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Editorial zur Sondernummer 45 Jahre WIENER

Franz J. Sauer

45 Jahre WIENER, 456 Hefte, viereinhalb Jahrzehnte Zeitgeist-Geschichte. Und gleichzeitig ein Abschied von dem WIENER, wie Sie ihn kannten. Das ist der Nukleus der Ausgabe 457 ihres liebsten Magazines.

von Franz J. Sauer

Herzlich willkommen zur Jubel-Sondernummer 457, in die wir die Feierlichkeiten zum Jubi­läum „45 Jahre WIENER“ ein wenig vorge­zo­gen haben (eigentlich erschufen Gert Winkler, Günter Lebisch und Michael Satke die legendäre Nullnummer des WIENER, die Sie ja schon vorne auf dem Titelblatt gesehen haben, erst im März 1979). Dieses Heft wird, anders als sonst üblich, ein ganzes Jahr lang im gut sortierten Fachhandel aufliegen und quasi als Homebase für alle Feierlichkeiten on- wie offline zum 45-Jahr-Jubliäum des WIENER dienen. Wir haben uns für diese Ausgabe durch das beeindruckende Gesamtwerk von 456 Heften Zeitgeistdokumentation geackert um die besten, schlüssigsten, bezeichnendsten, schockierendsten und also insgesamt wichtigsten Stories und Beiträge herauszupicken, wiederzubeleben und für Sie interaktiv zugänglich zu machen (wie das funktioniert, steht am Ende dieses Textes). So objektiv uns dies möglich ist, sind wir der Meinung, eine gute ­Auswahl getroffen zu haben. Und wir sind damit auch noch nicht fertig – die jeweiligen Jahres-Archive werden laufend erweitert, Work in Progress sozusagen, ein ganzes Jahr lang. Freuen würden wir uns freilich, wenn Sie von unserem interaktiven Angebot reichlich Gebrauch machen. Erlauben Sie mir aber zunächst ein paar persönliche Absätze zur Geschichte des WIENER und wo sie sich mit der meinigen kreuzt. 

Es war im März des Jahres 1988, als ich erstmals mit dem WIENER in Berührung kam. Die Geschichte über die Skinheads – die „Terrorszene“ von Sax und Reismann – war es, die mich einfing. Schließlich waren die Wiener Skins damals ein Thema für uns Youngsters, die gerade das Nachtleben zu erkunden begannen. Es war weithin bekannt, dass die Figuren stets an U-Bahn-­Verkehrsknotenpunkten wie Kennedybrücke oder Karlsplatz lauerten, um uns Jungvolk im besten Falle um „an Zehner“ anzuschnorren, im schlechtesten Fall um uns einfach so aus Spaß eine Tracht Prügel angedeihen zu lassen. Als die Glatzen schließlich immer mehr wurden, wurden sie auch selbstbewußter, forscher und immer depperter. Irgendwann schreckten sie sogar bei einer beachtlichen Menge von Zeugen nicht davor zurück, eine nette kleine Stänkerei anzufangen. Die oftmals in ausgeschlagenen Zähnen oder schwereren Verletzungen bei uns Kampfunerprobten endeten.  

Und dann gibts da so coole Typen wie diesen Sax und diesen Reismann, die einfach so am Karlsplatz zu den Skinheads hingehen und einfach so den Slezak fragen, ob sie ihn fotografieren dürfen. Oder den Jackson, ob er sie mit nach Hause zu seiner Mama nimmt. Jeder sprach über die Story, jeder kannte die Bilder,  was unser lokales Szenethema plötzlich auf eine gewissermaßen globale Ebene anhob. Und bald wurde auch der ORF durch den WIENER auf die Skinheads aufmerksam, wenige Wochen später saßen der Slezak, der Jackson und all die anderen Figuren auch schon im Club2 und drückten nach ein paar Dopplern Mut-Booster Talkmaster Nagiller vor laufender Kamera in die Couch. Ein paar Typen von einem coolen Magazin hatten in wenigen Wochen für gehörigen Aufruhr in der Stadt gesorgt, aus ein paar verwahrlosten Glatzköpfen sowas wie lokale Prominenzen gemacht, denen der zweifelhafte Ruhm natürlich bald zu Kopf stieg und ins Strafregister wuchs. Sogar im Rathaus hatten sie sich der Sache annehmen müssen, allerhand. Der WIENER wurde seither regelmäßig verschlungen, des Vaters Abo sei Dank. Auch als die Jungs mit dem Sonderbedarf an Enthaarungscreme sich längst in den Häfn geprügelt hatten.

