Men of Stil

Die schönsten Events waren immer schon die legendären Defizite

Franz J. Sauer

Ossi Schellmann war nicht nur Zeitzeuge der letzten 45 Jahre. Er hat die Wiener Szene dieser Zeit maßgeblich mitgeprägt. Noch heute sind das U4, das italienisch/kunst-inspirierte Café Stein und die Summerstage Beweise für sein visionäres Denken und Handeln. Sein neuestes Projekt „Klassik to Go“ befindet sich mitten in der Umsetzung.

Redaktion und Text: Franz J. Sauer + Alex Pisecker / Fotos: Maximilian Lottmann

WIENER: Wie alt warst Du 1979 und was hast du damals gerade gemacht?
OSSI SCHELLMANN: Ich war 24 Jahre alt und hab eigentlich schon ziemlich viel gearbeitet, damals.

Was war Dein Job damals?
Gastronomie, immer schon. Ich hab damals zwei Lokale gehabt. Also eine Pizzeria im Gewerbehaus, in Meidling. Und eines der Lokale war im U4 Parkhaus. Insgesamt haben wir da vier Lokale geplant. Unter anderem einen Stadtheurigen im Keller, da haben wir sogar schon mit dem Umbauen begonnen.

Wie hat man sowas finanziert in dieser Zeit, in diesen Tagen?
Naja, System Banking, Cash Flow und so. Nein, das heißt, ein bisschen was von den Eltern gab es auch (Anm. Vater Schellmann führte einen Weinbau mit Heurigen in Gumpoldskirchen). Und von der Bank wahrscheinlich auch und alles Mögliche, weiß nimmer so genau. Ich hab also den Arbeitsinspektor durch den geplanten Heurigen geführt und frage ihn, wie es ihm so gefällt und er meinte schön, sehr schön, aber aufsperren könnten wir nicht. Und warum, frag ich. Er erklärte mir, wir bräuchten Tageslicht, was es natürlich nicht gab, da das Lokal im Keller war und ohne Tageslicht dürften wir keinen Heurigen eröffnen. Es folgten zwei schlaflose Nächte. Und dann beschlossen wir einfach ein Nachtlokal daraus zu machen, weil dafür benötigt man kein Tageslicht. Klassischer Wiener Wahnsinn.

Und so wurde das legendäre U4 geboren?
Noch nicht ganz. Wir sprechen hier noch vom Vorgänger-Lokal, dem Copacabana, so haben wir es genannt. Die Eröffnung des Copacabana fiel mit der Eröffnung des Parkshops
zusammen. Am Abend kamen die Ehrengäste, Bürgermeister, der französische Botschafter und Richard Clayderman hat gespielt. Das war etwas komisch. Die Highlights in heimischen Discos waren damals Auftritte von Magic Christian und solches Zeug, wir hatten aber schon richtige Acts gebucht, als erstes traten Boney M. auf. Und Wilfried mit viel Wodka. Ja, Wilfried mit viel Wodka. Das war eh alles sehr lustig, aber irgendwie nicht erfolgreich.

Also war die Sache eigentlich zum Scheitern verurteilt?
Naja, zufällig habe ich einen DJ kennengelernt, der viel in den USA unterwegs war und in London und Berlin. Und ich habe ihm unser Problem geschildert. Er meinte: New Wave. Alles schwarz oder alles weiß. Musik: Sex Pistols und Blondie. Keine Ahnung, wer die waren, klang alles Scheiße. Aber es war egal. Schlechter konnte es eh nicht mehr werden, also haben wir gesagt, wir machen das. Einige Leute haben sich sehr engagiert und uns unterstützt. Ich kann mich noch genau erinnern. Im Mai 1980 war die Eröffnung. In der Nacht vor der Eröffnung haben wir uns getroffen. Die Handwerker waren noch da und es sollte eine Entscheidung getroffen werden, ob das Lokal nun schwarz oder weiß ausgemalt wird. Man konnte sich nicht entscheiden. Ich habe gesagt, Leute, es ist mir egal. Ich gehe schlafen. Wenn ich morgen komme, ist es entweder schwarz oder weiß. Das ist mir egal. Glücklicherweise haben sie sich dann wie ich weg war für schwarz entschieden.

