Motor

Hängt sie höher!

Schwingt man dieser Tage durch den Urwald namens Social Media, möchte man meinen, wir Autofahrer könnten die Welt im Alleingang retten. Vor allem auf die Besitzer von Sports Utility Vehicles wird da scharf geschossen, was bisweilen auch schon zu Übergriffen in der echten Welt geführt hat. Fest steht: Selten traf in einer öffent­lichen Diskussion so viel dümmliche Polemik auf so wenig Sachverstand, um gemeinsam die große Hetzsause zu feiern. Zeit also, für ein paar Fakten zu sorgen und ein paar „Missverständnisse“ aus dem Weg zu räumen.

Text: Franz J. Sauer, Mitarbeit: Jakob Stantejsky, Maximilian Barcelli / Foto Header: Getty Images / Fotos: Getty Images (2), picturesed.com (1)

Das SUVs brauchen mehr Sprit als kleinere Autos. SUVs verstellen unseren Kindern den Raum zum Spielen. SUVs sind gefährlich, weil man ihre Maße schlecht ­abschätzen kann. SUVs sind ­Penisprothesen. SUVs sind Macho-Insignien. SUVs sind frauenfeindlich, weil nur für ­große Menschen gebaut.

Noch ein paar Platitüden aus Social-Media-Land und Umgebung gefällig? All die Zitate kamen uns in den letzten drei Wochen bei unserer Recherche zum Thema Mobilität unter. Ebenso ungefragt wie zufällig. Will man zuerst noch auf Einzelstatements reagieren, wird einem bald bewusst, dass derlei zwecklos ist. Es geht hier nicht um Zahlen und Fakten, es geht um die Sache an sich. Es geht ums Verteufeln des Indivi­dualverkehrs, auf der Bugwelle der – sicher notwendigen – ­Rettung des Klimas reitend. Da ist Vereinfachung gefragt, also nimmt man den Protagonisten mit der größten verfügbaren Angriffsfläche querbeet ins Visier: eben die bösen, bösen SUVs.
Ein herrlich blödsinniger ­Irrweg, fast ebenso falsch, wie, einem Kürzel, wenn man es in der Mehrzahl bringt, ein kleines „s“ hintan zu setzen. SUV steht für Sports Utility Vehicle, ebenso wie es auch für Sports Utility Vehicles stehen könnte. Aber die Sache mit dem kleinen „s“ hinter SUV ist sowieso bloß der harmloseste ­Irrtum in einer gesamtheitlich ziemlich entrückten Debatte, der wir durch simples nüchternes Aufzeigen einiger Tatsachen ein wenig das Feuer aus der Glut nehmen wollen. Wollen Sie ­mitkommen? Steigen Sie ein.

Henne oder Ei?
Zunächst: Nicht die Autoindus­trie hat die Fahrzeuggattung SUV erfunden, um damit etwa Fußgänger und Radfahrer zu ärgern. Die Konsumenten verlangten nach größeren Fahrzeugen, die auf überschaubarer Grundfläche viel Platz, bessere Rundumsicht, viel Stauraum und gemütlich Platz für die ganze Familie unterbrächten, und orientierten ihre Wunschliste an den seit jeher aus Sachzwängen größer geratenen Geländefahrzeugen. In manchen Sichtweisen ist so der Range ­Rover, der in seiner Urform bereits 1970 auf den Markt kam, das erste SUV der Geschichte, was schon allein deshalb nicht stimmt, weil ein SUV der heutigen Prägung schon an der Einfahrt zu jenem Offroad-Parcours kläglich verreckt, in dem sich ein Range Rover oder auch ein Puch G, Nissan Patrol oder Toyota Landcruiser erst richtig wohlfühlen. Die ersten SUV-Exemplare heutiger Prägung erwuchsen etwa Mitte der Neunzigerjahre dem urbanen Asphalt und traten in Gestalt eines Mercedes ML, eines BMW X5 oder eines Toyota RAV4 auf, um auch einen frühen Vertreter der Gattung „Kompakt-SUV“ zu nennen. Dass die erstgenannten Vertreter der Spezies allesamt der Luxusklasse angehörten, also richtig Geld kosteten, hatte von allem Anfang an keinerlei Einfluss auf die Verkaufszahlen. Schon für den ersten BMW X5 – wir sprechen vom Jahr 2000 – ­lagen bei den Händlern seitenlange Bestelllisten auf, für ein sofort verfügbares Modell wurde bereitwillig Aufpreis gezahlt. Die vorteilhafte Kombination aus üppigem Platzangebot, geräumiger Rundumsicht, ansprechender ­Motorleistung, Allradantrieb und löffelweise Prestige in der Außenwirkung sprach sich schnell auch in weniger autophilen Kreisen herum. Bald deklinierte sich die SUV-Lust auch in die niederen Fahrzeugklassen, und die Her­steller reagierten folgsam. Hatten 2009 Marken wie VW, Ford, ­Renault oder Opel gerade mal ein oder zwei SUV-Modelle im Angebot, so sind es heute mindestens drei pro Marke, quer durch alle Segmente. Was folgerichtig darauf hinweist, dass das SUV ein recht frisches Phänomen im Autoangebot ist. Und sich daher schwer tut, die Generalschuld an der Klimakrise willig anzunehmen.

