Essen
Höllisch scharfes Essen: Feuer her, Mann!
Überraschung! Scharfes Essen ist gesund und Chilis sind eigentlich Beeren. Pikante Einblicke in die Welt der Schoten, ohne die kein Grillabend unter Männern vollständig wäre.
Text: Roland Graf
Was darf’s denn sein? Sambal oelek, Sriracha Hot Sauce, Mole Adobo oder doch Harissa? Welche Herkunft die Grillsauce Ihrer Wahl auch hat, das Entscheidende ist in jedem Fall die Schärfe, die sie dem Fleisch verleiht. Sie stammt von Chilischoten, die botanisch eigentlich Beeren sind. Genauer gesagt lässt das Capsaicin in ihnen die Augen tränen und die Zunge wässrig werden. Es beißt. Und genau das besagt auch der aus dem Griechischen stammende Name: „kaptein“ heißt nämlich beißen.
Das aggressive Alkaloid findet sich allerdings in unterschiedlichen Konzentrationen in den bunten Früchten, je nachdem, wie viel die jeweilige Chili-Familie bilden kann. Während die Pflanze selbst ursprünglich aus Mexiko stammen dürfte, stellen die Spitzenreiter der Schärfeskala heute alle Vertreter von „Capsicum chinense“ dar, die allerdings keineswegs auf China beschränkt sind. Dem Stamm „Capsicum frutens“ wiederum gehören Piri Piri oder Bird’s Eye Chili an, der vergleichsweise zahme grüne Paprika wiederum zählt zu „Capsicum annuum“. Auch ohne Botanikstudium kann man diesen Unterschied sehen – und er ist wichtig für die persönliche Mutprobe mit der Grillsauce.
Denn in der Regel wird in den Keimdrüsen – der weißen Scheidewand – der höchste Gehalt an Capsaicin gemessen. Bei den extrascharfen Arten (siehe Kasten „Lick my Bhut!“) allerdings findet sich auch im Fruchtfleisch selbst der Schärfelieferant. An der Oberfläche ist dies durch eine narbige Optik erkennbar. Je weniger glatt also der Chili, desto mehr Feuer darf man erwarten. „Heiße“ Erkenntnisse wie diese stammen aus dem Zentrum der Chili-Forschung, das sich in Las Cruces im US-Bundesstaat New Mexico befindet; seit 1992 kümmert sich das Chile Pepper Institute um die höllisch scharfen Beeren aus aller Welt. Eine der wichtigsten Aufgaben der Institution ist die Bewertung neuer Varianten. Denn die Welt der Chilis basiert vor allem auf einer Frage, die Männern nicht fremd ist: Geht’s noch schärfer?
Für Institutsleiter Paul Bosland lautet die Antwort schlicht Ja: „Wir werden vermutlich bald eine Frucht mit 3 oder 4 Millionen Scoville sehen“, kündigt der Chili-Professor eine Verdoppelung des aktuellen Schärferekords durch Weiterzüchtungen der „vernarbten“ Varianten mit der Extraportion Capsaicin an. Doch auch mit 2.500 Scoville-Einheiten kann man es zum weltbekannten Scharfmacher bringen. Denn die „Hot Pepper Sauce“ aus Louisiana, besser bekannt als „Tabasco“, weist nicht mehr als diesen Wert auf. Sie feiert heuer ihr 150-Jahr-Jubiläum und „für ein kleines Land konsumiert Österreich ganz schön viel davon“, heißt es beim Hersteller auf Avery Island.