Und das war dann das U4?
Nach dieser monochromen Ausmalerei war es dann das U4. Ja, achso, und ich habe mir überlegt wie wir das Lokal nennen sollten. Name, Name, Name, Name. Es lag ja an der U4 Station Meidlinger Hauptstraße, dann hab ich entschieden, wir nennen es einfach U4. Dann weiß wenigstens jeder, wo es ist. Die einfachsten Dinge setzen sich oft am besten durch.

Das heißt, dass ihr von dem Erfolg, der sich dann eingestellt hat, eigentlich ein bisschen überrascht wart?
In den ersten Wochen war es gleich jeden Abend voll. Das tollste am U4 war der Mix an Gästen. Da gab es die drei Punks von Wien, der Kodak, der Panza, und der dritte, der Nivea. Und die Mods, und der Andre Heller, und überhaupt die Musiker. Die Aristos waren auch da. Das war wirklich das Spannende daran. Man wusste nie, was am nächsten Abend passiert.

Habt ihr zum Start irgendeine Werbung gemacht, eine für damals klassische?
Nein, nichts. Hat sich einfach so herumgesprochen. Am Anfang war eher die Underground-Szene, mit den Künstlern da. Das Montevideo gab es damals auch noch, etliche Mitarbeiter von dort sind zu uns gekommen. Auch der Conny kam von dort, im Dezember 80, und damit war das Montevideo dann endgültig erledigt.

Das heißt, bis zu diesem Zeitpunkt gab es überhaupt keine Verbindung mit Mode?
Nein, überhaupt nicht. Streng genommen, hatte das U4 so eine Art Bildungsauftrag, es bildete und erzog in Richtung Kunst und Kultur in einer Art Wechselwirkung mit der Gastro. Wir hatten damals 15 Lokale und 200 Mitarbeiter und ich bin im Büro gesessen – hinten hatten wir so einen Stadtplan an der Wand und die Lokale waren mit bunten Stecknadeln markiert. Ich musste die Verwaltung managen. Bald wurde mir aber klar, dass ich mich lieber an der Front bei den Gästen aufhalte. Ich war an der Bar und der Tür, das fand ich wesentlich spannender. In Wirklichkeit hat sich die intellektuelle Elite der Stadt im U4 getroffen, die Schriftsteller, die Journalisten wie der Gert Winkler, aber auch Künstler wie Herbert Brandl, der Hansi Lang, Falco die wurden zu Stammgästen.

Es gab zwei Merkmale die das U4 von anderen Nachtlokalen unterschied, erstens: es war am Samstag zu und zweitens: bitte nicht tanzen. Wie kam es dazu?
Das war alles relativ am Anfang und stets mit Sachzwängen verbunden. In Meidling gab es eine gewisse Bezirksrätin, die mit einem Polit-Granden verheiratet und für Schule und Kinder zuständig war. Sie war der Überzeugung, das U4 verdirbt die Meidlinger bzw. allgemein die Wiener Jugendlichen. Man brauchte damals für eine Discothek eine Tanzkonsolidierung, die vergibt der Stadthauptmann – und die wurde uns gleich mal entzogen. Und ja, da ist tatsächlich jede Nacht die Polizei gekommen, um zu überprüfen, dass nicht getanzt wird. Jetzt kommt aber der Punkt: Wir hatten unsere kleine Bühne und Live-Musik durften wir bringen – ohne tanzen – und diese Chance haben wir ergriffen und die damals aufkeimden Musik-Szene ins U4 geholt. New Wave war eh gerade angesagt in Wien, Blümchenblau, Standart Oil und Molto Brutto, wie sie alle geheißen haben: jeden Tag haben wir einen Live-Act gegeben und das um sehr wenig bis gar kein Geld, auch die Getränke Konsumation war günstig. Aber trotzdem stand jede Nacht die Polizei, bis zu 10, 12 Mann hoch im Lokal. Das gestaltete sich wirklich schwierig, weil, bei Live-Acts tanzen die Kids halt genauso. Wir haben diskutiert, dann haben wir Tonnen aufgestellt, auf der Tanzfläche, aber es gab nur Probleme über Probleme. Zuletzt sind wir auf die glorreiche Idee gekommen, große Plakate aufzuhängen, auf denen stand: Bitte beim Bewegen nicht
tanzen.

Und hat die Behörde das nicht als Provokation empfunden?
Na ja, schon, einerseits, andererseits aber: sie konnten nichts ­dagegen sagen. Weil wir ja unserer Verpflichtung nachgekommen sind.

