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Archiv 2001 – Rodeo Drive

Christian Jandrisits

Wenn der Berg ruft, sind sie nicht zu bremsen. Aber das hat auch keiner vor beim Erzberg-Rodeo, dem Motocross-Spektakel, das weder Weltstars noch Hobbyfahrer noch der WIENER versäumen dürfen.

Text: Franz J. Sauer Fotos: Philipp Horak

Mitte Juni haben die Jäger der Forstverwaltung Leoben drei Tage lang begründete Sorge um ihre geweihtragenden Schützlinge. Um die Zeit finden sich nämlich im obersteirischen Eisenerz alljährlich rund 1.200 Motorradfreaks ein, um mit größtmöglichem Radau den legendären Erzberg per Kraftrad zu bezwingen. Das Erzberg-Rodeo macht seinem Namen alle Ehre, ganz im Stile des texanischen Nationalsports werfen dort nämlich stets mehr als die Hälfte der motorisierten Zweiradpferde ihre tapferen Reiter ab.

Wer beim Erzbergrennen an ein klassisches Motocrossrennen denkt, denkt falsch. Es ist eher als gigantische „Biker Convention“ zu verstehen, in deren Rahmen ein anspruchsvoller Wettbewerb abgehalten wird. Ernsthafte Teilnahmebeschränkungen gibt es keine. Jeder, der sich zutraut, ein Motorrad bewegen zu können – er muss es noch nicht einmal dürfen – und 1.750 Schilling Startgeld bezahlt, ist dabei.

Faksimile – Archiv 2001 – Rodeo Drive

Der Erzberg hat sich in den vergangenen Jahren zu dem Kultevent unter den Amateur-Motocrossern entwickelt. Verständlicherweise ist es ein erhebendes Gefühl, auf ein und derselben Starterliste mit Großmeistern wie Giovanni Sala, Juha Salminen oder Alfie Cox aufzuscheinen. Aus dem klassischen Rennfahrer/Fan-Verhältnis wird am Erzberg automatisch Kumpeltum auf höchster Ebene, keiner der ambitionierten Hobbyfahrer würde hier auf die Idee kommen, von einem der Stars Autogramme zu erbetteln.

Für die Profis ist die Teilnahme Prestigesache, für Amateure die Chance, ihr Können an dem der Weltstars zu messen. Das Ergebnis ist meist ernüchternd, für das Gros des Starterfeldes sind schon dreistellige Platzierungen mit einem 7er an erster Stelle Grund zum Feiern.

Kurzer Abriss des Reglements: Alle Teilnehmer haben von Freitag bis Samstag Zeit, den ersten Teil des Rennens, den „Iron Road Prolog“, zu absolvieren, der sich aus den Standardküren des Endurosports zusammensetzt. Kurz: Es geht darum, auf einer 30 cm breiten Schotterpiste mit allerlei Schikanen den Gipfel des Erzbergs zu erklimmen. Jedem Teilnehmer stehen zwei getimte Läufe zur Verfügung, der schnellere wird gewertet. Die besten 500 des Prologs sind dazu berechtigt, sonntags am so genannten „Red Bull Hare Scramble“ teilzunehmen. Dort geht es dann richtig zur Sache, das Hare Scramble ist in Wahrheit nur etwas für erfahrene Enduropiloten, die bereit sind, Körper und Material ohne Rücksicht auf Verluste einzusetzen.

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Die jährliche Hatz auf den Erzberg wurde vom heimischen Motorradmagazin „Reitwagen“ ins Leben gerufen und seither zu ihrem heutigen Ruf gehypt. Da die dort beschriebenen Jungs allgemein als wilde Hunde gelten, ist eine gewisse Grundhärte ungeschriebenes Gesetz.

Auf dem Weg ins Fahrerlager bekommt man einen ersten Eindruck der cowboymäßigen Stimmung am Berg, die Motocrosscracks martern ringsum ihre Eisen und schauen drein, als würden sie gleich ihre Colts rauchen lassen. Die entlang der Straße postierten Sicherheitskräfte sind schick uniformiert, tragen teuerste Funkgeräte und erwecken den Eindruck, die Intelligenz eines gut bestrichenen Butterbrotes zu haben. Gekonnt und routiniert teilen sie die bergwärts rollende Blechlawine in Autos, die ins Fahrerlager dürfen, und Autos, die ins Fahrerlager dürfen. Das Chaos kann man sich vorstellen.

