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Archiv 2011: Rockin‘ Conspiracy

Als Amy Winehouse am 23. Juli ihren schlechten Angewohnheiten erlag, bemerkten ein paar Schlauberger, dass die britische Sängerin zum Zeitpunkt ihres Todes – huch! – 27 Jahre alt war, genau wie einst Jim Morrison, Janis Joplin und Jimi Hendrix. Manche glauben jedoch, dass nicht nur Crack, Alkohol und das Geburtsdatum für den frühen Abgang vieler Rockstars verantwortlich sind …

Text: Peter Hiess / Fotos: Faksimile aus dem WIENER Archiv

Die ganze Geschichte war inszeniert wie ein mittelalterliches Mysterien­ spiel: „Aufstieg und Fall der Amy W.“.

1. Akt
Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen erweist sich schon in jungen Jahren als Talent, kriegt mit 18 einen Plattenvertrag, erobert mit dem ersten Album ihre eng­lische Heimat und mit dem Nachfolger gleich die ganze Welt. Ihre Vorbilder sind Girl­-Groups und Soul­-Diven der Sech­ziger, ihre Stimme ist ebenso bemerkens­ wert wie ihr Styling erbarmungswürdig, aber passend zum Ironie­-Zeitalter.

2. Akt
Nicht umsonst heißt der größte Hit des neuen Stars „Rehab“. Amy W. pflegt das Bad­-Girl­-Image von Anfang an, sagt zu keiner Droge nein und legt vor den Paparazzi peinliche Szenen hin. Hedonis­tische Medien-­Clowns feiern sie als per­sonifizierte Rückkehr des Rock’n’Roll­ Lifestyle, während Moralapostel vor den Gefahren der Exzessivität warnen. Merke: Für jeden Pete Doherty, der überlebt, muss eine Amy W. fallen.

3. Akt
Und sie fällt. Beim Tourneebeginn in Bel­grad ist sie so zu, dass der Gig abgebrochen werden muss und der Rest der Tour platzt. Einen Monat später findet man sie leblos in ihrer Londoner Wohnung. Todesursa­che: unbekannt. Noch bevor der toxikolo­gische Befund vorliegt, wird Amys Leich­nam verbrannt. Ein weiterer mysteriöser Todesfall der Rockgeschichte.

Epilog
Während die posthumen Plattenverkäufe steigen, stürzen sich die Medien auf die Tatsache, dass Amy W. jung gestorben ist – gerade rechtzeitig für eine Mitglied­schaft im „27 Club“.

„Gimme Danger.“
The Stooges (1973)

Dem Club der toten Rockstars gehören – wie wir mittlerweile wissen – Legenden wie Jim Morrison, Janis Joplin, Brian Jones, Jimi Hendrix und Kurt Cobain an, die alle im zarten Alter von 27 Jahren und oft unter bis heute ungeklärten Umstän­ den aus dem Leben gerissen wurden. Ex­perten zählen auch Blues­-Pionier Robert Johnson, der 1938 von einem eifersüch­tigen Ehemann vergiftet wurde (und vor­her seine Seele dem Teufel verkauft haben soll …), zu dieser Riege. Auch Musiker wie Ron „Pigpen“ McKernan (Grateful Dead), der spurlos verschwundene Richey Edwards (Manic Street Preachers) und Jean-­Michel Basquiat (hauptberuflich bildender Künst­ler) sind Mitglieder im Club.

Sieht man sich die elendslange Liste der früh verstorbenen Rocker, Rapper, Punks und Jazzer an, merkt man aber schnell, dass es sich bei der Zahl 27 um reinen Zufall handelt. Die Hip-Hop-­Konkur­renten Tupac Shakur und Biggie Smalls waren zum Zeitpunkt ihres Todes jeweils 25 Jahre alt; Rock’n’Roller Buddy Holly sorgte bereits mit 23 für den „Day the Music Died“; Duane Allman und Berry Oakley von den Allman Brothers waren 25 respektive 24, als sie ihre höchst selt­samen Motorradunfälle hatten. Das Leben als Star ist halt gefährlich.

Der amerikanische Autor und Ver­ schwörungsspezialist Alex Constantine vermutet viel perfidere Hintergründe hin­ ter den mysteriösen Todesfällen im Mu­sikbusiness. In seinem Buch „Tötet den Rock’n’Roll“ (2000) behauptet er, dass Mama Cass (The Mamas & The Papas) nicht zufällig an ihrem Schinken­-Sand­wich erstickt ist, John Lennon keineswegs von einem verrückten Einzeltäter erschos­sen wurde und Michael Hutchence nicht wirklich bei einem autoerotischen Unfall erstickt ist. In Wahrheit, so Constantine, hat man diese und andere Stars kaltblütig ermordet. „Die CIA und die amerika­nische Mafia arbeiten seit mehr als 30 Jahren in einem Geheimprogramm zu­ sammen, das populäre Musiker zum Schweigen bringt“, schreibt Constantine. „Der Grund dafür ist, dass der ,subver­sive‘ Einfluss dieser Künstler die Gedan­kenkontrolle der US­-Regierung und ihrer Medien gefährdet – also müssen sie weg.“