Und warum wurde am Samstag geschlossen?
Wir haben uns recht schnell als Live-Lokal etabliert und das war damals etwas besonderes. Die Leute sind kilometerweit angestanden. Und wir waren dann oft zu zweit, zu dritt an der Tür, speziell der Samstag war der Wahnsinn. Natürlich war das Samstagspublikum anders als wir uns das gewünscht haben. Und irgendwann einmal haben sie uns die Tür aufgerissen, obwohl es unten eh schon bumvoll war, und dann hat es uns gereicht. Wir haben am Samstag nicht aufgesperrt.

Wie war es mit der Konkurrenz? Die waren ja wohl nicht sehr begeistert von Euch, oder?
Ich glaube, der Grund warum das so ein Mythos wurde, war, dass es uns damit nicht primär ums Geschäft ging, fürs Geld verdienen waren die anderen Lokale da und das U4 haben wir für uns gemacht. Deswegen gestalteten wir die Preise auch so günstig, acht Schilling Eintritt bei „Sade“ oder beim „Prince“ waren es 20 Schilling. Jeder kann machen, was er will, solange er andere nicht dabei stört, was sie machen. Und das hat den Leuten scheinbar gefallen.

Jetzt hattest du eine Diskothek, die in aller Munde und voll war …
Nein, einen Club.

Sei‘s drum. Aber warum kaufst du in London oder Berlin teure Live-Acts ein, wenn die Hütte eh läuft? Wozu solche aufwändigen Sachen wie die U-Mode?
Naja, die kam eh erst später. Live-Acts gehörten einfach zum Club. Wir wollten eben nicht nur eine Diskothek sein. Wir inszenierten Ausstellungen, Auftritte beispielsweise vom Weibel. Der Peter Weibel ist auftreten mit einem Mozilla-Orchester an einem Freitag. Da hat er dann einen berühmten Song irgendwie radikal umgestaltet und interpretiert oder so irgendwas – innerhalb einer halben Stunde war der große Raum menschenleer, da musste ich den Stecker ziehen. Auch Harry Stojka trat auf. Einmal haben wir sogar eine Big Band spielen lassen. Wir inszenierten einfach das Unerwartete. Das Unerwartete macht ein Haus. Und darum ging es – nicht ums Geld.

Der WIENER entpuppte sich – im zweiten Anlauf – ja auch als ein unerwartetes Erfolgsding. Ähnlich wie das U4 …
Ich weiß noch, dass es auch das „Tip“ gab. Ich glaube fast, der Wiener war vorher da. Der Wiener war ja für die europäische Medienlandschaft ein völlig neues Produkt. Grafisch und auch vom Konzept her als Stadtzeitung. Das existierte in diesem Sinn und in dieser Qualität bis dato noch nicht. Diese Aufbruchstimmung der 80er Jahre hat sich nie mehr wiederholt. Und das war speziell Wien. Wien war neben London der europäische Mittelpunkt. Weil es Musiker gab, die toll waren. Es hat Maler gegeben, die toll waren. Es hat Schriftsteller gegeben, die toll waren. Es hat Magazine gegeben, die toll waren. Und es hat das U4 gegeben. Das U4 alleine hätte niemals ohne dieses besondere Publikum überlebt. Alleine – ohne das Umfeld hätte es nicht funktionieren können. Es war ein blühendes Wien und es war, wie wenn der Kalte Krieg vorzeitig aus gewesen wäre. Zu diesem Zeitpunkt gab es an Lokalen noch das Schoko, das hat aber bald dicht gemacht – ja und das Voom Voom. Dann das Tempo, später Europa, die Blue Box und all diese Sachen. Eine allgemeine Aufbruchstimmung herrschte und der WIENER stellte die mediale Plattform dafür. Auch andere Medien trugen zur Wahrneh­mung dieser Situation bei, wie etwa die „Ö3 Musikbox“ und im Fernsehen „Ohne Maulkorb“. Es war ein ganz kleiner Kreis an Kreativen, eine kleine Wiener Welt halt, die das Ganze Große bespielt haben. Markus Peichl und Michael Hopp haben den WIENER ja dann nach Deutschland gebracht.

