AKUT

Alexander Rudan – Neues aus der Werbewelt

WpCron

Liebe Mutti!

Hier bei der DMLH&W New AdDigital Group überschlagen sich wieder mal die Ereignisse. Gleich vorweg: Entschuldige bitte, dass ich mich in letzter Zeit kaum bei Dir gerührt habe, aber ich hatte meinen letzten freien Tag vor etwas mehr als 6 Wochen. Wir haben wirklich Tag und Nacht gebuckelt. Auch Samstag Sonntag.

Dabei hat alles so vielversprechend begonnen. Fand ich zumindest. Mein Kollege Helmut hat ja gleich gemeint, dass das nur übel enden kann, wenn es schon so anfängt. Und ich habe das noch seinem latenten Zynismus zugeschrieben, weil wenn der neue Marketing Direktor der Agentur beim Briefing für die Jahrespräsentation mit auf den Weg gibt, dass er das Kreativste haben will, was die Branche je gesehen oder eben noch nie gesehen hat, einen echten „Gamechanger“, wie er gemeint hat, dann denke ich mir, cool!, endlich einer, der richtig gute Werbung haben will. Und wie der Helmut gemeint hat, dass das immer die Schlimmsten sind, die die größten Ideen einfordern und die genau solche nicht mal erkennen, wenn man sie ihnen an den Hintern tackert, habe ich das halt seiner typischen Grummeligkeit zugeschrieben.

Aber, was soll ich Dir sagen? Der Helmut sollte recht behalten. Leider. In Summe fünf völlig verschiedene Kampagnen haben wir ausgearbeitet: TV, Plakat, Print, Hörfunk, Digital sowieso, PR-Stunts, Events … immer die komplette Klaviatur rauf und runter! Jedes Mal haben wir sie mit Verve präsentiert. Und jedes Mal hat der Neue uns die Sachen um die Ohren gehaut, weil sie ihm nicht gefielen. Oder weil er sie sich anders vorgestellt hätte. Wie, konnte oder wollte er uns auch nicht sagen, aber eben anders. Und dann hat er uns immer wieder mit neuem Briefing, dafür aber kürzeren Timing, an den Start zurückgeschickt. Bis ihm endlich etwas gefallen hat. „Geht ja!“, hat er uns zufrieden gesagt. Und er wisse einfach, wie man Agenturen „challengen“ müsse. Dass die Kampagne, die wir jetzt machen werden, fad und austauschbar ist, brauche ich nicht extra zu erwähnen. Ein Abklatsch von einer gerade laufenden Bankenkampagne. Und übrigens auch einer Mobilfunk-Kampagne. Und der einer Supermarktkette.

Aber was ich Dir eigentlich erzählen wollte: Wir sind zu einer riesigen Wettbewerbspräsentation eingeladen und unser Chief Chief Creative Officer will, dass ich da mitarbeite. Worauf ich eigentlich total stolz bin. Ist ja ein super Vertrauensbeweis. Aber da erwartet mich wieder Arbeit Ende nie. Und Du weißt ja, ich bin wie der Duracellhase, aber nach der Anstrengung der letzten Wochen brauche sogar ich ein bisschen eine ruhigere Gangart. Oder ein paar Tage frei. Also habe ich mir ein Herz gefasst und um einen Termin bei unserem Chief Chief Creative Officer gebeten, um ihm meine Situation zu erklären. Seine dritte Assistentin war total nett und hat mich eingeschoben. 15 Minuten, keine Minute mehr! „Da ist er streng“, hat sie mir noch gesagt. Also habe ich mich vorbereitet. Punkt für Punkt. Wie ein Einser. Ich wollte beim Eintreten auch keine kostbare Zeit verschwenden und habe gleich angesetzt, aber er hat mich mit den Worten „Endlich einer, der mich versteht!“ unterbrochen und mich auf seine neue Designer-Couch gebeten. Und dann hat er mir eine Stunde lang sein Herz ausgeschüttet. Ausgerechnet mir! So mache ihm das alles keinen Spaß mehr und das hätte er sich bei der Schufterei wohl nicht verdient und überhaupt sei er jetzt „ultimativ down“, weil er – und das bitte nach einem Jahr Wartezeit, in dem er mit einem total öden 0815 911er vertröstet wurde! – endlich den neuesten Porsche in einer exklusiven, in Europa überhaupt nur fünf Mal verfügbaren, Rennversion bekommen hätte. Mit Sonderlackierung. Also quasi einen ewigen Traum verwirklicht. Und ausgerechnet jetzt platzt dieser, weil die Schalensitze in diesem Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst sein altes Rückenleiden wieder entfacht hätten und er den Boliden bei bestem Willen nicht fahren und deshalb zurückgeben müsste. Aus der Traum! Einfach so! Mein oberster Chef, unser Fels in der Brandung, ein Häufchen Elend! Ich wusste gar nicht recht, wie ich diesen sonst so starken, jetzt so vom Leben geprüften Mann trösten sollte. Ich wusste nur, dass ich meine egoistischen Pläne jetzt hintanzustellen hatte. Keinen Gang runter schalten! Keine freien Tage! Ich wollte ihn, der so großes Vertrauen in mich setzt, nicht auch noch enttäuschen. Also muss ich wohl reinbeißen und mein Bestes geben und das bedeutet auch, dass ich über Weihnachten heuer nicht nach Hause komme, weil die Präsentation ist gleich nach Dreikönig und da zählt jeder Tag. Dafür will sich der Kunde schon Ende Jänner für eine der der 16 eingeladenen Agenturen entscheiden. Ich bin sicher, Du verstehst das.

Gruss und Kuss, Dein Vinzenz.


Alexander Rudan
Kreativdirektor von Havas Wien, ist seit mehr als 25 Jahren in der Werbung. Sein Alter Ego ­Vinzenz Birngruber gibt uns in Briefen/Mails an seine Mama daheim in Salzburg Einblicke in den ganz nor­malen Werbealltag.