GENUSS

Zwei Barkeeper mixen nebeneinander einen Martini

Try Martini

Roland Graf

Dass Ago Perrone mit dem Londoner „The ­Connaught“ zur welt­besten Bar gekürt wurde, liegt entscheidend an ­einem Drink. Der Mythos „Martini“ – und wie man ihn daheim aufleben lässt.

Text: Roland Graf / Foto Header: Steven Kohl/Genussfotograph/The Connaught

Das Prinzip von Agostino Perrone klingt denkbar einfach. „Wir wollen eine ‚Fine Drinking Experience‘ als Pendant zum ‚Fine Dining‘, von dem alle reden, anbieten.“ 2008 eröffnete im Londoner Nobelbezirk „Mayfair“ die Hotelbar des „The Connaught“ unter dieser Prämisse. Genauer gesagt, ist „Ago“ Perrones Wirkungsstätte eine von zwei Bars der Luxusherberge. Doch es ist jene, die in der einflussreichen Liste der „World‘s 50 Best Bars“ bereits zum zweiten Mal den ersten Platz eingeräumt bekam. Wo die persönlichen Prioritäten liegen, darin ließ „Ago“ Perrone keinen Zweifel, als er in Zürich stundenlang Martinis rührte.

Eingefädelt hatte das – bereits vor Corona – seltene Gastspiel ein Kollege, der selbst einen erstklassigen Schwung am Rührlöffel hat: Dirk Hany, in dessen „Bar am Wasser“ der WIENER sich die Nachhilfe in Sachen „Dry Martini“ holte. Auch wenn ein wesentlicher Protagonist die Reise an die Limmat nicht mitgemacht hatte. Denn in der Hotelbar fährt der ikonische Drink, nachdem sogar eine eigene Gläserform benannt wurde, standesgemäß vor. Der Trolley ist für die „Martini Experience” unerlässlich. Nun wird in einem Gespräch mit dem Gast herausgefunden, wie er seinen Drink gerne mag.

Anekdoten dazu gibt es genug, fast alles kreisen um die „Trockenheit“ des Drinks. Was klar ausgesprochen bedeutet: ein Martini ist Alkohol pur. Im Grunde wird Gin mit etwas Wermut ein wenig runder gemacht. Ob nun lediglich „der Schatten eine Flasche Wermut auf den Gin fallen soll“, ist ein Bonmot, das Perrone und sein Team nicht weiter ernst nehmen. Das Mischverhältnis, das der Mixologe aus London bevorzugt, liegt bei fünf Teilen Gin und einem Teil Wermut.

Aromatisch liegt der Spielraum viel mehr im perfekten Bar-Bitter – der gerne vernachlässigten dritten Zutat eines „Dry Martinis“. Dieses tropfenweise verabreichte Cocktailgewürz wird mit dem „Connaught“-Gast in der Unaufgeregtheit eines Beichtspiegels besprochen. Dass man sich als Normalsterblicher ohne Smoking und Zylinder ein wenig „underdressed“ fühlt in den Hotel-Räumen, bedeutet aber nicht, dass man dort nicht Humor hätte. Legendär ist die Frage, mit der Ago Perrone die „Dirty Martini”-Bestellung (siehe Kasten) von Weltstar Madonna kommentierte: „How dirty do you like it – like Paris Hilton“?

Doch genug gescherzt! Wie mixt man nun einen perfekten Martini, Signore Perrone? Auch da beziehen sich die konkreten Tipps aus der weltbesten Bar weniger auf den Gin – da ist Ago klar im Team „Tanqueray Ten“ – als auf die beiden weiteren Zutaten. So wird von ihm in der Regel kein handelsüblicher Wermut verwendet, sondern ein Blend aus gleich drei verschiedenen Produkten: „Das lässt sich besser an die Aromen der Gins anpassen“, erklärt der Italiener, „wir mischen „Dry“, „Extra-dry“ und „Smooth“ – damit er für jeden Martini-Liebhaber passt“.

Während dieses Experiment auch an der Heimbar leicht nachzumachen ist, wird es bei den hausgemachten Bitters schon ­etwas schwieriger. Sieben verschiedene Varianten dieses Cocktail-Gewürzes führt man am „Martini Trolley“ mit, das „ita­lienisches Aroma par excellence“ (© Perrone) liefert etwa eine Kombination aus Ginseng und Bergamotte. Tonka-Bohne mit ihrem leichten Vanille-Ton wird ebenso verwendet, während die Mischung aus in Alkohol eingelegtem grünen und schwarzen Kardamom für leichte Rauchnoten im „Martini“ sorgt.

