E-Mobility

Rimac Nevera: Traumstart

Jakob Stantejsky

Roadtrips gibt es in allen Formen und Farben. Acht Hippies in einem Bulli, Frischverliebte in einem Cabrio, ein einsamer Wolf auf seiner Maschine … oder ein WIENER-Redakteur im besten Elektroauto der Welt.

Text: Jakob Stantejsky / Fotos: Keno Zache

Der Superlativ ist beim Rimac Nevera nicht nur akzeptabel, sondern obligatorisch. Denn der elektrische Bolide stammt zwar aus sehr jungem und verhältnismäßig kleinem kroatischen Hause, setzt aber Benchmarks in jeder Disziplin – außer beim Kofferraumvolumen. Das würde bei einem herkömmlichen Roadtrip sogar ins Gewicht fallen, aber Rimac (gesprochen: Rimats!) hat natürlich für alles gesorgt. Denn auf der Reise von Zagreb quer durch Europa bis nach St. Tropez begleiten mehrere Fahrzeuge den Nevera, da ist für das Gepäck gesorgt. Für Foto- sowie Videografie ebenfalls und sogar zwei Techniker sind für den Fall des Falles stets mit dabei. Der Autor dieser Zeilen hatte die Ehre, den Roadtrip eröffnen und die erste Etappe von Zagreb nach Döbriach in Kärnten bestreiten zu dürfen.

Dabei beginnt die Action allerdings schon, bevor der zwei Millionen Euro schwere Stromer seinen großen Auftritt hinlegt. Denn am Morgen gibt es erstmal eine Tour durch das Rimac-Hauptquartier in der kroatischen Hauptstadt. Hier kann man die eigentlich fast schon widersprüchliche Firmenhistorie beinahe greifen. Denn als Mate Rimac 2009 mit 21 Jahren Rimac gründete, konnte man seine Vision eines vollwertigen Elektrosportwagens durchaus als Hirngespinst bezeichnen. Zu weit weg war die Technologie vom Alltag sowieso. Und dann soll auch noch ausgerechnet ein winziges Unternehmen vom Balkan das Unmögliche möglich machen? 14 Jahre später sind die Zweifler nicht nur verstummt, sondern längst zu Bewunderern geworden. Der Rimac Nevera hält dutzende Weltrekorde in puncto Performance und ist in vielen Bereichen auch den multimilliardenschweren Automobilkonzernen alter Schule weit enteilt. Wobei Rimac selbst inzwischen natürlich auch selbst viele Milliarden Euro wert ist und längst diverse Investoren-Schwergewichte an Bord hat, beispielsweise die Porsche AG. Mate Rimac selbst ist aktuell aber immer noch derjenige mit den größten Unternehmensanteilen.

Der Fabrik in Zagreb sieht man diese rasante Entwicklung deutlich an. Zwar stehen in den Büroräumlichkeiten unzählige Schreibtische mit jeweils mindestens zwei Monitoren und es gibt zahlreiche High-Tech-Stationen. Aber immer wieder stößt man auf fast schon romantische Details. Wie etwa den Raum, in dem ein paar Mitarbeiter in Handarbeit die Bezüge für das Interieur anfertigen und auf Kundenwunsch mit diversen Details verzieren. Selbst die „production line“ mutet wie ein modernes Märchen an. Auf zwei Bahnen mit je vier Stationen wird aus einem blanken Chassis Schritt für Schritt dank der geschickten Hände der Techniker ein vollständiger Rimac Nevera. Dass gerade ein so hochkomplexes Elektroauto hier mit so viel Bodenständigkeit erschaffen wird, macht die ganze Chose extrem sympathisch.

Besser hätte man sich gar nicht einstimmen können auf den bereits vollständig zusammengebauten Rimac Nevera, der im Anschluss vor der Tür wartet. Der schaut aus wie ein echter, ernstgemeinter Sportwagen. Die Kroaten haben auf allzu wilde Designexperimente verzichtet, hier folgt die Form der Funktion. Klar, der Heckspoiler ist immer noch fett und spätestens wenn er im Drift-Modus fast senkrecht wie eine Wand steht, kann von Dezenz keine Rede mehr sein. Aber tatsächlich erinnert der Nevera erinnert eher an klassische Sportwagen als an futuristische Flitzer. Auch das Interieur lädt zum Verlieben ein. Nicht zuletzt, weil Rimac wirklich jedes kleinste Detail selbst designt und gebaut hat. Sogar das Infotainment hat man selbst entwickelt und die Schalter im Cockpit bieten bei Bedienung ein fast schon erotisches Erlebnis. Das Highlight ist in dieser Hinsicht die Einstellung der Kraftverteilung. Denn selbstverständlich muss ein Auto, das 1.914 PS und 2.360 Nm Drehmoment auf den Asphalt knallt, über Allradantrieb verfügen. Über zwei Drehschalter rechts und links vom Touchscreen wählt man aber nicht nur den Fahrmodus aus, sondern kann jederzeit beiden Achsen in zehn-Prozent-Schritten ihre Power zuweisen. Vollgas wäre dementsprechend 100 Prozent vorne und 100 Prozent hinten. Aber auch 50 vorne und 70 hinten ist möglich. Und ja, sogar 0 an der Front und 100 am Heck gibt der Nevera anstandslos frei. Das überlegt man sich allerdings schon zwei oder drei mal, bevor man das auf einer öffentlichen Straße macht. Sonst endet man noch wie ein gewisser Herr Hammond. Übrigens: In der Fabrik finden wir unter den nach mit der Marke verbundenen Celebrities benannten Meeting-Räumen auch das Richard Hammond-Zimmer. Den Crash des Briten im Concept One 2017 sieht man bei Rimac längst mit einem Augenzwinkern. Noch nie hat ein Unfall einer Automarke so viel PR und somit im Endeffekt so viel Geld eingebracht.