Mittelpunkt des Fahrerlagers ist ein gigantisches Bierzelt, rundherum sind zwanglos unzählige Transporter, Zelte und Wohnwagen drapiert. Neben dem Zelt prangen massive Red-Bull-Werbeträger, die nur vom höchst professionellen Biwak des Hauptsponsors KTM übertroffen werden. An diesem Stand ist vom aufgemotzten Wettkampfbike bis zu Heinz Kinigadner himself alles anzutreffen, was man mit dem Motocrosssport verbindet.

Bis auf wenige Ausnahmen tragen alle Menschen Lederkombis in den schillerndsten Farben und schwere, eisenbeschlagene Stiefel. Aus der Rennpainer schälen sich die meisten von ihnen erst wieder sonntagnachmittags.

Der Prolog gestaltet sich für den Zuschauer zunächst unspektakulär. Alle 20 Sekunden lässt sich ein Starter mit affenartigem Speed den Berg hinauf. Unüberwindbare Steigungen sind beim Prolog kaum zu finden, auch die Hindernisse scheinen einfach. Abgeschlossen werden die Qualifikationstage mit dem so genannten Sturm auf Eisenerz, bei dem alle am Erzberg anwesenden Zweiradfahrer in Formation und ohne Helm in den Ortskern pressen und dort mit frenetischem Jubel empfangen werden.

Das Abendprogramm wird von einer Superjump-Performance eingeleitet, bei der ein Kanadier eine fünf Meter hohe, senkrecht aufsteigende Schanze bespringt, um hernach in der Luft sein Motorrad zu verlassen, akrobatische Faxen zu machen, wieder aufzusteigen und 15 Meter weiter auf einem Sandhügel auf beiden Rädern zu landen. Diese Darbietung erntet bei den Anwesenden respektvollen Applaus.

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Etwa 90 Prozent des Starterfeldes setzt sich aus Leuten zusammen, die den Motorradsport als Hobby betreiben. Zum Beispiel Peter Resch, der seine Brötchen mit der Herstellung von Brötchen verdient, und sein Schulfreund Georg Silbermayr, der heute größter Porschehändler Europas ist und in Hamburg daheim ist. Die beiden geben sich am Erzberg jedes Jahr eine Art Klassentreffen im kleinsten Kreis.

Ganz dem Zufall überlassen sie ihre renntechnischen Ambitionen freilich auch nicht, ihre beiden Braumandl-KTMs werden von Christian Windhager vorbereitet, der einst schon so manchem Weltmeister zur Seite stand. Auch an Verletzungen steht zumindest Peter Resch manchem Profi um nichts nach, aktuell leidet er unter einem Bänderriss im rechten Ellbogen, weshalb er sich trotz müheloser Qualifikation den sonntäglichen Hare Scramble erspart. Bei aller Freundschaft geben Resch und Silbermayr sehr wohl zu, auf der Rennstrecke äußerst ehrgeizig gegeneinander zu kämpfen. „When the flag drops, the shit stops – gilt natürlich auch für uns“, bekennt Silbermayr. „Die einen gehen Golf spielen, wir pressen halt mit unseren Böcken durchs Gelände, wenn möglich auch noch schnell“, erklärt Resch. „Wäre ich nicht verletzt, würde ich mir vielleicht sogar den Sonntag geben.“ Auch Georg Silbermayr ist am Finaltag Kiebitz und überlässt die mörderische Materialschlacht den hirnverbrannteren unter den Erzberg-Cracks.

Der Sonntag der Hirnverbrannten beginnt bereits samstagabends, stilecht mit einem ordentlichen Wolkenbruch. Während es im Bierzelt nach der Superjump-Performance noch mit Wet-T-Shirt-Contest und Rockband hoch hergeht, verwandelt sich der am Freitag und Samstag noch recht griffige Lehmbo-den in jenen berüchtigten Gatsch-und Schotterhaufen, der die Erzberg-Competition sogar für die Härtesten der Harten zum Albtraum macht. Es regnet in Strömen, und als um zwölf Uhr mittags die Startflagge fällt, könnten die Bedingungen nicht widriger sein.