Wer fährt SUV?
Vornehmlich Neuwagenkäufer, und die sind meist in der älteren Käuferschicht zu finden, wo auch das höhere Sitzen und das leichtere Einsteigen per definitionem eine Rolle spielen. So ungern das auch in gewissen Kreisen rezipiert werden mag: Auch Frauen mögen das SUV ganz gern, der besseren Rundumsicht und der besseren, passiven Sicherheit wegen. Somit wird eines der Hauptargumente gegen das SUV (wir erinnern uns: Das SUV ist frauenfeindlich …) entkräftet, aber auch der anhaltende Trend zu immer kompakteren SUV-Modellen gut erklärt. Dass diese dann salopp als „City-SUV“ bezeichnet werden, obwohl ihre Feinde gerade das Vorhandensein solcher Vehikel im urbanen Raum verteufeln, ist ein Treppenwitz der Geschichte. Fest steht jedenfalls: Die Zulassungszahlen bei SUV-Modellen explodieren. Zwischen 2010 und 2017 etwa haben sich die SUV-Neuzulassungen verdoppelt, seit 2018 führen sie die Zulassungsstatistik an, außerdem sind sie neben Sportwagen auch das einzige Segment, das Zuwächse verzeichnete, und zwar um satte 19 Prozent von 2018 auf 2019 (Quelle: Statistik Austria)

Groß oder größer?
Obwohl ein SUV meist durch ein wuchtiges Auftreten und massive Stoßfänger oder Beplankungen auffällt und also größer wirkt, braucht er auch nicht mehr Grundfläche als ein Nicht-SUV der entsprechenden Fahrzeuggattung. Ein Tiguan ist nicht größer als ein Golf, ein X5 nicht größer als ein 5er-BMW. Und ein Audi Q3 ist von der Grundfläche her sogar ein bisschen kleiner als der vergleichbare A4. Kaum zu glauben, aber nicht minder wahr: Die SUV-Modelle verbrauchen auch nicht mehr als ihre gegenübergestellten Niedrigvarianten. „Vernünftig motorisiert kann ein SUV durchaus umweltfreundlich sein“, stellt etwa „Autoprofessor“ Konrad Dudenhöffer klar und nimmt dabei auf Realzahlen Bezug. Und auch die meisten Plug-in-Hybride neuerer Bauart gewärtigen ihren Markstart oft in ausgewachsenen SUV-Varianten, weil dort mehr Platz für die raumbedürftige Mehrtechnik vorhanden ist und auch das Mehrgewicht nicht ganz so schwer zum Tragen kommt wie bei kleineren Autos. Stellt man also fest, dass der allgemeine „SUV-Hass“ empirisch nicht an der gesamten Fahrzeuggattung festzumachen ist, muss man dessen Ursachen im Auftritt richtig fetter Exponate von der Bauart eines BMW X7, eines Porsche Cayenne oder eines Audi Q8 suchen. Tatsächlich sind diese Modelle aber schon ob ihres hohen Anschaffungspreis in den Zulassungsstatistiken eher unter „ferner liefen“ zu finden.

Pars pro Toto?
Nun wissen wir also: Weder kann das SUV alleine an der ganzen CO2-Problematik schuld sein noch wird ein Verbannen seiner Gattung unsere Probleme mit dem Klimawandel im Alleingang lösen. Womit recht schnell zu erkennen ist, dass das SUV und das ganze Gezetere drumherum nichts weiter als eine Stellvertreterschlacht für das gesamte Themenfeld Automobil darstellt, global betrachtet sogar für das Themenfeld Individualverkehr. Auch hier sind, will man demgegenüber offen sein, Argumente anzu­führen, die den Stellenwert der ­ganzen Diskussion schnell als heillos überzogen entblößen.

