GENUSS

Grappa fürn Papa

Christian Jandrisits

Es ist ungewöhnlich, dass im Winter noch Grappa ­gebrannt wird. Noch seltener aber steht der WIENER mit am Brennkessel: Geistreiche Beobachtungen aus dem Trester-Nebel von Bassano del Grappa.

Redaktion & Text: Roland Graf

Nostalgische Österreicher müssen stark sein, wenn sie nach Bassano del Grappa fahren. Vier Meter hoch grüßt sie die Statue von General Gaetano Giardino bedrohlich bei der Stadteinfahrt. Der martialische Metallkamerad erinnert an den Ersten Weltkrieg, in dem seine Soldaten die K.u.k.-Truppen am Vormarsch entlang des Monte Grappa hinderten. Es ist auch der nahegelegene Berg, der unter Benito Mussolini der 43.000-Einwohner-Stadt – davor nur „Bassano“ genannt – den Beinamen gab. Mitunter glaubt man als Besucher, dass im Veneto erneut die Mobilmachung gegen den Kaiser läuft. Dann nämlich, wenn die „Alpini“ aus ihrer Kaserne in die Altstadt von Bassano einmarschieren. Wenn heute von der Stadt oder dem Monte Grappa oder Montegrappa die Rede ist, denkt zum Glück kaum mehr jemand an die Kämpfe der untergegangenen Monarchie, sondern an die beiden Weltberühmtheiten: Füllfedern mit teils fünf-stelligen Preisen (etwa die FIFA-Edition für die WM in Katar), die „Montegrappa“ in der erstaunlich unspektakulären Manufaktur nahe dem Fluss Brenta erzeugt werden. Und vor allem der Tresterbrand, der hierzulande gerne „auf die Haus“ gereicht wird, wenn man „Da Antonio“, „Da Pietro“ oder „Da Sonst-ein-Italienername“ einkehrt.

GRAPPA ARTIGIANALE Von industriell gefertigten Varianten will Jacopo Poi nichts hören.

„Das war sehr lange der Schnaps der armen Leute, kein Genussprodukt“, leitet der Mann die Geschichte des Grappa ein, der sie wirklich kennt. Jacopo Poli unterhält gleich zwei Museen zum Destillat des Veneto, eines in Bassano selbst, eines am Standort seiner Brennerei in Schiavon. „Hier waren früher alle Bauern nur Pächter des Landes und lieferten den Wein an die Grundherrschaft ab, der Trester blieb dann für sie übrig“, so Poli. Viel war damit nicht anzufangen, es war mehr eine „Taschen-Heizung“ als ein Genussmittel, dreht Signore Poli beim Rundgang durch die beeindruckende, ziegelrote Grappa-Kathedrale das Rad der Zeit zurück. Geblieben ist davon eine Dominanz des Veneto bei der italienischen Produktion: 40% aller Grappe stammen aus dieser Provinz. Und man ist nicht ganz frei von Stolz. In einem Nebensatz findet sich im Museum die Verwunderung der norditalienischen Brenner geschildert, als die EU 2008 auch den sizilianischen Grappa mit einer Herkunftsbezeichnung adelte.

Doch die Geschichtsstunde in Schiavon hat ein Ende. Eine letzte Schnurre erzählt Jacopo Poli noch, während uns der prächtig bärtige Denni schon Hochofenhandschuhe und eine Schürze reicht – die Dienstkleidung des „grappaiolo“. Dass über der Brennblase Strohhüte hängen, hat mit dem Destillerie-Gründer, Polis Urgroßvater Giovanni Battista („GioBatta“). Der findige Kopf errichtete 1898 nicht nur ein Wirtshaus am Endpunkt der Eisenbahn, sondern verkaufte auch Strohhütte. „Destilliert wurde anfangs mit einem mobilen Wagen, erst später mit einer fixen Brennanlage – im Kuhstall“. Es riecht aber nicht nach Fladen, sondern eindeutig nach Grappa, als wir die Galerie zwischen den kupfernen Ungetümen erklimmen.

Poli destilliert „Grappa artigianale“, Auf die industrielle Variante, die in einer Brennkolonne entsteht, sollte man den Mann aus dem Veneto lieber gar nicht ansprechen. Die auch von heimischen doppelt gebrannten Destillaten bekannte Methode nennt sich treuherzig „diskontinuierlich“. Was das konkret bedeutet, wird der Muskelkater uns noch zwei Tage später ausbuchstabieren. Denn nach jedem Brenndurchgang müssen die Traubenreste aus den Brennkammern geschaufelt werden. Alle zwei Stunden legt man dann 100 Kilogramm nach. Im Viererschritt entleeren Sandro, der älteste Grappamacher, und der WIENER-Autor dann je 25 Kilo. Das klingt nach harter Arbeit und ist es auch. Doch viel Schweiß bedeutet nicht viel Grappe: Aus 20 Kilo Trester werden gerade einmal zwei Flaschen fertiger Grappa!