Nie hätte mir geträumt, auch mal einer von den coolen „WIENERn“ zu sein, damals im Jahr 1988. 12 Jahre später saß ich bei meiner allerersten Redaktionskonferenz in der alten Hellerfabrik in Favoriten und schaute auf zu all den Schreiber-Helden meiner ­Jugend, versammelt am selben Tisch wie ich. Sax, ­Fehringer, Reismann, Biron, alle waren sie da. Und ich durfte ihnen Geschichten liefern, obwohl Journalist eigentlich gar nicht auf der Agenda gestanden war. Aber beim WIENER war die Stelle des Motorschrei­bers frei geworden und so eine Gelegenheit kann man sich natürlich nicht entgehen lassen. Vier Ausgaben später wurde ich schon im Editorial erwähnt, keine neun Ausgaben später rückte ich im Impressum  von „Mitarbeiter Text“ zum Redakteur auf. Der Olymp war erreicht, wenn auch vorerst nur teilzeit und nebenberuflich. 

Wieder zwölf Jahre später, mitten in der STYRIA-Zeit des WIENER, war der Motorjournalismus längst zu meinem Brot-Beruf geworden. Ich leitete das Motorradmagazin und durfte nebenher all die Schwestern-  und Brüdertitel des Hauses (DIVA, WIENERIN, Sportmagazin, Sportwoche und eben den WIENER) mit Motorcontent beliefern. Gelegentlich fielen in  den ruhigen Fahrwassern der Ära Wolfgang Wieser (hausintern jovial „Joe“ genannt) auch andere Themen zur redaktionellen Bearbeitung für mich ab, bloß wenn man anmerkte, eventuell auch Online-Content für die Inhalte mitzudenken (etwa: bei Interviews eine Videokamera aufzustellen oder immer auch gleich ein paar mehr Fotos zwecks ­Making-Of mit der Handykamera zu schießen), wurde seitens der Geschäftsführung fröhlich abgewunken. Das Internet werde sich wohl nicht durchsetzen, teilte der schlaue Männerverlags-­Geschäftsführer gerne allen mit, die ihn nicht mal danach fragten, was sich in den Schaltagenturen jener Tage schnell zum Running-Gag entwickelte. Bald stolperte nicht nur der schlaue Geschäftsführer, sondern das ganze Geschäftsmodell über den fixen Glauben an das sich nicht durchsetzende Internet und Mitte 2015 verlor der STYRIA-Konzern mehr und mehr die Lust an dem unprofitablen Magazingeschäft da oben in Wien.     

Nun ist es also 2024, folgerichtig sind schon wieder 12 Jahre vergangen und in denen ist erst recht einiges geschehen, von dem mir zuvor niemals geträumt hätte. Etwa einmal nicht nur Schreiber beim, sondern Herausgeber des WIENER zu sein, was sich durch eine seltsame Aneinanderreihung von ­Zufällen und – das muss hier auch mal gesagt sein – die kühnen Macherqualitäten meines Partners ­Gregor Josel damals 2015 in nicht einmal drei Monaten von einer nebulosen Vision in die faktische Tat umsetzen ließ. Seit 2016 gestalten wir nun aktiv die Geschicke des WIENER. Mit vielen wunderbaren Mistreitern von früher (Schrage, Sax, Klimek, Reismann, Fehringer, Biron, Stermann, Moritz, Gast, Lebiszczak, Wieser, Winkler …), von damals (Rebhandl, List, Bachl, Höller, Püribauer, Lottmann, Hübner, Graf …) und auch solchen, die erst später an Bord kamen (Stantejsky, Barcelli, Kaller, ­Pisecker, …), und natürlich möchte ich mich an ­dieser Stelle herzlichst bei all jenen entschuldigen, die hier nur unter jeweils drei Punkten subsumiert wurden. Alle, alle, alle leisteten sie ihren höchstpersönlichen, und vor allem unschätzbar wertvollen Beitrag zum WIENER und tun dies auch weiterhin. Mir bleibt nur, gerührt und geschüttelt ein ernst- wie herzhaftes Dankeschön an Euch alle auszusprechen.        

