AKUT
Ein knappes Nein zu Zwentendorf – und wie es dazu kam.
Liebe Kinder, hörts gut zu, ich erzähl‘ euch schnell was. Zeitreise: Mitte der 70er Jahre demonstrierte ich gegen das AKW Zwentendorf. Ich war nicht allein. Dann wurde bei einer Volksabstimmung entschieden: Kein Atomstrom in Österreich. Ohne Nazis und Rechtsextreme hätten wir das damals nicht geschafft.
Text: Georg Biron
Am 22. Juni 1977 ist im ORF die neunte Folge der Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“ zu sehen. Darin stapft Mundl Sackbauer aka Karl Merkatz über einen Acker. Im Hintergrund ist das AKW Zwentendorf zu sehen. Neu erbaut, aber (noch) nicht in Betrieb. Und „der Mundi“ erklärt: „Der Kreisky hat gesagt, er draht es erst auf, wann er waaß, wohin mit dem Müll, mit die hinigen Atome.“
Reizwort Zwentendorf
„Zwentendorf!“ Ein Reizwort. Die Energie der Zukunft für die einen. Billig, sauber und modern. Die Gegner reden von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, von Profiten für die Konzerne, von gesundheitlichen Risken. 1971 werden Nägel mit Köpfen gemacht. Die SPÖ-Regierung unter Kanzler Bruno Kreisky will modern sein und startet die AKW-Pläne für Zwentendorf. Und niemand legte sich quer. Ois leiwaund around.
Doch das ändert sich schnell. Der Widerstand formiert sich. In Vorarlberg sind die Menschen gegen ein grenznahes AKW in der Schweiz, das schließlich nicht gebaut wird. Im Waldviertel stellen sich Bauern gegen die Pläne, bei Allentsteig ein Atommüll-Endlager zu errichten. Im oberösterreichischen St. Pantaleon, wo ein weiteres AKW geplant ist, geht man kämpferisch auf die Straße: 70 % der Leute deklarieren sich als AKW-Gegner. In Kärnten soll nur vier Kilometer neben der ehemaligen Partisanen-Hochburg Völkermarkt ein Atomkraftwerk errichtet werden. Dort ist es ruhig, weil die Öffentlichkeit nix davon ahnt.
Alle gehen auf die Straße
Österreichweit finden Demos statt, Info-Veranstaltungen, Hungerstreiks. Die Atom-Gegner sind ein bunter Haufen. „Krethi und Plethi“. Das gemeinsame Ziel eint sie.
ÖVP und FPÖ, anfangs Feuer und Flamme für die Atom-Energie, distanzieren sich allmählich. Auch in der SPÖ spaltet das Atom die Einheit. Es gibt Plakate mit dem Text: „Ja zu Kreisky, nein zu Zwentendorf!“ Die Grünen und Alternativen existieren damals noch nicht.
Katholische Kerzelschlucker und besorgte Mütter sind mit von der Partie. Auch Anarchisten, Maoisten und Trotzkisten. Die KPÖ-Kummerln bleiben zu Hause. Sie müssen für Atomkraft sein, weil auch die Sowjetunion dafür ist. Ein linker Liedermacher tritt auf und singt: „Das Atom ist saudumm, didel-dadel-dodel dumm, wenn wir Kerne spalten müssen, tun wir es mit Nüssen.“
Auch die Rechten marschieren gegen Zwentendorf
Vor allem aber auch die Rechten sind es, mit denen Schulter an Schulter marschiert wird. Die NDP des verurteilten Terroristen Norbert Burger, die ANR (Aktion Neue Rechte) sowie auch deutschnationale Burschenschaften, die befürchten, dass durch radioaktive Strahlung das Erbgut des deutschen Menschen Schaden nehmen könnte. Der „Weltbund zum Schutz des Lebens“, vom Schriftsteller und SA-Sturmführer Günther Schwab gegründet, ist auch im Boot. Eine wichtige Rolle spielt der ehemalige SS-ler und KZ-Aufseher Walther Soyka. Der Rechtsextreme initiiert mit seiner „Gesellschaft für biologische Sicherheit“ das Volksbegehren gegen Zwentendorf und wird oft als „Vater“ der österreichischen Anti-AKW-Bewegung bezeichnet.
Kreisky weiß nicht, wie ihm geschieht, und lässt sich zur Aussage hinreißen: „Das sind Methoden, die angewendet werden von terroristischen Gruppen, dem beuge ich mich nicht. Ich habe es nicht notwendig, mich von ein paar Lausbuben so behandeln zu lassen.“
Mit Hubschraubern werden im Jänner 1978 Brennstäbe nach Zwentendorf eingeflogen. Im Juni ordnet Bundespräsident Rudolf Kirchschläger eine Volksabstimmung an. Am 5. November 1978 entscheiden die Lausbuben und -mädchen: 1,576.839 (49,33%) stimmen mit JA zu Zwentendorf, 1,606.308 (50,47%) mit NEIN. Ein überraschendes Plus. Hauchdünn. Aber die Würfel sind gefallen. Eine Allianz von ganz links nach ganz rechts hat die Pläne der Atom-Lobby in Österreich vernichtet. Und gezeigt: Demokratie funktioniert. Wenn man sie lässt.
Lernen’s Geschichte
Der schlaue Fuchs Bruno Kreisky wandte übrigens schon damals heute populäre Maßnahmen an und wird mit folgender Aussage zitiert: „Wer da glaubt, dass es eine gute Sache ist, wenn man mit Nazis, Reaktionären und Extremisten in einer Front kämpft, entbehrt der primitivsten politischen Vernunft und Solidarität gegenüber der Gesamtbewegung.“ Fakt ist jedenfalls: Hätte sich die Atombewegung nicht von Rechten und Rechtsextremisten „kapern“ lassen, wäre Zwentendorf in Betrieb gegangen.