Karl Markovics: Karl Markovics, Regiedebütant

Seit 25 Jahren ist er Schauspieler. Jetzt hat Karl Markovics endlich seinen Traum erfüllt und einen eigenen Film gedreht. Für „Atmen“ hat er viel im Milieu der Bestattung Wien recherchiert. Der Film räumt bei Festivals ab. Und kommt am 30. September in Österreichs Kinos.

Fast hätte man sich das Regiedebüt von Karl Markovics glamouröser vorgestellt: mit großen Worten, großen Namen, vielleicht sogar internationalen, und natürlich mit ihm selbst in der Hauptrolle. Weit gefehlt! „Atmen“ ist ein stiller, präziser und völlig unprätentiöser Film, der mit absoluter Selbstverständlichkeit eine Geschichte mit Tiefe erzählt. Die Hauptfigur Roman Kogler, einen jugendlichen Sträfling, der auf Bewährung rauskommt und einen Job bei der Bestattung Wien findet, spielt der bisher unerfahrene Thomas Schubert natürlich und bewegend. Ein Glücksfall für seinen Regisseur Karl Markovics. Im Juli wurde Schubert beim Filmfestival in Sarajevo von niemand geringerem als Angelina Jolie der Preis für den besten Darsteller überreicht. Markovics selbst brachte für den besten Film 25.000 Euro heim. Zuvor war ihm, als Sieger einer Nebenreihe des Festivals von Cannes, ein garantierter europaweiter Vertrieb von „Atmen“ zugesichert worden. Und es schwirren bereits die nächsten Festivalnamen (etwa Toronto oder der Oscar) in der Luft herum… Karl Markovics ist sichtlich angekommen. Er ist ein bekannter Schauspieler, war mit „Die Fälscher“ sogar Star eines Oscar-Films (2008). Aber eigentlich, das wird im WIENER-Gespräch deutlich, wollte er immer nur eines: selbst Geschichten erzählen.

Herr Markovics, inwieweit ist für Ihren ersten Film wichtig, dass er eine österreichische Geschichte erzählt?

Das war für mich selbstverständlich. Weil ich hier aufgewachsen bin, hier lebe, natürlich auch das Idiom verstehe, gerade speziell dieses Wienerische, die Charaktere durchschaue. Und weil ich mich vor allem bei meinem ersten Film nicht darauf konzentrieren wollte, mir auch noch über Nationalitäten Gedanken zu machen. Ich bin Österreicher. Ich reiche hier ein. Es war auch eine Art von – nicht Sport, aber innerem Anspruch, dass ich sage: Ich will eine rein österreichische Produktion machen. Nicht aus Patriotismus, sondern weil ich finde, dass ein Film zwingend eine Heimat braucht. Ich habe so viele fehlgeschlagene Großprojekte von Koproduktionen zwischen vier, fünf Ländern erlebt, die eine spannende, lebendige Geschichte hatten, großartige Darsteller, die besten aus den einzelnen Ländern, aber es ging komplett an einem vorbei. Das hat viel damit zu tun, dass diese Filme keine Heimat haben. Man weiß nicht, wo das ist. Man will es wissen. „Atmen“ kann ich in China oder Australien zeigen, und man versteht diese Geschichte unabhängig von der Sprache, weil sie den Menschen dort nahe geht und offensichtlich wirklich wo verortet ist.

Österreichische Drehbuchautoren werden zunehmend besser darin, Schauspielern österreichische Sprache in den Mund zu legen. Ihr Film ist ein Beispiel dafür. War es ein harter Kampf, sprachlich so zu reduzieren, so karg und präzise zu werden?

Mir war das immer schon nah, und ich wusste von Anfang an, dass diese Geschichte von Beiläufigkeit lebt. Meine ganze Arbeit als Schauspieler, die 25 Jahre Vorbereitung auf diesen ersten Film, waren nichts anderes, als sich damit auseinanderzusetzen, wie authentische Sprache passiert. Im Gegensatz zu häufigen Beispielen von papierener Sprache, mit der man es in an sich guten Drehbüchern oft zu tun hat.

„Atmen“ ist Ihr Debüt als Filmregisseur, aber auch als Drehbuchautor. Wie sind Sie beim Schreiben vorgegangen?

Sehr unstrukturiert, fand ich. Ich hatte keinen Impuls einer Botschaft oder Geschichte. Bei mir beginnt eigentlich jede Geschichte mit einer Art Bild oder Minisituation, die mich dann so interessiert, dass ich viel mehr darüber wissen möchte: Was war davor? Was kommt danach? Und dann kommt natürlich der Ehrgeiz dazu. Wie kann man einen konzentrierten Lebensausschnitt aus diesem einen, kleinen Minibild schaffen? Wenn das stark genug ist, entwickelt sich eine ganze Geschichte draus. Erst während der Arbeit ergibt sich alles tatsächlich Wesentliche – worum geht es eigentlich? – wie von selbst.

Das erinnert an Hitchcock, der gesagt hat: Man braucht eigentlich nur einen guten Plot, die Themen ergeben sich daraus.

Das ist auch tatsächlich so. Auf einem Bleistift, den mir meine Frau geschenkt hat, steht von Mark Twain: Schreiben ist ganz einfach – man muss nur die überflüssigen Worte weglassen. Die Drehbucharbeit ging sehr stark in diese Richtung.

Bei den Bestattern berührt, wie gut sie den Grat zwischen Einfühlsamkeit und Abgebrühtheit meistern. Haben Sie das in der Recherchearbeit selber erlebt?

Ja. Es war früh klar, dass ich im Jugendstrafvollzug, in der Bewährungshilfe und vor allem bei der Bestattung recherchieren muss. Das war lange Zeit ein Tabu für mich. Ich habe noch nie vorher tote Menschen gesehen. Ich hatte durch die Bank das Glück, auf Leute zu treffen, die mir vorbehaltlos begegnet sind. Nach einem kurzen Gespräch bei der Bestattung bekam ich einen Termin beim Abholdienst, wurde dort um 6:30 in der Früh vorgestellt und fuhr mit einer Partie mit: ins Kaiserin-Elisabeth- Spital, in die Bezirksbeisetzhalle, auf Friedhöfe. Und habe eine Reihe von toten Menschen gesehen. Natürlich. Aber vor allem auch erlebt, wie formal dieser Arbeitsprozess funktioniert und wie das Sozialgefüge ist. Wie wichtig das Dreiergespann ist, und wie einer den anderen auffängt. Bei den Hausabholungen und Nachtdiensten kommt es zu ganz schlimmen Erlebnissen. Wenn dann noch Kinder involviert sind, dann steckt die auch der abgebrühteste Bestatter nicht so leicht weg. Ich habe selten ein Milieu erlebt, wo es so notwendig ist, dass sich einer auf den anderen verlassen kann, weil er ihn kennt. Und trotzdem diesen schwarzhumorigen Schmäh draufzuhaben, ein glücklicher Mensch zu sein und bewusst zu leben.