1 spiegelte. Seit 2020 widmet sie sich nur mehr Einzelprojekten, „schönen Aufgaben“ wie etwa einem großen Janis Joplin Portrait für die „Spielräume Nachtausgabe“, die am 13. Jänner auf Ö1 on Air geht.

Ines Reiger ist also Sängerin, Pianistin, Arrangeurin, Komponistin, Malerin, kenntnisreiche Gestalterin, leidenschaftliche Köchin („schreib das unbedingt rein!“) und Pädagogin, vor allem Letzteres mit Leib und Seele. 

Diva ist sie vor allem in unserer Wahrnehmung. Wir meinen es als Kompliment. Oder als Huldigung einer großen heimischen Persönlichkeit. Des Jazz. Und der Kunst im allgemeinen.