Sex

Sex & genZ – Situationship bevorzugt

Christian Jandrisits

Ist die Generation Z wirklich so wenig an Sex interessiert, wie man sagt? Wahrscheinlich. Aber das Leben ist kompliziert, wenn dich der Gedanke an eine Beziehung kalt lässt, weil du lieber in einer Situation steckst. (Sex & genZ/Sex mit Sax/WIENER 454)

Text: Manfred Sax/Fotos: GETTY IMAGES

Es ist nicht mehr auszuschließen, es ist ja Frühling, da endet die „cuffing season“. Cuffing? Kommt von den „cuffs“, das sind Handschellen. Also Dinger, die deine Freiheit nie grenzenlos machen, sondern im Gegenteil. Aber für Menschen der Generation Z, jene zwischen 1997 und 2012 geborene Altersgruppe der Spezies Homo Sapiens, ist die Handschellensaison auch Komfortzone. Die Saison währt von (etwa) November bis Ende Februar, meint also die kalte Jahreszeit. In der man lieber drinnen kuschelig abhängt, am liebsten mit einer anderen Person, die man leiden kann, wenngleich eine langfristige Beziehung nicht zur Debatte steht. 

OLIVIA DUNNE, 20,  ist das Sexsymbol der GenZ. Sie ist Turnerin, wenn auch nicht Weltklasse, hat sich aber als große Social Media Personality aufgebaut: 3,7 mio Followers auf Insta sind mehr als die weltbeste Turnerin Sunisa Lee und 7,2 mio Followers auf TikTok sind mehr als die von Beyonce.

In der Handschellensaison sind die an einander „gefesselten“ Personen bestenfalls in einer „Situation“ (check: #situationship), da ist vieles möglich, aber nichts ist fix. Heißt es in Guides und Manualen, die dir erklären, wie GenZ nun eigentlich tickt. Das hilft, man ist ja jüngstenfalls Elterngeneration. Die einschlägigen Gespräche mit dem Nachwuchs sind selten das, was du unter informativ verstehst. Irgendwas verliert sich immer in der Übersetzung. Stell dir vor, du hast eine Tochter namens Diana und sprichst sie an. Darauf sie, per se eigentlich informativ: „Nenn mich nicht Diana, ich heiße jetzt David.“ Außerdem sollst du sie nicht mehr duzen, sondern siezen, dritte Person plural, please. Interessant, sagst du, und wer ist der Typ, mit dem Sie in Ihrem Zimmer abhängen, David? Keine Sorge, sagt David, sie sind (3. P. plural, wie gesagt) erstens asexuell, finden zweitens Männer null attraktiv, identifizieren sich daher vorbeugend mit lesbisch. (1) 

Eine asexuelle Lesbe namens David also, die Tochter; die gesiezt werden will bzw wollen. Letzteres hat was. Es leuchtet ein. Dritte Person plural ist inklusiv, das lässt vieles zu – und nichts ist ausgeschlossen. Nenne es das Comeback der Höflichkeitsform. Außerdem kann das Siezen was. Soviel weißt du, nach Test beim eigenen Nachwuchs („Guten Morgen, wie geht es Ihnen?“). Wirkt sagenhaft, alsogleich macht sich keineswegs geheuchelte Sorge in deren Mienen breit („Omg – Alzheimer?“). Fehlt nur noch das elegante Einflechten von vier harmlosen Buchstaben („woke“), und schon weißt du, dass Millennials nicht die richtige Adresse sind, wenn es um GenZ geht („Für diese Kids sind wir nur Latte-schlürfende Harry Potter-Fans mit Faible für Seitenscheitel.“). Und so wächst also dein Respekt für die Generation Z.

Aber zurück zum Thema: Hat die GenZ Sex? Haben sie überhaupt Lust auf Liebemachen? Für Boomers wie meinereins war das anno Pubertät die primäre existenzielle Frage, quasi historisch vermittelt. Dem englischen Dichter Philip Larkin zufolge wurde „sexual intercourse“ (Geschlechterverkehr?) erst 1963 erfunden (zwischen Ende des Verbots von Lady Chatterley´s Lover und der ersten LP der Beatles), feiert nun also seinen 60. Geburtstag. (2) Vor 60 Jahren gab es zum Thema kaum Info, also fragtest du deine Mutter („Mami, was ist ein Orgasmus?“ – „Keine Ahnung, frag deinen Vater.“), und der Vater war mit Wirtschaftswunder beschäftigt. Du musstest also selbst Erfahrung sammeln, im realen Leben (IRL), warst sozusagen „first source“. Sex war „das Ding“,  ähnlich wie das Smart-phone für die aktuelle junge Generation „das Ding“ ist. Die „first source“ für alles. 