Schon die erste Kurve wird für die 50 gleichzeitig startenden Biker zum undurchdringlichen Nadelöhr, nur die ersten 10, 15 Fahrer stechen durch den Engpass ohne sich zu verkeilen. Alle folgenden verstricken sich zu einem massiven Knäuel. Danach wartet ein steiler Schotterhang, der schon für Fußgänger eine Herausforderung ist. Erstaunlich mühelos brettern die ersten Enduros über die 10 Sekunden lange Steigung, an deren Ende ein Sprung ins Ungewisse, gefolgt von einer scharfen Rechtskurve steht. Einige Fahrer bleiben auf halber Höhe hängen, ihre Motorräder straucheln und graben sich gnadenlos ins schienbeintiefe Gemisch aus Schlamm und Schotter.

Wer es rechtzeitig schafft, das Gerät herumzuwerfen und den Hang wieder hinunterzurodeln, bekommt eine zweite Chance. Da auch hier fast 50 Piloten gleichzeitig mit derselben Sonderprüfung betraut sind, ist der Hügel bald gespickt mit eingegrabenen Motorrädern nebst verzweifelten Piloten. Die Nachkommenden müssen den letzten Schwung, den sie in die Steigung retten konnten, dazu verschwenden, den im Dreck steckenden Kameraden auszuweichen. Von oben lassen sich bald Zuschauer mit Seilen den Hügel herab, um die liegen gebliebenen Räder den Hang heraufzuziehen. Irgendwann geht nichts mehr, die Piste gleicht einem Auflauf aus Zusehern, Piloten und Maschinen.

Die selbst mit Motorrädern ausgestatteten Streckenposten – die übrigens von ihrer Qualifikation her keineswegs mit den eingangs erwähnten Weganweisern zu vergleichen sind – haben alle Mühe, die Strecke freizubekommen, aber nicht einmal ein totaler Kollaps am Steilhang ist Grund für einen Abbruch. Manche Biker geben nach diesem ersten Fünftel freiwillig auf. Ihr Ziel war es bloß, diesen ersten Knackpunkt zu überwinden. Die, die es weiterspült, erwartet nach ein paar unspektakulären Ecken eine verschärfte Buckelpiste. Darauf folgt der nächste Steilhang, ein unter Wasser stehendes Nadelöhr und schließlich die gefürchtete Waldpassage, bei der es gilt, einen nahezu senkrecht aufsteigenden Lehmhügel zu queren. Hier ist für zahlreiche Piloten endgültig Endstation, enttäuscht ist allerdings keiner, der es bis hierher geschafft hat.

Für das sich stetig dezimierende Starterfeld hat die Strecke noch ein paar mühselige Prüfungen parat, die sowohl die Fahrer als auch deren Bikes bis an die Grenzen der Belastbarkeit herausfordern. Nach eineinhalb Stunden schließlich ist es soweit, Juha Salminen fährt als erster durch den monströsen Red-Bull-Bogen neben dem Fahrerlager und ist somit Sieger des siebenten Erzberg-Rodeos. Sogar einem geeichten Profi wie ihm steht die extreme Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Nach und nach rollen die, die es bis zum Ende geschafft haben, erschöpft durch den Zielbogen und werden mit Hallos von Heinz Kinigadner und Organisator Karl Katoch empfangen.

Laut Rennleitung war das Rennen 2001 eines der härtesten seit dem Bestehen, dennoch ging es ohne ernstzunehmende Verletzungen oder Ausfälle über die Bühne. Grund zum Feiern also für alle Beteiligten, die sich schon auf den Erzberg 2002 freuen. Als nach und nach die Zelte im Fahrerlager abgebrochen werden, werden bereits die Ziele für das kommende Jahr gesteckt. Auch Georg Silbermayr freut sich auf das nächstjährige Klassentreffen. Als das Endergebnis vorliegt, stellt er stolz fest, dass sein siebenjähriger Sohn, der das Erzbergrodeo bald mal gewinnen will, in der Gesamtwertung immerhin 19 Erwachsene versägt hat. Und in Anbetracht seiner professionellen Einstellung bereits in so zartem Alter erscheint dieses Ziel gar nicht so weit hergeholt zu sein.

Zu guter Letzt ist noch zu sagen, dass die Biker herzlich wenig bis gar kein Verständnis für die Bedenken der besorgten Waldhüter haben. Für sie ist ein Motorschaden an ihrem Bock das ungleich größere Drama als der nach dem heißen Wochenende mit Sicherheit angerichtete Flurschaden in den Wäldern ringsherum. Und die ortsansässigen Geweihträger werden sich schon wieder beruhigen. ◄