AKUT

Manfred Rebhandl

Lemmys neues Gras

Manfred Rebhandl

Ich lag in der Wanne, schüttete mir etwas russische Brühe in einen Becher, und dann zündete ich mir einen fetten Joint mit dem neuen Gras, das Lemmy unten in seiner Bude züchtete, an. Lemmy nannte es „Lazy Bastard“, und er versprach jedem, der sich das Zeug in die Venen stellen wollte, dass es ihn richtig tief in die Couch drücken würde. Freilich musste es zuerst jemand testen, und dieser Jemand war mal wieder ich.

Ich zog also ein paar Mal kräftig an dem fetten Joint, und dann versuchte ich gar nichts zu tun. Nach kurzer Zeit aber hörte ich schon wieder auf, gar nichts zu tun, denn gar nichts zu tun langweilte mich. Ich war noch zu hibbelig, also griff ich nach einem Pornoheftchen, das bei mir immer neben der Wanne lag. Ich schaute mir die Titelseite mit den Titten von Immanuela Cunt drauf an und dachte: Aha, Immanuela Cunt! Dann fing ich an, an mir herum zu rubbeln, aber schon nach kurzer Zeit warf ich Immanuela Cunt mit ihren Titten wieder weg. Ich kriegte einfach kein Blut in meinen kleinen Rocky, so sehr ich mich auch abmühte, und ich fragte mich, woran das lag.

Ich zog noch einmal kräftig am fetten Joint mit dem neuen Gras, das Lemmy unten in seiner Bude züchtete, und dachte nach: Wohin sollte mein Leben mich überhaupt noch führen, welche Aufregungen sollte es noch für mich bereit ­halten? Und wollte ich überhaupt noch Aufregung? Je mehr ich von Lemmys neuem Gras, das er unten in seiner Bude züchtete, inhalierte, desto weniger schien ich noch welche zu wollen.

Plötzlich sah ich ein Faultier bei mir in der Badewanne sitzen. Es klopfte langsam mit seinen drei Fingern gegen das Email meiner Wanne, bevor es mit einem dieser Finger auf mich zeigte und fragte: „Willst du eine Geschichte hören, Arschgesicht?“ Und als ich kaum merklich nickte, weil ich außer Kaum-Merklich-Nicken nichts mehr tun konnte, fing das Faultier an zu erzählen:

„Der Wind weht immer leise durch die Blätter der hohen Bäume auf unserer sehr hoch entwickelten Insel Indanasien auf dem sehr weit entfernten Kontinent Nasien, wo auch die sehr angesehene Faultierfamilie Slow wohnt: Jocelyn Slow, ihr Mann Joe Slow, sowie die beiden Kinder Joey und Jody Slow, die sechs oder vier Jahre alt sind – so genau weiß das auf Indanasien keiner -, und die manchmal in den Kindergarten gehen, meistens aber nicht. ­Capito?“

Ich antwortete, soweit ich noch antworten konnte, mit „Ja!“

„Die Slow-Kinder sind nämlich so langsam, dass sie erst einen Meter und vier Zentimeter zurückgelegt hätten, wenn der Kindergarten am Abend wieder zumacht. Sie hätten also entweder „aufs Tempo drücken“ müssen, wie man auf weniger hoch entwickelten Inseln sagt, und ­dafür vielleicht sogar den Finger aus der Nase nehmen. Oder sie wären eben erst nach elf Tagen, zwei Stunden und 5 Minuten im Kindergarten angekommen, capito?“

Ich nickte, soweit ich noch ­nicken konnte.

„Wenn die Slow Kinder nicht in den Kindergarten gehen, dann ruft aber deswegen keiner zu Hause an und schreit wie der Verrückte ins Telefon: ‚Wo bleiben denn die Slow-Kinder heute, wir haben schon Sesselkreis!’

Es gibt nämlich kein Telefon auf Indanasien, weil keiner eines braucht, und es gibt keinen Sesselkreis, weil es gar keine Sessel gibt! Es gibt außerdem keinen Wecker, keine Kirchenglocken, keine Hupen, keine Klingeln oder andere verrückte Sachen, die einen nur stören und Lärm machen. Und es gibt auch keine Tröten zum Geburtstag! Capito?“

Ich sagte gar nichts mehr, ich dachte nur noch: „Habt ihr denn noch nie von weniger entwickelten Inseln gehört, auf denen es um Höher, Weiter, Schneller geht?“

„Haben wir natürlich, du Spasti!“, rief das Faultier, als könnte es meine Gedanken lesen. „Aber hör zu! Bei uns auf Indanasien ist wichtiger, dass wir immer einen Finger in der Nase haben, um darin nach Popel zu bohren, capito? Und weil wir so gerne in der Nase bohren, dreht sich sogar unsere Hymne ums Nasenbohren!“

Es muss nach drei oder vier Tagen gewesen sein, dass Lemmy neben meiner Wanne stand wie ein Professor, der sehr zufrieden mit seinem Experiment war: „Sehr gut!“, sagte er immer wieder, und: „Hervorragend!“ Fehlte nur das Monokel, das er sich vors Auge drückte, und die Mappe, die er sich unter die Achsel seiner dreckigen Lederjacke schob.

Das Wasser in meiner Wanne war eiseskalt, und Klein-Rocky war irgendwo zwischen den Haut­lappen, die früher mein Sack ­waren, verschwunden, während ich immer noch die Hymne der Indanasier sang, rauf und runter:

„Lecker Popel, wo kommst du her?
Aus meiner Nase, die lieb ich sehr!
Sie schenkt mir Popel, so viel ich will!
Drum bohr ich weiter, schön leis’ und still!“

Seltsam nur, dass er das Faultier in meiner Wanne nicht sehen konnte, das mit mir zusammen Nase bohrte und die Hymne sang.


Manfred Rebhandl

Autor in Wien. Zuletzt erschien von ihm „Sommer ohne Horst: Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle“ (Haymon Verlag 2020).