Nachdem wir beim WIENER allerdings kein Millionenpublikum bieten können und Rimac die PR inzwischen auch nicht mehr nötig hat, sehen wir von ähnlichen Experimenten gerne ab. Stattdessen staunen wir, dass der Nevera im Komfortmodus auf der Autobahn tatsächlich ein relativ gesittetes Vehikel abgibt. Natürlich ist man schon mal bequemer gesessen. Aber von „Schönheit muss leiden“ ist man weit entfernt. Dafür gibt es allerdings etwas auf die Ohren. Damit ist aber kein schnöder Motor- oder Raumschiffsound aus den Boxen gemeint. Tatsächlich hört man das E-Aggregat fauchen und auch wenn das natürlich kein Zwölfzylinder ist, macht der kehlige Klang doch Laune und der Nevera erscheint gleich doppelt so aufregend wie jedes andere Elektroauto.

Das Highlight an der Autobahn ist übrigens der Beschleunigungsstreifen. Null auf 100 in 1,81 Sekunden, nur zur Info. Weitere 2,61 Sekunden vergehen, bis der 200er am Tacho aufscheint. Nicht, dass wir das hierzulande ausreizen könnten. Aber der raketenartige Schub macht verdammt viel Spaß, vor allem, weil er niemals aufzuhören scheint. Bei 130 Sachen klebt man jedenfalls noch genauso fest im Sitz wie bei 30. Und eine Spitzengeschwindigkeit von 412 km/h suggeriert, dass dieses Gefühl noch eine ganze Weile anhalten dürfte. Unfassbare Zahlen, die Mate Rimac auf die Räder gestellt hat. Gepaart mit der konkurrenzlosen 120 kWh-Batterie macht sich die ganze Technologie allerdings auch auf der Waage bemerkbar. 2.150 Kilogramm sollten den Nevera eigentlich zu einem übermotorisierten Cruiser abstempeln. Aber im slowenischen Hinterland fetzen wir mit dem Kroaten so ungehemmt über gewundene Bergstraßen, als ob er maximal 1,7 Tonnen wöge. Aus jeder Kurve katapultiert der Nevera sich mit einer Urgewalt heraus, die den Fahrer verzückt quieken ließe – wenn er nicht so cool und gelassen wäre, wie sich das bei einem WIENER-Redakteur von selbst versteht.

Die bereits erwähnte Batterie hat übrigens noch mehr zu bieten als nur Größe. Denn sie lädt mit bis zu 350 kW – was den Rimac Nevera zum einzigen Serienauto macht, dass das von sich behaupten kann. Ionity freut sich so sehr, dass damit endlich ein Auto die Ladeleistung ihrer Säulen ausschöpfen kann, dass sie den Nevera-Käufern acht Jahre lang den Strom schenken. Fällt bei den ohnehin üppigen Börserln der 150 Gutbetuchten kaum ins Gewicht, aber Marketing muss sein. Bei unserer Fahrt zeigt sich der Nevera von seiner besten Seite und zieht den Strom tatsächlich mit 348 kW aus der Ionity-Station. Von 23 auf 80 Prozent schafft der Kroate es in einer guten Viertelstunde – was bei einem 120 kWh-Akku und der Tatsache, dass es sich hierbei um in der Realität beobachtete Werte handelt, jeden Konkurrenten vor Neid erblassen lässt. Kein Wunder, dass Rimac längst als Zulieferer von Elektro- und Hybridantriebsteilen allerorts gefragt ist. Koenigsegg beispielsweise baut auf Technologie aus Kroatien. In nicht einmal eineinhalb Jahrzehnten hat Rimac Know-how geschaffen und zur Realität gemacht, dem alle anderen nur hinterherschauen können.

Der Rimac Nevera ist legendär. Jetzt schon. Dass ein Automobil die Grenzen einer Technologie so radikal erweitert und neu definiert, passiert alle heiligen Zeiten einmal. So weit Elektroautos in den letzten Jahren schon gekommen sind, der Nevera legt in allen Belangen nach und gibt die Richtung für die Zukunft vor. Natürlich ist die Technologie aktuell noch viel zu teuer, um im Kompakt-SUV Nr. 382 Verwendung zu finden. Aber das könnte sich spätestens dann ändern, wenn Rimac in naher Zukunft in seine brandneue Fabrik umzieht. Dort sollen dann nämlich ganze Lkw-Ladungen an Batterien jeden Tag an diverse Kunden rausgehen. Natürlich gibt es auch schon Pläne für das nächste eigene Vehikel – die sind allerdings streng geheim. Ein SUV soll es aber auf absolut keinen Fall werden. Fast schon eine rebellische Aussage, heutzutage. Aber ein Rebell war Mate Rimac ja von Anfang an. Jetzt, mit satten 35, hat er seinen hochambitionierten Traum verwirklicht … möchte man meinen. Aber Marta Longin, Head of Communications bei Rimac, versichert uns, dass noch lange nicht ausgeträumt ist. Ganz im Gegenteil, der Nevera ist erst der Start. Und zwar der Traumstart.