Nicht ganz. Sie sind nach Deutschland gegangen und haben TEMPO gemacht. Der deutsche WIENER war was anderes.
Naja, auch eine ähnliche Zielgruppe, vom WIENER inspiriert. Aber um den Gedanken weiter zu führen: Wenn du in deinem Club eine bestimmte Gruppe an Menschen willst, dann musst du etwas für die tun. Damals gab es keine Plattform für die junge Avantgarde. Und so kam es dann auch zur
U-Mode …

… einer Kooperation mit dem WIENER.
Genau, von Anfang an. Helmut Lang war der erste Schirmherr und Juror und Schella Kann hat, glaub ich, beim ersten Mal gewonnen. Das war damals noch unten im Club und alles war sehr schräg. Wir engagierten einen Bühnenbildner vom Volkstheater, der sich total ausgetobt hat. Dann kam der Mario Soldo, die Johanna Dichand, damals Supermodel, hat Modelle vorgeführt. Im darauf folgenden Jahr haben wir es schon oben im Ex-Parkshop im Ex-Restaurant veranstalten müssen, weil wir eine große Bühne und einen echten Laufsteg gebraucht haben. An der Bar im Motto, lernte ich damals Gregor Eichinger (Anm.: vom Wiener Architekturbüro Eichinger oder Knechtl) kennen. Ich bot ihm an, den Laufsteg für die U Mode zu konstruieren, für 1000 Schilling Budget. Das war natürlich kein Anreiz. Aber ich hab ihm gesagt: Wenn er das schafft, dann kann er das Café Stein, das wir 1984 eröffnet haben, auch gestalten. Also hat er sich rangemacht. Er verwendete drei Meter hohen Pappkarton über zwölf Meter Länge und schnitt Fenster aus, die von innen gelb beleuchtet wurden. An der Außenseite malte er die Skyline von New York drauf. Fertig, sogar billiger als 1000 ÖS.

Wer hat die Plakate entworfen?
Das war der Art Director vom WIENER, der Gottfried Moritz, ein arger Kerl …

… der ist jetzt wieder unser Art ­Director.
… ich werde das nie vergessen: wir waren knapp vor Druckabgabe für die Plakate für die zweite U Mode – ich saß neben ihm und spornte den Gottfried an, endlich weiter zu tun. Ich hab mich ehrlich nicht vom Fleck gerührt, weil es pressierte schon recht. Dann mußte ich kurz weg Zigaretten holen – ich renn los, zur Trafik vis a vis und wie ich zurückkomm, war der einfach weg. Natürlich musste der Druck verschoben werden…

Wie seid ihr auf die Idee mit dem Club Flamingo am Montag gekommen?
Ich flog mit Christine Oberrauch, einer Tirolerin, die in Wien studiert hat, nach London. Da waren wir zwei oder drei Mal, zuvor waren wir in Berlin. Wir haben uns umgeschaut was die dort so machen. In London saßen wir bei George Michael in der Küche, haben Bier gesoffen und plauderten bezüglich eines Gigs im U4. Leider verpassten wir ihn um eine Woche, der Vertrag war beinahe fertig, dann ging der erste Wham Hit „Wake me up“ voll durch die Decke – und wir konnten unsere lächerliche Gage vergessen. Wir beschäftigten auch immer Scouts in Berlin und London – die haben uns regelmäßig informiert und uns Musik-Kassetten geschickt mit der Post. An einem Sonntag sind „Trio“ mit dem „DaDaDa Song“ aufgetreten, und gleich darauf fetzten sie auf Platz eins in Deutschland und Österreich. Bei der „Sade“ lief das ähnlich, sie war sechs Wochen nach ihrem Auftritt im U4 in Amerika auf Platz zwei der Charts mit „Smooth Operator“. Das Glück der Tüchtigen …

Und dann ging das mit den Clubbings los, auch im U4, oder?
Die Idee lautete „Club im Club“. Alle sprachen von „Clubbing“, aber ich mag den Begriff nicht. Wir haben das in einem Club in London gesehen, das war eigentlich so eine Art Pop-up Club. Zum Beispiel in einer U Bahn Station, oder in einem Kleiderladen, irgendwie haben wir davon gehört.Und irgendwann haben die das auch innerhalb von Clubs gemacht, die sonst ein ganz anderes Programm hatten. In Wien gab es sowas natürlich nicht. Und der einzige Tag, der bei uns nicht gut rannte war der Montag. Also haben wir gesagt, wir probieren das einfach, Club im Club am Montag und Flamingo sollte er heißen. Der Name kam von meiner Frau. Von den 50ern bis in die 80er existierte in Bad Reichenhall ein Tanzklub, der so hieß – sie ging dort zur Schule. Sven Boltenstern hat uns dann Anstecknadeln in Flamingo-Form entworfen und los ging es. Dann weiter: Am Heiligen Abend durfte man das Lokal nicht aufsperren, strenge Katholiken-Regel. Für uns kein Problem – wir öffneten einfach eine Minute nach Mitternacht und das war super, alle Kids kamen mit den Tausendern von der Oma und klatschten die bei uns auf den Tisch. Silvester war auch immer sehr lässig. Da haben wir um ein Uhr früh aufgesperrt. Draußen mit einer Sektbar. Alles sehr lustig.