Gerade die Automobilbranche hat nämlich in den letzten 20 Jahren einige effiziente Maßnahmen umgesetzt und auf Schiene gebracht, um den Schadstoffausstoß ihrer Produkte sinnbringend zu reduzieren. Stellt man vergleichbare Modelle entsprechender Fahrzeuggattungen von 1990 und von heute gegenüber, so lässt sich durch die Bank feststellen, dass die angegebenen Normverbräuche etwa um die Hälfte gesunken sind, während die Motorleistung und auch das Gewicht der nämlichen Autos – viel umfangreicheren Serien- und Sicherheitsausstattungen geschuldet – um etwa denselben Quotient gestiegen sind. Ein Beispiel: Ein VW Golf 3 von 1991 mit 1,8 Litern Hubraum und 90 PS schlug mit einem Normverbrauch von 9.7 Litern im Stadtverkehr zu Buche. Ein 7er-Golf aktueller Bauart verbraucht im gleichen Inertialsystem mit 115 PS nur mehr 5,7 Liter Sprudel. Noch gravierender werden die Unterschiede bei Modellen mit Dieselmotor deutlich, Dieselskandal hin oder her: Verbrauchte ein Mercedes-­Benz S 350 TD anno 1992 bei 150 PS Leistung satte 11,7 Liter Diesel in der Stadt, so kommt sein heutiges Pendant namens S 350 d (286 PS) mit kombinierten 5,9 Litern aus. Welche andere Branche konnte die Umweltschäden ihrer Produkte derart signifikant reduzieren? Noch dazu bei noch lange nicht ausgeschöpftem Potenzial, Stichwort Hybrid, Stichwort E-Antrieb, Stichwort Wasserstoff.

Autoindustrie, quo vadis?
Verfolgt man die Reaktionen von Vertretern des Millionenbusiness Autoindustrie auf die teils haarsträubend realitätsfernen Anwürfe der Anti-Auto-Kamarilla, fällt einem nur noch das Gleichnis des Kaninchens vor der Schlange ein. Eine zusammengewürfelte Truppe von Aktivisten namens „Sand im Getriebe“, die es nicht mal schafft, sich von durchgeknallten Anarchos, die bei Autohändlern SUV-Exemplare in Brand stecken, zu distanzieren, mischt mit einem realitätsfernen Forderungs­katalog im Vorfeld und einem friedlichen wie lächerlichen Sitzstreik vor dem Frankfurter Messegelände die größte Automobil­show Europas, die IAA, medienwirksam auf – und die Branche ist kleinlaut um „Schadensbegrenzung“ bemüht. Wie wäre es mal mit einer etwas schärfer verfassten Antwort? Oder will man jene Kunden, denen man in den letzten Jahren all die schönen Sport Utility Vehicles und Kompaktflitzer verkauft oder verleast hat, nun tatsächlich argumentativ im Regen stehen lassen, wenn sie sich immer öfter und lauter zum Sündenbock der Klima-Apokalypse stempeln lassen muss?

Der gute Ton.
In vielen Kreisen, vornehmlich urban verortet, gehört es längst zum guten Ton, Autos und Menschen, die Autos mögen, generell wie pauschal zu Leuten einfacheren Gemütes abzustempeln. ­Dabei werden jene, die Autos ­gerne mögen, und jene, die Autos wirklich brauchen, herrlich ­unverbrämt in einen Topf ge­worfen. Sollen sie doch näher zum Billa ziehen, draußen auf dem Land. Oder gleich in die Stadt. Hauptsache, das Auto kommt weg. Im hilflosen Geheische nach Kreuzerlspenden kam da im jüngsten Wahlkampf der Begriff der CO2-Steuer flächendeckend zur Sprache, je nach Fraktion unterschiedlich auf­gedröselt. Unter jenen, die sich überhaupt auf echte Zahlen festlegten, ­wurden etwa 100 Euro pro Tonne CO2-Ausstoß durchschnittlich ins Rennen gebracht. Die Steuerungsfunktion einer solchen Steuer liegt auf der Hand: Wer mehr fährt, soll auch mehr ­zahlen. Aber weil eine derartige Zusatzbelastung etwa bei der Landbevölkerung oder bei Pendlern kaum durchsetzbar wäre, könnte man bloß über ein Ersatzmodell für die derzeitige Berechnungsart nachdenken. Dann greift man mit den 100 Euro pro Tonne allerdings gehörig in den Gatsch. Ein VW Golf 1,5 TSI etwa, mit einem 150-PS-Benziner ausgestattet würde beim Betrieb über fünf Jahre und bei einer Jahresleistung von 30.000 Kilometern nur ein Drittel dessen kosten, als für ihn heute zu berappen ist (Quelle: motorblock.at, dort sind noch weitere konkrete Berechnungen zum Thema zu ­finden). So gesehen, kommt die derzeitige Regelung dem Auto­freund gegenüber sogar wesentlich ungelegener als eine eventuelle Neuordnung, weil er nämlich für das stehende Auto genauso viel bezahlt wie für das fahrende.

Miteinander statt gegeneinander.
Vielleicht wäre es schlau, hier die gegnerischen Seiten zusammenzuführen, statt sie aufeinander loszuhetzen. Die meisten Autofahrer fahren auch gerne Fahrrad, die wenigsten Autohasser fahren niemals mit dem Taxi. Außerdem: Wäre der Verzicht auf das Auto die Lösung aller Klimaprobleme, müsste man sein Auto schon verschrotten, und nicht verkaufen. Weil dann fährt ja nur wer anderer damit. Aber wer ist schon im Dienste des Klimas tatsächlich bereit, 10.000–20.000 Euro in den Gulli zu kippen?