Grappa Fasslager …

Dass wir überhaupt Hand anlegen können zu Jahresbeginn hat mit einer Spezialität des venezianischen Weinbaus zu tun. „Torcolato“ ist ein Süßwein, der aus der lokalen Rebsorte Vespaiolo erzeugt wird. Für die regionale Süßwein-Spezialität des DOC-Gebiets Breganze werden die Trauben auf Schnüre gefädelt, um weiter einzuschrumpfen. Wie die von uns mitbetreute Charge später schmecken wird, wird sich weisen. Doch der aktuelle „Amorosa di Dicembre“ riecht nach Himbeere, Feigenkaffee und Wacholder. Auch dieser „Spätlesen-Grappa“ trägt das Geheimnis für einen nicht rustikal-ruppigen Tresterbrand in sich. „Du brauchst frische Pressrückstände und 100 Jahre Erfahrung“, lacht Jacopo Poli über das simple „Rezept“.

Jacopo Poli

Doch gerade der erste Punkt ist entscheidend. Viel zu lange seien Trester gehortet worden, um dann auf einmal destilliert zu werden. Fehltöne wie der berüchtigte Klebstoff-Geruch gehörten damals praktisch zum Standard eines Grappa. Für den Vespaiolo-Grappa etwa ist es entscheidend, die Traubenstiele vom süßen Rest zu trennen – nur dann regiert am Ende die Frucht im Glas. Es ist ein aufwändiger Prozess, der händisch erfolgt. Doch in Schiavon gehört er zum Produktionscredo; die Verwendung ausschließlich frischen Ausgangsmaterials war einst ein radikaler Schritt. Doch sie blieb der Schlüssel zu hoher Qualität jenseits des „Bauerngrappas“. 

Grappa Trester ….

Bei Poli erfolgte diese Umstellung zu den schlechtesten Zeiten für die Branche, als reihenweise Produzenten aufgaben – oder sich der industriellen Produktion anschlossen. Von den heute 131 Grappa-Brennereien brennen 39 „kontinuierlich“ und stellen auch den größten Teil der 40 Millionen Flaschen her, die jährlich in Italien erzeugt werden. Jacopo Poli und sein Bruder mussten ihre Experimente mit frischem Trester anfangs heimlich durchführen, „gebrannt wurde in der Nacht, wenn keiner da war“. Doch am Ende erhielt der neue Stil den väterlichen Segen. Die Qualität hatte gesiegt.

MOBILE DESTILLE

Zum Ritterschlag seiner Destillate fehlt aber noch ein Hochadeliger. Er kam mit Marchese Incisa della Rochetta 1993 ins Spiel. Lange musste man sich in der Toskana anstellen, um die Rückstände eines der bekanntesten italienischen Weine ins Veneto zu holen. „Sassicaia“ gehört seit 30 Jahren auch in der Grappa-Welt zu den großen Namen. Denn anders als die jungen, „weißen“ Grappe lagert diese Edelversion für fünf Jahre in ehemaligen Rotweinfässern, die zuvor der weltberühmte „Supertuscan“ benetzt hatte. Der Duft des „Barili di Sassicaia” hat mit Grappa beim Eck-Italiener nichts zu tun; es riecht nach Edelholz, schmelzender Butter und Keksen mit Nougat-Glasur. Butterweich kleidet er den Gaumen aus, ein leichter Pfeffer-Touch erinnert im Abgang daran, dass man es eh mit einem Destillat zu tun hat.

work-life-balance Nach der Arbeit kommt die Verkostung.

Der einzige Traum, der sich für die Grappa-Macher aus Schiavon nicht erfüllt hat, ist eine Serie von Nobelweinen aus aller Welt in Destillatform vorzulegen. Selbst mit Ikonen aus Übersee (z. B. „Opus One“ aus Kalifornien) hatte man eine Logistik ausgeklügelt, um an Trester zu kommen. Am Ende waren es aber die Rechtsvertreter und Marketingstrategen, die weltberühmte Namen lieber nur auf Weinetiketten sehen wollten. Und so steht am Grappa gewordenen Premier Cru aus Bordeaux eben nur Pauillac als Herkunft. Der gekühlte Trester für den „La Première“ wird in der Nacht von Frankreich ins Veneto geliefert; vier Fahrer wechseln sich ab, damit auch diese Edelversion möglichst viel Aromatik aufweist. Denn es ist ein weiter Weg bis in die Brennerei. Fast so weit wie der Weg vom kantigen venezianischen Bauernschnaps bis zum runden Digestiv von Weltruf. 

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Trebern, Grappa und Marc

Die vielen Namen der Wein-Reste-Verwertung

Als „Trester“ oder „Trebern“ ­bezeichnet man die festen Rückstände der Wein-Erzeugung: ­Stiele, Schalen und Kerne. Auch das Destillat aus dieser Masse, deren Gewicht rund ein Viertel des geernteten Traubenmaterials ausmacht, heißt „Tresterbrand“ oder „Treberner“. Lediglich für Schnäpse aus dem Tessin und ­Italien ist nach europäischem Recht die Bezeichnung „Grappa“ erlaubt. Auch der griechische „Tsipouro“ und der zypriotische „Zivania“ sind Trebernschnäpse. Frankreich wiederum benennt seine Version mit Marc und dem Zusatz der Herkunft (z. B.: Marc de Bourgogne oder der als Prali­nen­­füllung bekannte Marc de Champagne).