Und auch der Flamingo ist von Anfang an geflogen?
Aber geh, gar nicht. Wir haben uns eingebildet, die Männer sollten alle Sakkos tragen. Alle dachten sich, wir haben einen Vogel. Im Schnitt würde ich sagen, die ersten sieben, acht, zehn, 50, 60 haben die Ansage befolgt. Dann hamma nimmer geschaut. Wir haben es mit Hosts probiert. Der Erich Joham war eine Zeit lang Host. Dann der Soldo und die Marianne Kohn. Aber es hat nicht und nicht funktioniert. Ich sage immer, es braucht einen langen Atem, gebe den Projekten immer etwa ein Jahr und frage bis dahin nicht nach, warum es nicht klappt. Und nach etwa neun, zehn Monaten auf kleiner Flamme war plötzlich immer mehr los, und irgendwann dann sogar mehr als am Samstag. Unser Nachfolger war dann ja der Volksgarten. Das war immer schon der Schmäh vom Volksgarten. Wenn irgendwo was wo funktioniert hat, haben sie es kopiert, damals mit der Soul Seduction. Ich meine, ist ja auch legitim.

Live-Club, Club im Club, Clubbing, Flamingo, U-Mode, alles funktioniert und läuft prächtig. Und trotzdem sagt der Ossi Schellmann 1986, ich ziehe weiter. Wie kommt das?
Das kam mit meinem 30. Geburtstag. Wir erinnern uns: mit 24 Jahren hab ich begonnen. Und dann, genau an meinem 30. Geburtstag, steh ich alleine in dem Eck, wo der Flipper war. Gar nicht so melancholisch. Aber trotzdem hab ich mir gedacht, ich bin nicht glücklich da. Und die Musik ist so laut. Und das Publikum ist so jung. Jetzt wird es langsam Zeit. (denkt nach) naja. Das Publikum ist so jung, hatte ein bissl mit Neid zu tun. Aber ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass du das mit den Menschen, den Gästen sozusagen, mitlebst. Weil wenn du das nicht selber lebst, dann spürst du es nicht. Und ich finde das Spüren ganz wichtig.

Das nächste Projekt hieß „Cafè Stein“, richtig?
Viele unserer Stammgäste hatten die U-Mode gesehen und mir vermittelt, wie wichtig sie das empfanden, dass es sowas gibt. Das ist quasi Fachberatung in der Interaktion. Und ich hab mal kurz in Italien studiert und wollte ein Cafè haben, das italienisches Flair mit Kultur verbindet. So etwas gab es ebenfalls noch nicht in Wien. Eine Kombination die ein Crossover der österreichischen und italienischen Kultur bildet. Die Architektur war da extrem wichtig, ich wollte es so haben, dass man nach zehn Monaten nicht mehr weiß, ob das vor zwei Monaten oder vor 20 Jahren entstanden ist.

Und woher kam der Name?
Warum Café Stein? Namen sind für mich nicht wichtig in ihrer unmittelbaren Bedeutung. Sie müssen leicht merkbar sein. Eine Silbe merkt man sich einfach. Das hat wieder mit dem Zeitlosen zu tun. Und noch was, es müssen Begriffe sein, die noch nicht besetzt sind. Der Inhalt ergibt dann die Assoziation.

Wie lief das mit den Kellnern im Café Stein? Aus denen ist ja dann auch meist irgendwer geworden …
Kellner im Café Stein zu sein erfüllte drei Funktionen. Erstens einmal warst du als Kellner künftig gefragt, weil man um die Qualität wußte. Zweitens hat man gewusst, du kommst jetzt nicht von der Gastro-Fachschule, sondern du bist einer aus der Szene. Und du machst wahrscheinlich auch irgendwas Kreatives. Du bist also entweder Musiker oder Maler oder Fotograf oder sonst was. Oder Kabarettist. Oder Journalist. Also nicht, weil du so arm bist, sondern weil es cool ist im Stein als Kellner zu arbeiten, hast du dort gejobbt. Und das hat den Leuten getaugt, den Gästen und den Kellnern. Ich habe die Leute immer persönlich ausgesucht. Eigentlich die Persönlichkeiten ausgesucht.