OLIVIA DUNNE ….

Zeitgerecht zum Frühling haben nun diverse Experten (3) etliche Studien zum Sex der GenZ (Erwachsene unter 25 Jahren) veröffentlicht. Und ja, die Tage der Liebe, der „Schreie und Kämpfe und Küsse im Regen“,  von denen ein Millennial wie Taylor Swift noch schwärmte, sind offenbar Rarität. GenZ-ler sind weniger sexuell aktiv als sämtliche Generationen zuvor, sie setzen auf digitale Kommunikation an Stelle von physischer Interaktion, und 74% verwenden Dating-Apps zur Partnersuche. So weit, so einleuchtend. Interessant die Diskrepanz zu den Millennials. Einerseits haben GenZ-ler um 14% weniger Sex als die Generation zuvor, sind aber wesentlich offener für polyamoröse Geschehnisse (38%). Letzteres ist nicht mit promisk zu verwechseln. Promiske Menschen brauchen nicht notwendiger Weise „Amore“,  polyamoröse nicht notwendiger Weise Sex. Auch bei den Begriffen zur Partnerwahl wird der Unterschied betont. Suchten beziehungs-averse Millennials einen „friend with benefits“,  heißt die GenZ-Entsprechung „sneaky link“ (gewiefte Verbindung). Und was mal „catfishing“ war (Erstellung einer zielgerichteten, gefälschten Online-Identität), ist nun „wokefishing“ (das gleiche, nur eben gewürzt mit starker politischer und sozialer Haltung). Der Punkt ist wohl, dass GenZ-ler zwar weniger aktiv sexen, dafür aber gern darüber reden. Und die Pandemie scheint nun so weitgehend vorbei, dass 2021-er Hashtags wie „puriteens“ (no sex, thank you) und „FODA“ (Fear Of Dating Again) nicht mehr so trendy sind, der stets wachsende Begriff LGBTQIA+ aber immer eine Debatte wert. Obwohl auch „woke“ seine Grenzen hat, wie der vegane Brand Dopsu per Studie ermittelte. Demnach würden 24% der GenZ-ler nie eine(n) Veganer(in) daten. Das sind mehr als alle anderen Altersgruppen. (4)

Es gibt mehr Info denn je, der Vormarsch der non-binären Kultur wirft neue Fragen auf, IRL-Erfahrungen gelten bei Erwachsenen unter 25 nahezu als urbaner Mythos. Kein Wunder, dass sie bei all dieser Kopflastigkeit eher in einer Situation stecken als in einer Beziehung. Tatsächlich ist es laut Tinder so, dass eine „Situationship“ ihre bevorzugte Gemeinsamkeit ist – laut Definition jener Raum zwischen einer verbindlichen Beziehung und einem Etwas, das mehr ist als Freundschaft. Nach einer winterlichen Handschellen-Saison offeriert das Alternativen. Man kann die andere Person zur Situation nun zum Beispiel auf die „Ersatzbank“ abstellen („benching“) und bei Bedarf „ghosten“,  also ignorieren, und des weiteren ein „upgrade“ suchen. Man kann auch auf ein „trockenes Dating“ gehen, um zu checken, ob es auch ohne Alkohol und Drogen zu Sex kommt. Oder aber, man postet bei positiven vibes nach dem langen Winter die essenziellen drei Buchstaben in einer message: „DTR“, zu deutsch: „definiere die Beziehung“. Vermutlich die Entsprechung dessen, was mal die drei Worte zur ­Liebeserklärung waren. Nur wäre es besser, wenn die andere Person ­damit rausrückt. Eine Abfuhr ist nun mal das, was kein Mensch braucht.   

(1) siehe Alistair in metro.co.uk, https://bit.ly/3KZ1kl3
(2) ◊Sexual intercourse began / in nineteen sixty-three / (which was rather late for me / Between the end of the ’Chatterley’ ban / and the Beatles´ first LP“
(3) Kinsey Institute: https://bit.ly/3EVgzHN, LoveHoney: https://bit.ly/3ybBMcN, Tinder: https://bit.ly/3ZLdAd4
(4) https://dopsu.com/