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© Andy Wenzel

Hauptsache, alle sind beleidigt

Hauptsache, alle sind beleidigt

Seit Jahrzehnten ächzt das Land unter der großen Koalition.

Text: Rosemarie Schwaiger

Österreichs Regierung wird eher selten gelobt. Häufiger sind Kommentare wie dieser: „Jeder kennt solche Ehen: Die Partner haben ge­meinsam so einiges erreicht, sind gemeinsam älter und ei­nander überdrüssig geworden“, schrieb eine angesehene heimi­sche Tageszeitung. „Je länger die ÖVP in der Regierung ist, desto besser lebt sie sich in die Oppositionsrolle ein. (….) Und je länger die SPÖ unter Beschuss ist, desto verbissener wird die Verteidigung, desto seltener der Entlastungsangriff.“ Dieser Analyse kann man sich anschließen, oder? Der Autor übertreibt ja nicht mit seiner Kritik. Lediglich in der Asyl­politik waren Rot und Schwarz zuletzt auf einer Linie. Überall sonst wird großkoalitionär herumgemurkst. Und die Metapher vom alten Ehepaar drängt sich praktisch auf, wenn Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner nach dem Ministerrat gemeinsam auftreten: Falls da noch etwas lodert, ist es sicher nicht die Leidenschaft.

Allerdings richtet sich der zitierte Zeitungskommentar nicht an Faymann und Mitter­lehner. Die Abrechnung mit der Regierung erschien in der längst verblichenen Arbeiter­zeitung – und zwar am 15. No­vember 1989. Zu diesem Zeit­punkt war die große Koalition, nach einer ausgiebigen Pause, erst seit drei Jahren wieder im Amt. Den Zeitzeugen kam das Gezeter und Gestänker trotz­ dem schon quälend endlos vor. Es liegt also nicht an den han­delnden Personen, wenn die Österreicher ihre Regierung kaum noch aushalten. Nicht einmal Reinhold Lopatka, eine anerkannte Koryphäe im Genre der unmotivierten Bös­artigkeit, ist schuld. Es liegt am System. Auch Politiker, die leichter unter Genieverdacht gerieten als die aktuelle Beleg­schaft, müssten daran zer­schellen. Die große Koalition kriegt jeden klein. Keine ande­re Regierungsform garantiert so zuverlässig, dass Politiker wie Wähler stets gleichmäßig beleidigt sind. Niemand be­kommt, was er will. Alle fühlen sich geneppt. Und der perma­nente Zwang zum noch so unmöglichen Kompromiss hat Generationen von Amtsträgern charakterlich derartig deformiert, dass sie nur noch in Form von Gegengeschäften denken können:

Ich verzichte auf die Erb­schaftssteuer, dafür gibst du mir die Registrierkassenpflicht. Dann sind wenigstens beide Seiten unglücklich. Das Gleichgewicht des Schreckens im Kalten Krieg war leichter zu ertragen als das Gleich­gewicht der Frustrierten in der heimischen Politik. Seit 1945 wurde Österreich bis dato fast 43 Jahre lang von Rot und Schwarz gemeinsam regiert. Frei nach Ernst Jandl hieß das immer schon: Lechts blinken, rinks abbiegen – oder umgekehrt, ist ja sowieso egal. Die Wähler rächten sich, indem sie aus der großen Koalition über die Jahre ein putziges Koa­litionerl mach­ten: Zuletzt hat­ten Rot und Schwarz zusammen nur noch 51 Prozent. Bei der nächsten Nationalratswahl wird sich die GroKo vermutlich nicht mehr ausgehen. Die gemeinsam ertragene Schwindsucht ist alles, was bleibt. Dieses ruhmlo­se Ende hätte sich verhindern lassen, zum Beispiel in den 80er ­Jahren. Die Grünen waren 1986 erstmals ins Parlament ein­ gezogen, die FPÖ lag unter ih­rem neuen Parteichef Jörg Hai­der noch unter 10 Prozent. SPÖ und ÖVP hatten gemeinsam fast 85 Prozent. Ein kluges Mehr­heitswahlrecht wäre ganz einfach umsetzbar gewesen. Jetzt ist es dafür zu spät. Und für die große Koalition wahr­scheinlich auch.

Foto © Andy Wenzel