Eines der Projekte im Stein waren dann, quasi als erwachsene Fortsetzung der U-Mode, die „Imota“, die Internationalen Mode Tage. Wie kam es dazu?
Das war wieder so eine unmögliche Sache, damals Mitte der 90er-Jahre. Laufstege quer durch das Café Stein, kein Platz, schon gar nicht zum servieren. Bei einer der Modeschauen im Stein präsentierten die Schüler von Helmut Langs Modeklasse an der Angewandten. Der Pirouzi, Wendy und Jim, alle haben sie dort präsentiert. Als Models liefen die Maggie Entenfellner und auch die Ulli Sima gemeinsam. Und die Nina Proll. Ach ja, und dann war da noch ein gewisser Werner Schreyer.

Also wieder: Mehr Stress für weniger Umsatz, eigentlich?
Schau, servieren, kochen und kassieren waren mir eigentlich immer zu blöd. Und eigentlich hab ich mich immer für Kunst und Kultur interessiert. Eben diese Interaktion hat durchs U4 und im U4 begonnen. Seither achte ich immer darauf, wenn ich mich entschließe ein Projekt zu realisieren, dass es mehr ist als einfach gutes Essen, gute Preise, gutes Service. Die Frage ist immer, wo ist das Add-on? Also was bietest du mehr? Das war beim Stein so mit der Mode, den Blitzkontakten, den Foto-Ausstellungen und den Virtual Slams. Ich mache jetzt im Künstlerhaus ein Projekt und unterhalte mich unlängst mit dem Geschäftsführer und dem Ingenieur, und dann sagt der, dass er der erste Gewinner des Virtual Slam im Café Stein war.

Aber wie wir wissen, macht der Ossi alle 10 Jahre was Neues.
Und deswegen ist 1996 die Summer Stage gekommen. Genau. Damals noch unter dem Label Cafè Stein. Also, mittlerweile war ich schon 40. Ich erinnere mich, gleichzeitig zur Summer Stage Eröffnung haben wir ja damals diese Riesen-Modeschau-Events im Palais Liechtenstein veranstaltet. Als JazzFloorVienna, gemeinsam mit Sunshine, dem Heinzi und denen allen.

Was war für Dich der Unterschied zwischen der U-Mode und diesen regelrechten Groß-Veranstaltungen?
Die U Mode war viel spontaner, mehr basic, so wie das U4. Du hast gespürt, es geht nicht ums Geld. Und daher war die ganze Stimmung enthusiastisch. Jeder wusste, dass er nichts verdient und auch nichts verkaufen muss. Es ging eher um die Inszenierung. Entertainment und Show. Und nett war in Wahrheit, dass man das alles kaum anziehen konnte. Das waren halt Kunstwerke. Und im Palais Liechtenstein ging es dann um den Kommerz, um echtes Zeug und dessen Präsentation, verkaufsgetrieben. Das hat mich dann nicht mehr so interessiert. Es ist halt so: die schönsten Events waren immer schon die legendären Defizite. Sobald was mit Geld verdienen zu tun hat, entsteht eine Routine.

Ich verstehe den Schritt vom U4 zum Cafè Stein – den Schritt Cafè Stein zur Summerstage musst du mir erklären.
Naja, einerseits hab ich schon kreatives Potential, aber richtig gut bin ich im Erkennen von Chancen, im Erkennen von einfach Momenten, die zünden. Und ich kann dann diese Ideen dann auch gut umsetzen. Schau, wie is es zum Stein an der Location gekommen? Wir hatten eine Bäckerei im Zentrum und haben eine Bäckerei Filiale gesucht, aber Schwie­rigkeiten eine zu finden. Dann hat uns ein
Makler das Ding dort gezeigt.

Welches Ding?
Sie haben uns einen Automatenwaschsalon gezeigt, vis a vis von der Uni, vorm Jonas-Reindl. Noch weiter zuvor, in den 50ern, war es das Schuhhaus zur Robbe gewesen – am Eck oben sitzt so einen Steinrobbe und da steht drauf „Zur Robbe“, auch heute noch. Aber damals, 1983, war es ein Waschsalon. Und da haben wir uns gedacht, gut, ein bisschen groß für einen Bäckerei-Shop. Also, machen wir ein Cafè aus der Robbe.

