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Hauptsache, alle sind beleidigt
Hauptsache, alle sind beleidigt
Seit Jahrzehnten ächzt das Land unter der großen Koalition.
Text: Rosemarie Schwaiger
Österreichs Regierung wird eher selten gelobt. Häufiger sind Kommentare wie dieser: „Jeder kennt solche Ehen: Die Partner haben gemeinsam so einiges erreicht, sind gemeinsam älter und einander überdrüssig geworden“, schrieb eine angesehene heimische Tageszeitung. „Je länger die ÖVP in der Regierung ist, desto besser lebt sie sich in die Oppositionsrolle ein. (….) Und je länger die SPÖ unter Beschuss ist, desto verbissener wird die Verteidigung, desto seltener der Entlastungsangriff.“ Dieser Analyse kann man sich anschließen, oder? Der Autor übertreibt ja nicht mit seiner Kritik. Lediglich in der Asylpolitik waren Rot und Schwarz zuletzt auf einer Linie. Überall sonst wird großkoalitionär herumgemurkst. Und die Metapher vom alten Ehepaar drängt sich praktisch auf, wenn Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner nach dem Ministerrat gemeinsam auftreten: Falls da noch etwas lodert, ist es sicher nicht die Leidenschaft.
Allerdings richtet sich der zitierte Zeitungskommentar nicht an Faymann und Mitterlehner. Die Abrechnung mit der Regierung erschien in der längst verblichenen Arbeiterzeitung – und zwar am 15. November 1989. Zu diesem Zeitpunkt war die große Koalition, nach einer ausgiebigen Pause, erst seit drei Jahren wieder im Amt. Den Zeitzeugen kam das Gezeter und Gestänker trotz dem schon quälend endlos vor. Es liegt also nicht an den handelnden Personen, wenn die Österreicher ihre Regierung kaum noch aushalten. Nicht einmal Reinhold Lopatka, eine anerkannte Koryphäe im Genre der unmotivierten Bösartigkeit, ist schuld. Es liegt am System. Auch Politiker, die leichter unter Genieverdacht gerieten als die aktuelle Belegschaft, müssten daran zerschellen. Die große Koalition kriegt jeden klein. Keine andere Regierungsform garantiert so zuverlässig, dass Politiker wie Wähler stets gleichmäßig beleidigt sind. Niemand bekommt, was er will. Alle fühlen sich geneppt. Und der permanente Zwang zum noch so unmöglichen Kompromiss hat Generationen von Amtsträgern charakterlich derartig deformiert, dass sie nur noch in Form von Gegengeschäften denken können:
Ich verzichte auf die Erbschaftssteuer, dafür gibst du mir die Registrierkassenpflicht. Dann sind wenigstens beide Seiten unglücklich. Das Gleichgewicht des Schreckens im Kalten Krieg war leichter zu ertragen als das Gleichgewicht der Frustrierten in der heimischen Politik. Seit 1945 wurde Österreich bis dato fast 43 Jahre lang von Rot und Schwarz gemeinsam regiert. Frei nach Ernst Jandl hieß das immer schon: Lechts blinken, rinks abbiegen – oder umgekehrt, ist ja sowieso egal. Die Wähler rächten sich, indem sie aus der großen Koalition über die Jahre ein putziges Koalitionerl machten: Zuletzt hatten Rot und Schwarz zusammen nur noch 51 Prozent. Bei der nächsten Nationalratswahl wird sich die GroKo vermutlich nicht mehr ausgehen. Die gemeinsam ertragene Schwindsucht ist alles, was bleibt. Dieses ruhmlose Ende hätte sich verhindern lassen, zum Beispiel in den 80er Jahren. Die Grünen waren 1986 erstmals ins Parlament ein gezogen, die FPÖ lag unter ihrem neuen Parteichef Jörg Haider noch unter 10 Prozent. SPÖ und ÖVP hatten gemeinsam fast 85 Prozent. Ein kluges Mehrheitswahlrecht wäre ganz einfach umsetzbar gewesen. Jetzt ist es dafür zu spät. Und für die große Koalition wahrscheinlich auch.
Foto © Andy Wenzel