„Every Man and Woman is a Star.“
Aleister Crowley (1904)

Davor brauchen sich die „Stars“ der 2000er­Jahre nun wirklich nicht zu fürch­ten. Wer durch die harte Schule von Cas­ting­ und Untalent­Shows wie „Starma­nia“ und „Deutschland sucht den Superstar“ gegangen ist, dem haben Boh­len und Konsorten garantiert jeden Wi­derspruchsgeist ausgetrieben. „Ein Star kann heute über wenige messbare Eigen­schaften verfügen und trotzdem irgend­wie berühmt werden – einzig und allein durch seine Selbstdarstellung und die Per­formance“, sagt Bernhard Heinzlmaier, Psychologe und Vorstandsvorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. „Bei diesem atypischen sozialen Aufstieg geht es nicht um Kompetenz, Können oder Leistung, sondern nur um Erfolg. Deshalb fühlen sich von diesen Casting­ Shows auch hauptsächlich Jugendliche aus bildungsfernen Milieus – viele mit Migrationshintergrund – angezogen, die auf ihrem vorgezeichneten Lebensweg nur wenig Aufstiegschancen hätten.“

Und das Risiko dabei? Die Möchte­gern­-Stars aus den Casting-­Shows „ver­zetteln sich in Gesangsstunden oder Trai­nings, obwohl ihre Lehrer genau wissen, dass aus denen nichts wird“, sagt Heinzl­maier. „Die Gefahr ist also eher kein frü­her Rockstar­Tod, sondern ein frustrier­tes Leben. Die sitzen dann mit fünfzig immer noch daheim, spielen Gitarre und halten sich für verkannte Genies, die irgendwann noch entdeckt werden könnten.“

„We Are All Prostitutes.“
The Pop Group (1979)

Für den Jugendmarketing-Experten Heinzlmaier waren die legendären Rockmusiker der 60er Jahre „authentische Künstler, die sich selbst verwirklichen wollten, während es in Formaten wie ,DSDS‘ ausschließlich um Fremdverwirklichung geht. Das ist eigentlich nichts anderes eine Form der Prostitution.“

Waren die Größen der Rockmusik aber nicht nur Huren der Musikindustrie, sondern Mitwirkende in einem hinterhältigen politischen Komplott? Diese Frage versucht der amerikanische Autor David Mc- Gowan in seiner Artikelserie „Inside the LC: The Strange but Mostly True Story of Laurel Canyon and the Birth of the Hippie Generation“ (www.davesweb.cnchost.com) zu beantworten.

Kann es wirklich Zufall gewesen sein, fragt er, dass sich Anfang der 60er Jahre plötzlich junge Musiker aus ganz Amerika im idyllischen Laurel Canyon – einem Stadtteil von L. A. – einfanden und dort erstaunlich schnell Karriere machten? Und ist es bloße Koinzidenz, dass ein Großteil dieser „Gegenkultur“-Idole aus Familien mit eindeutigem Militär- und/oder Geheimdiensthintergrund stammt? Doors-Sänger Jim Morrison war beispielsweise der Sohn des Navy-Admirals George Stephen Morrison, der bei der Inszenierung des Tonkin-Zwischenfalls eine entscheidende Rolle spielte und so dafür sorgte, dass die USA in den Vietnamkrieg eintraten.

Auch Frank Zappa sowie Mitglieder der Band The Mamas & The Papas oder Crosby, Stills, Nash & Young kamen aus solchen Elitefamilien des militärisch-industriellen Komplexes, hatten selbst durchaus autoritäre Tendenzen und waren teilweise sogar mit dem aufstrebenden Musiker Charles Manson verbandelt, der mit seiner Family der „Love & Peace“-Ära ein blutiges Ende setzte.

Für McGowan ist der Fall klar: Die Blumenkinder waren eine reine Inszenierung, um die Jugend vom politischen Aktivismus der 60er Jahre abzulenken und sie mit LSD und Woodstock zu füttern. Dass manche ihrer Idole beseitigt werden mussten, wenn sie lästig wurden (ob mit 27 oder nicht), war nur eine logische Konsequenz. Die Guten sterben eben jung. Und der Rest darf sich auch noch im Pensionsalter auf die Bühne quälen und der Welt die Legende von den „goldenen Sixties“ vorgaukeln, wie Bob Dylan, die Stones und andere Veteranen das bis heute tun.

„It’s better to burn out than to fade away“, sang Manson-Kumpel Neil Young einst so pathetisch. Leider hat er sich selbst nicht dran gehalten …