Aber wie ging es dann weiter mit der Summerstage?
Der Bezirksrat vom 9. Bezirk rief mich an. Er hätte da so eine Idee, da er dort am Ufer des Donaukanals aufgewachsen ist und als Kinder haben die alle da gespielt, mit den LKW-Reifen im Wasser, so in den 40er, 50er Jahren. Und das wäre so schön gewesen. Ich sollte mir das unbedingt mit ihm ansehen. Er könnte sich ein Stadtfest vorstellen und so weiter und so fort. Also, ich glaube es war der 17. Jänner 1996, Minus 14 Grad, quergschnieben hat‘s. Oben war so eine Art Hundeklo, ja, und unten nur Gstätten. Furchtbar. Aber irgendwie hat mich das dann doch gereizt und ich hab mich damit auseinandergesetzt. Aber das lief natürlich auch völlig wahnsinnig, ich hatte nur einen Vertrag mit der Stadt, der auf ein Jahr lief. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich habe in Euro gerechnet mehr als eineinhalb Millionen investiert, alleine im ersten Jahr.

Du, alleine?
Ich alleine, mit dem Profilmanager. Wir bauten die Terrasse, haben oben alles installiert und dann meinte ich zum Lärmtechniker, was wir mit der Musik machen könnten. Sagt der, das könnte man nicht sagen, wir sollten es einmal ausprobieren, dann würden wir es schon sehen. Mörderdefizit im ersten Jahr, weil da gab es Dauerregen. Die Sommer 1994 und 1995 waren durchwegs heiß und trocken, Super-Sommerwetter, wir waren voll motiviert. Dann, 1996 ein Katastrophensommer. Aber wir haben halt weitergemacht, dann mit der Stadt zusammen. Ich bin insgesamt mit 2,7 Millionen Euro drinnen gehängt, ohne das Café Stein wären wir damals in den Konkurs geschlittert. Aber am Ende des Tages ist es sich irgendwie ausgegan­gen. Ich geb schon zu, ich habe auch immer ein Quäntchen Glück gehabt. Aber ich bin schon auch risikobereit, wenn es um ein Projekt geht, dass mich interessiert. Da lass ich mir nichts nachsagen.

Betreibst Du die Summerstage nach wie vor?
Die hab ich verkauft. Vor drei Jahren. Aber lass mich noch sagen: Auch bei der Summerstage spielten von Anfang an Kunst und Kultur eine große Rolle. Open Art war das Thema. Die Szene. Wieder die intellektuelle Elite der Stadt. Und im ersten Jahr haben wir eine „Summerstage Sommer Akademie ins Leben gerufen – mit Master-Class Künstlern. Einer der derzeit erfolgreichsten Künstler ist Hans Kuppelwieser. Der Hans hat damals eine Grasskulptur gemacht – der ist mit so einem Rasenmäher gegenüber die schräge Wies‘n abgefahren und hat was ins Gras gezeichnet. Herrlich war das.

Was macht der Ossi jetzt? Oder, provokant gesagt: Wenn Du vorher gesagt hast, dass man immer im selben Alter wie die Klientel sein muss, damit man versteht, was geht, müsstest du jetzt ein Kaffeehaus oder eine Bar für ältere Herrschaften machen?
Nein, nein. Die Gastronomie hab ich aufgegeben, mein Interesse liegt nun endgültig und viel mehr bei Kunst und Kultur. Eh schon seit 1980. Und ich bin sogar ein bisschen zurück zu meinen Wurzeln gekehrt, weil mein neues Hauptprojekt nennt sich „Klassik to Go“. Bei „Klassik to Go“ geht es um niederschwelligen Zugang zur Hochkultur. Man muss sich vorstellen: Österreich ist führend bei klassischer Musik und Oper. Wien ebenso. Hier haben wir Locations wie das Künstlerhaus, das Konzerthaus, den Musikverein und eben die Oper und vieles mehr. Dabei konsumieren das dann aber nur 10.000 Leute insgesamt. Und wieviele haben wir? 2 Millionen in Wien, 8 Millionen in Österreich und dazu noch 20 Millionen Touristen. Da sind 10.000 eigentlich gar nichts, außer reine Geldmacherei. „Klassik to Go“ bedeutet: kein Dresscode, keine Sitzreihen, kein Service – Stopp. „Klassik to Go“ heißt weiter trinken. „Klassik to Go“ heißt du kommst und du gehst wann du willst. Du kannst hingehen, zuhören, schauen, vielleicht nur fünf Minuten, vielleicht drei Stunden, dann gehst du wieder. Thats it.