Wird es den WIENER in 12 Jahren noch geben? Vor fünf Jahren, bei der 40-Jahre-Nummer, waren wir da noch zuversichtlicher und träumten von 80 Jahren WIENER. Heute muss ich mich leider fragen, ob es in 12 Jahren überhaupt noch so etwas geben wird, was wir heute unter „Medien“ verstehen – und nein, da meine ich gar nicht mal explizit „gedruckte“ Medien. Die ganze Branche ist seit der Pandemie gefühlt um nochmal so viel zerbröckelt, wie bis dahin seit jenem Tag, an dem ein findiger Mediaplaner entdeckte, dass sich Online-Klicks nicht nur unendlich oft vervielfachen, sondern auch noch immer wieder neu verkaufen lassen, nur mit braven Algorithmen unterfüttert, ganz ohne mühsame Kreativlinge aus Fleisch und Blut. Auch heute sind wir wieder die Running-Gags in den Agenturen, wenn wir dort von wertvollem Content, liebevoll gepflegter Zielgruppe, gedrucktem Mehrwert und Geschichten zum Anfassen erzählen. Wir blicken dann oft in verständnislose Augen, deren Inhaber Printprodukte sogar an den Fahrkartenautomaten der Öffis ablehnen und Abos nur mehr bei Netflix haben. Die als einzige Währung „Programmatic“ kennen und Medienwerte in Milliarden (Klicks) abrechnen, nicht in TKPs.  

Sollen Sie doch an ihre Zahlenspiele glauben und an die Allmacht ihrer Targeting-Funnels. Stur wie ich nun mal bin glaube ich heute fester denn je daran, dass schöne und mit Leidenschaft gemachte Print-Produkte und Magazine (wie der WIENER) auch weiterhin ihre kleine, feine, aber stolze und zufriedene Zielgruppe finden. Die vieleicht sogar gerne dazu bereit ist, etwas mehr Geld als bisher dafür zu bezahlen, die entsprechenden Inhalte auf gut interagierenden Ausspielkanälen zu konsumieren, ohne dabei stets den Belästigungen einer immer infantiler daherdröhnenden Werbetrommel ausgesetzt zu sein (unsere Werbekunden sind da natürlich nicht gemeint – jedes Medium hat die Werbung, die es sich verdient, ein großer Dank an treue Partner auch an dieser Stelle). 

Aber dennoch: Es ist dies der letzte WIENER in der Form, wie wir ihn bisher kannten. Das Jubel-Jahr 2024 fordert uns heraus, sich weiterzuentwickeln. Sich zu verändern. Etwas Neues zu erschaffen, vieles Altes gehen zu lassen. Die Zeiten sind nicht leicht für ein Zeitgeist-Magazin, bei dem Zeitgeist, der vorherrscht. Und schon gar nicht für ein Männermagazin, wie man sich denken, wie man sich vorstellen kann. Aber feststeht: Der WIENER lebt weiter, ein echter solcher geht ja bekanntlich nicht unter. Er wird sich nur ein weiteres Mal, auch wie schon des öfteren in seiner Geschichte, neu erfinden. Fix bleibt ausserdem: Es wird weiter Print-Ausgaben geben, so viel steht fest, und das zumindest vier Mal im Jahr. Alle weiteren guten Ideen sind weit gediehen, aber eben noch nicht so weit ausgegoren. als dass man sie schon präsentieren könnte. Wir werden uns erlauben, Euch am Laufenden zu halten. Euch vielleicht auch um Eure Inputs, Eure Ideen und Eure Unterstützung bitten. Und: Wir werden mit Euch gemeinsam Geburtstag feiern. Den 45sten. Ein stolzes Alter.

Genug geraunzt, jetzt wird es wirklich Zeit für eine ausgedehnte Zeitreise durch den Zeitgeist der letzten 45 Jahre. Als Reiseführer dient die ganz, ganz große Gesamtausgabe des WIENER seit 1979 aufbereitet. Blättern Sie sich durch die Jahre, lassen Sie Erinnerungen wach werden. Und tauchen Sie mit uns höchst interaktiv gleich auch ins digitale Archiv ab, das wir für Sie angelegt haben und das wir im Laufe des nächsten Jahres stetig erweitern werden. Das digitale Inhaltsverzeichnis zum jeweiligen Jahrzehnt, in der Folge dann auch heruntergebrochen nach Jahren, finden Sie HIER