„Du kannst sie auf praktisch alles tun“, ist der Chefkoch in Diensten Tabascos Gary Evans überzeugt, „denn sie gibt nicht nur Schärfe dazu, sondern hebt den Geschmack aller Zutaten“. Erfunden wurde der scharfe „Geschmacksverstärker“ 1868 von Edmund McIlhenny. Chilisamen aus Mexiko, die er zu Pflanzen großzog, standen am Beginn, dazu kommen nur mehr Essig und Salz – und die Reifung in Eichenfässern. „65.000 Fässer Chili-Maische sind das aktuell“, so Evans zum WIENER, „diese Mischung reift dann bis zu drei Jahre“. Dass sich das fast wie in der Spirituosenbranche anhört, ist kein Zufall. „Ich habe erst vor ein paar Jahren erfahren, dass sie unsere Fässer verwenden“, lacht der Urenkel Jim Beams, Fred Noe, bei seinem Wienbesuch. Nachsatz des weltberühmten Whiskybrenners aus Kentucky: „Kein Wunder, dass sie mir immer so geschmeckt hat!“
Bis heute ziehen die McIlhennys die Chili-Nachfahren von 1868 am Familiensitz groß; aus den kräftigsten Pflanzen werden dann die Samen für das Folgejahr entnommen, „die gehen an unsere Farmer in Mittel- und Südamerika“. Wer den Tabasco-Konsum für eine amerikanische Sache hält, irrt allerdings, wenn es um die konsumierte Menge geht. Zwar gibt es in der US-Heimat auch eine Gallone (3,87 Liter!) Tabascosauce im Handel zu kaufen, doch den „scharfen“ Weltrekord hält Japan: „Die haben die Sauce überall und verwenden sie hauptsächlich zum Nachwürzen von Pizza und Pasta“, verrät Chili-Koch Evans. Vielleicht haben die Japaner aber auch nur gut im Medizinbuch nachgelesen. Denn chilischarfes Essen ist extrem – und zwar extrem gesund. Allein der Vitamin-C-Gehalt ist höher als bei Zitrusfrüchten, Vitamin A enthält die gleiche Menge Chili so viel wie Karotten. Damit nicht genug sorgt die Schärfe dafür, dass unser Gehirn glaubt, den Körper trösten zu müssen. Die berühmten Endorphine, verantwortlich für Glücksgefühle, werden ausgeschüttet. Selbst als Doping-Stoff kommt der Chiliextrakt daher in Frage – bei der Olympiade in Peking setzte es gleich vier Disqualifizierungen wegen des Capsaicin-Einsatzes bei Springreitpferden!
Das „Schoten-High“ funktioniert aber auch beim Menschen so zuverlässig, dass mittlerweile in der Schmerztherapie intensiv damit experimentiert wird. Vor allem Nervenschädigungen (die Diabetische Neuropathie, wer’s genau wissen will), sprechen ersten Forschungsergebnissen zufolge auf den Chili-Bestandteil an. Ein Grund mehr, dass Männer lieber scharf als süß essen sollten – Capsaicin ist offenbar wie Medizin.
Lick my Bhut!
Verschärft: die kleine Chili-Kunde
Bhut Jolokia
Die aus Assam stammende Schote vertreibt dort angeblich sogar Elefanten. Berühmt wurde sie als erster Chili, der 1 Million Scoville erreichte und somit ein paar Jahre lang als schärfste Schote der
Welt galt.
Carolina Reaper
Gilt mit 1,5 Millionen Scoville aktuell als schärfster Chili, der ursprüngliche Name des „Carolina-Sensenmanns“ klingt da harmlos: Als „High Power, Topf 22, Pflanze B“ führte sie Züchter
Ed Currie aus Rock Hill/South Carolina.
Gelbe Kirsche
Der Scharfmacher aus der k.u.k. Monarchie, allerdings der ungarischen Reichshälfte, ist die Königsklasse der „Kirschpaprikas“. Mit ihren 3.000 Scoville aber immer noch ein Einstiegsmodell fürs Zungenbetäuben.
Jalapeño
Die grünen, spitz zulaufenden Mexiko-Chilis kennt man meist eingelegt und in Scheiben geschnitten. Schärfetechnisch mit ihren bis zu 6.500 Scoville eher eine Sache für Anfänger.
Naga Morich
Wie alle superscharfen Varianten (wir sprechen von einer guten Million Scoville) ist auch die in Bangladesch als „Schlangenchili“ bekannte Pflanze eine Abart von Capsicum chinense.
Scotch Bonnet
Der gelbe Liebling aus Jamaica verdankt seinen Namen der Schottenmütze, an die seine Form erinnert. Mit beachtlichen 300.000 Scoville gehört er in die klassische Jerk-Sauce, die Grillhühner scharf macht.
Trinidad Moruga Scorpion
Sieht aus wie eine golfballgroße Mandarine und stammt von der namensgebenden Insel Trinidad. Trotz der fruchtigen Geschmackskomponente hat sie gefährliche 1,2 Millionen Scoville.