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Archiv 1990: Meine Braut ist ein Mann

Wie schön wäre die Ehe – für einige Homosexuelle. Doch das österreichische Gesetz kennt keine Warmherzigkeit. Im Unterschied zu Dänemark und Holland. Dort kann sich paaren, wer will. Hans S. Grasser beobachtete die neuen Verhältnisse.

Fotos: Marcel Gonzales

Wie würden Sie reagieren, käme eines schönen Tages Ihr Sohn nach Hause und sagte: „Mama, grad hab‘ ich meinen Freund geheiratet.“? Solche Verhältnisse werden bei uns noch lange nicht einreißen. Es ist jetzt schon schwer genug, Bekannten zu erklären, dass der Bub bei seinem Freund wohnt.

Dänische Journalisten suchen nicht mehr nach fadenscheinigen Umschreibungen, wenn es um Homosexualität geht. „Jetzt dürfen sich auch Männer das Jawort geben“, titelte die Presse nach den ersten Trauungen.

Hunderte Sympathisanten, Schaulustige und Reporter ließen sich die Hochzeit von zehn Paaren nicht entgehen. Zwei 70-jährige Herren schoben sich die Ringe über die Fingerfalten und kehrten, unheimlich kichernd, als frisch vermähltes Paar ins Altersheim zurück. Der Trauschein berechtigt sie endlich, ein Doppelzimmer zu beziehen.

Eine große Zuschauergemeinde scharte ein freudig erregter Pastor um sich. Er lichtete einen Schulfreund, dessen zehnjährige Tochter sich freute, „dass der Papa endlich glücklich wird“. In Gottes Namen.

Nach den Zeremonien knallte man mit Sekt, und ein Konfettiregen ergoss sich über die Gesellschaft. Zum Schluss drückte ein Fotograf ab für das Hochzeitsbild mit der gesamten Gruppe.

Bis zum Aufgebot war es ein steiniger Weg. Schon 1948 kämpfte die dänische Homosexuellen-Vereinigung um das Recht für registrierte gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Vor acht Monaten wurde es – trotz heftigster Widerstände im Parlament – in Kraft gesetzt.

Homosexuelle Ehen wurden heterosexuellen gleichgestellt: man spart Steuer, kann bei Scheidung auf Unterhaltszahlungen klagen und erbt beim Ableben eines Partners zu steuerrechtlich günstigeren Konditionen. Der Anspruch auf Witwenrente besteht nur in Ausnahmefällen. Adoptionen sind nicht vorgesehen.

Die neuen Rechte machen sicherer. Deswegen geheiratet wird noch lange nicht. Eher ist’s der Hang zum Komischen wie bei Fredrick. Er heiratete seinen Freund in demselben Standesamt, in dem er vor Jahren mit seiner Frau den Bund fürs Leben schloss. Inzwischen hat er ihn wieder aufgekündigt.

Andere können sich vor Lachen nicht halten bei der Vorstellung, wie der Steuerberater reagieren wird, wenn er den Namen des Ehepartners auf der Lohnsteuerkarte sieht. Oder welches Gesicht der Chef beim Urlaubsantrag für die Flitterwochen macht.

Darüber verziehen Hollands Schwule das Gesicht. Ärgerlich. Sie meinen: Da ist was faul im Staate Dänemark. Der Amsterdamer Stadtrat Bob van Sehnydel musste lang genug Spießruten laufen, nachdem er sich vor zehn Jahren offen zur Männerliebe bekannt hatte. Sicher, es hat ihm viele Stimmen gebracht, um in den Stadtsenat einzuziehen. Und er konnte auch sechs Politiker dazu bewegen, aus ihren Herzen keine Mördergrube zu machen. „Denn warum soll ein Homo keine Karriere machen können?“

Aber bis vor 200 Jahren wurden in den Niederlanden Warme gerne kaltgestellt: Die sogenannten „Sodomiter“ ertränkte man in den Grachten. Unlängst wurde in Amsterdam ein großes Mahnmal errichtet zum Gedenken an alle Frauen und Männer, die während der deutschen Nazi-Besetzung mit einem rosa Dreieck am Ärmel in die Konzentrationslager geschleppt wurden. „Um die Menschen zu erinnern, wie wichtig Toleranz ist“, sagt Stadtrat Bob van Sehnydel, „und nicht, um davor Trauungen zu vollziehen.“

Ihm erscheinen die dänischen Schwulen-Ehen wie eine Parodie auf die heterosexuelle Variante. Oberstes Gebot in einer homosexuellen Beziehung sei die Eigenständigkeit der Partner. In jeder Weise.

Der Politiker ist auch Sprecher der größten Schwulen-Organisation Dänemarks. Der Verein leistete Jahre hindurch ganze Arbeit. Heute bestehen in jeder Partei des Landes schwule Arbeitsgemeinschaften. Homosexuelle haben ihre Vertreter bei der Polizei, beim Militär und beim Lehrkörper.

1980 meinten bei einer repräsentativen Umfrage 87 Prozent der Holländer, sensibilisiert gegen jede Art Verfolgung: Ihre Homosexuellen sollen die Freiheit haben, so zu leben, wie sie es gerne täten.

Das geht jetzt. Auch ohne Trauschein. Wenn Männer mit Männern und Frauen mit Frauen die Ringe tauschen dürften wie in Dänemark, würde aus Holland bald ein Käfig voller Narren, meinen homosexuelle Paare in Amsterdam. Ihnen reichen die staatlich verbrieften Rechte und Pflichten, wie sie auch heterosexuelle Eheleute haben. Das genießen Yorick und Roger.

Yorick ist Schauspieler und mimt im TV-Vorabendprogramm einen Macho, der ganz auf sein Motorrad versessen ist. Laut Drehbuch spannt er dem Nachbarssohn die Freundinnen en suite aus. Den Engländer Roger lernte er kennen, als er noch als Hotelkellner von der großen Filmrolle träumte.

Nach zwei Wochen waren sich beide einig: „Wir ziehen zusammen.“ Zuerst zogen sie nach London. Hier erlebte Yorick seine Wunder. Über die offen gezeigte Zweisamkeit zogen die Briten ebenso offen die Augenbrauen hoch. Und die Wohnungssuche war um nichts leichter als für Joseph und Maria mit dem Kinde.

„Uns blieb nichts übrig, als die Koffer zu packen und nach Holland zurückzukehren“, sagt Yorick. Aber ein Trauschein als Persilschein? Es käme mir vor, als müsste ich die Beziehung meiner Eltern nachspielen.“ Außerdem fühlt sich Roger ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß nicht wohl in seiner Haut. Linda und Florine wollen auch nicht vor den Altar. In ihrer lesbischen

Beziehung solle nichts an das traditionelle Rollenspiel einer Ehe erinnern, sagen sie. Hochzeit: nein. Kinder: ja – auf Bestellung von der Samenbank. Die Verwandtschaft der Frauen hat sich abgefunden. Sie tuschelt inzwischen mehr über die acht Haustiere von Linda und Florine als über den Zustand. Mit Anstand.