Wer nicht für einen einzigen Drink in die Küche will (geht auch deutlich auf Kosten der Spontanität), sollte zu „Aromatic Bitters“ greifen, rät der Profi: „Die funktionieren als Geschmacksverstärker für die herbalen Aromen des Gins“. Dabei entscheidet aber auch die Arbeits­technik. Denn in der „Con­naught“-­Bar fügt man die aromatischen Tropfen nicht am Ende hinzu wie in 99,8% aller anderen Trinkstätten, sondern das Glas wird im Vorhinein damit benetzt. Dieser unter Profis „rinse“ genannte Schritt, den man auch vom Absinth beim „Sazerac“ kennt, ist entscheidend: „Der soll den ­Geschmack geben, nicht den Geruch“, erklärt Signore Perrone bestimmt, eher er zwei Cocktails parallel eiskalt rührt.

Denn auch da herrscht Klarheit: Geshaked wird ein Martini nur in Büchern und Filmen über britische Geheimagenten. Was James Bond als Draufgänger, der alles schnell haben wollte, charakterisieren sollte, hat wohl schon Millionen Drinks „versaut“. Denn die Subtilität eines gerührten Martini erreicht der
mit viel Sauerstoff aufgepumpte ­Bruder aus dem Shaker nie. Er ist nur kälter. Doch wenn es nur darum geht, bestellt man besser ein Sorbet als einen „Dry ­ Martini“.

Trockene Trikolore: Martini 2022

Die Zürcher Bar lud nicht von ungefähr zum Gastspiel von Ago ­Perrone – man liebt dort Martinis. Für den WIENER adaptierte Bar-Chef Dirk Hany den Cocktail der aktuellen Karte, sodass er auch Hausbar-tauglich wird. Merci vielmals!

The Italian Job
Dirk Hany, „Bar am Wasser“
5 cl Gin (z.B. ­Tanqueray Ten)
1 cl Noilly Prat
1cl trockener
Sherry
Zubereitung:
Die Zutaten im Rührglas auf Eis eiskalt rühren und ins Glas abseihen. Nun mit jeweils ­einem Tropfen ­Tomaten-, Oliven- und Basilikumöl garnieren.

Das kleine Martini-ABC

  • Dirty Martini: Die Vorläufer stammen aus einer Zeit weitaus süßerer Martinis (Gin und Wermut zu gleichen Teilen oder 2:1 gemischt). Da sorgte eine zerdrückte Olive für Kontrast – später verwendete man die Einlegeflüssigkeit (Lake) der Oliven. Entscheidend für den individuellen Geschmack ist deren Menge, also wie „dreckig“ man trinken will.
  • Dry Martini: Der „Gral” des Bartendings, Nuancen entscheiden über einen rein alkoholischen Mix oder subtilen Geschmack. Vor allem mit den Bitters lässt sich die Ratio aus Gin und trockenem Wermut (6:1? 5:1?) aromatisch akzentuieren. Nur eines sollte der Martini nie sein: süß!
  • Espresso Martini: Eigentlich eine Mogelpackung, da Wermut und Gin fehlen. Daher nannte ihn Erfinder Dick Bradsell 1983 auch „Vodka ­Espresso“. Insofern eher unter →Wodkatini zu verorten.
  • Gibson: Hier kommt anstelle der ­Olive eine eingelegte Perlzwiebel ins Martini-Glas. Bartender wie ­Marian Beke (London), dessen Bar nicht von ungefähr „The Gibson“ heißt, legen dafür ihre eigenen Zwiebeln ein. Der deutsche „Monkey 47“-Gin hat sie als „Funky ­Monkey Genuine Pickled Onions“ aufgelegt.
  • Porn Star Martini: Im Vorjahr verstarb mit Douglas Ankrah der Schöpfer eines der – im Internet – meistgesuchten Cocktail-Rezepte. Auch hier ist (Vanille-) Wodka →Wodkatini im Spiel. Dazu kommt Passionsfrucht als Saft und Likör. Sowie ein ziemlich genialer Drink-Name.
  • Vesper: Eine Variante, die Ian Fleming seinen Romanhelden James Bond im 1953 erschienenen „Casino Royale“ bestellen lässt. Basierend auf einem Mix aus Gin und Wodka, gibt hier der bittere „Kina Lillet“ (heute nicht mehr erzeugt!) die ­Rolle des Wermuts. Der Spirituosen-Mix ist unkonventionell, der Zusatz „Geschüttelt, nicht gerührt“ das ­ultimative Sakrileg.
  • Wodkatini: Für traditionelle Bartender muss Gin in einem Martini sein. Daher sprechen sie bei der Mischung von Wermut und Wodka auch nicht von einem „Martini“, ­sondern – logisch – von einem „Wodkatini“.