Wie weit ist das Projekt schon gediehen?
Eigentlich schon recht weit. Wir bieten derzeit drei Linien an. Die eine ist „Klassik to Go – Hausmusik“ oder „Klassik to Go – Salon“. Das veranstalten wir in unterschiedlichen Locations. Beispielsweise ein Kammerorchester mit drei oder vier jungen Sängern, von 19 und bis 23, 24 Jahre alt. Eine Veranstaltung fand in der Villa Mautner Jäger auf der Landstraße statt, das ist dann mehr ein Salon. Eine andere Veranstaltung war im Club Praterstraße, das war schon mehr Party. Jedenfalls ist es immer ein öffentlicher Raum ohne Eintritt, jeder kann kommen und gehen wenn er mag.

Wie soll sich dieses Projekt weiter entwickeln?
Es ist noch „Work in Progress“. Aber es gibt schon große Pläne, gab auch schon einige große Veranstaltungen. Beispielsweise den Michaeler Platz, den haben wir drei Tage lang bestpielt. Großartig. Eine Vision. Die Menschen gehen vorbei, die Musiker fangen zu spielen an. Spielen etwa fünf Minuten, 300, 400 Leute hören zu. Kameras, es wird fotografiert und gefilmt. In dem Fall überwiegend Touristen. Anschließend fand das im Museumsquartier statt. Extrem gut. Und dann gibt es noch „Klassik to Go Rave“. Hier entsteht eine Kooperation mit der Staatsoper und mit der Musikakademie. Deren Problem ist das Durchschnittsalter ihrer Klientel, die sind in ihren 60er, 70er und 80ern, die sterben langsam weg. Ich hab denen klar gemacht, dass die Musik großartig ist, sie muss jedoch zeitgemäß präsentiert werden. Die jungen Menschen kannst du nicht mehr drei Stunden in die Oper setzen, die werden ja verrückt – wir leben in einer super-schnellen Zeit. Rave heißt Crossover Techno/House und Klassik. Das haben wir nun schon zweimal umgesetzt. 300 Leute. Bühne. 14 Musiker. Beim ersten Mal 5 Sänger. Beim zweiten Mal 10 Sänger. Der Chor befand sich mitten im Publikum. Eine 19 jährige fantastische Montenegrinerin singt die Carmen. Zeitlich umfasst die Veranstaltung 2 x 30 Minuten mit 20 Minuten Pause dazwischen. Im Applaus des Abgangs: Cut und Licht.

Was ist das Geschäftsmodell ­dahinter?
Das gibt es noch nicht. Wie gesagt – Legendäre Defizite. Wenn du bei Visionen am Anfang ans Geld denkst, dann fällt dir nichts mehr ein. Du musst sehr groß denken und die Visionen ausprobieren. Und irgendwann schrumpfen die Visionen zur Realität.

Und ab wann wird sogar ein Ossi Schellmann nervös?
Ich bin glücklich. Ich habe alles. Ehrlich gesagt will ich das aber auch nicht auf ewig selbst finanzieren. Es gibt so viele Leute in Wien, die reden und reden. So viele gescheite Menschen, die alles besser wissen. Super Ideen haben, aber nichts daraus machen. Und darum versuche ich immer, wenn ich eine Idee habe, sie einfach einmal umzusetzen. Beobachte wie es läuft. Und wenn es aufgeht, so wie jetzt, dann suche ich Sponsoren, was schwierig ist in diesem Bereich, aber es geht. Und dann hol ich die Stadt Wien natürlich auch dazu.


Oswald Schellmann
wurde 1956 in Gumpoldskirchen geboren, machte eine Tourismus Ausbildung in Wien und Salzburg. Seine ersten Lokale eröffnete er mit 21 in Wien, mit 24 gründete er das legendäre U4. Ab 1986 wechselte er ins Café Stein, wo er 1988 die „Trophee Gourmet A la carte“ erfand und realisierte. Ab 1991 fanden im Stein die ersten Poetry Slams Österreichs statt, ab 1996 belebte er mit der „Summerstage“ die bis dahin brachliegenden Ufer des Donaukanals. Seit 2023 widmet er sich seinem neuesten Projekt KLASSIK2GO.