Perfekte Show: Justin Timberlake elektrisiert Wien

Zwischen künstlerischem Anspruch und kommerziellem Erfolg ist es oft ein schmaler Grat, Justin Timberlake beherrscht diesen Spagat perfekt und zeigte das Mittwochabend in der Wiener Stadthalle. Bloß der Sound ließ leider zu wünschen übrig.

Zwischen künstlerischem Anspruch und kommerziellem Erfolg ist es oft ein schmaler Grat. Dass er Letzteres perfekt beherrscht, hat US-Sänger Justin Timberlake schon zu ‚N Sync– und „Mickey Mouse Club“-Zeiten bewiesen. Aktuell gilt es für den Popstar, sich als seriöser Entertainer zu profilieren. Ein Tanz auf dem Schwebebalken, den er am Mittwochabend in der Wiener Stadthalle perfekt absolvierte.

Wobei gerade diese Perfektion (neben dem abscheulichen Sound in der Halle, den Bassisten der Band etwa sah man bloß spielen …) dem gut zweieinhalbstündigen Auftritt im Rahmen der „The 20/20 Experience World Tour“ einen schalen Beigeschmack verlieh. Klar, schaut ein weltweit gefeierter Musiker mit Goldhändchen für Ohrwurmsounds vorbei, erwartet man sich eine dem Status entsprechende Umsetzung. Dass dabei allerdings das Gefühl mitunter auf der Strecke bleiben kann, haben die mehr als zwei Dutzend Songs nur zu deutlich gemacht. Schon nach wenigen Minuten fühlte man sich in das musikalische Pendant eines Hollywood-Blockbusters versetzt: Es saß zwar jeder Schritt, jeder Einsatz, jede Geste – aber Arthouse geht anders.

Wobei sich der einstige Teenie-Liebling schon vor Jahren zum waschechten Entertainer mit (immer noch) reichlich Sex-Appeal gewandelt hat. Der nette Bursche von nebenan, der mit seiner Boyband Mädchenherzen höherschlagen ließ, hat sich dank dreier hochwertiger Soloalben nicht nur einen Fixstern am Pophimmel gesichert, sondern auch das Feuilleton für sich interessieren können. Belächelt wird der 33-Jährige heutzutage nicht mehr, dafür gelingt ihm seine Mischung aus Pop, R’n’B und elektronischen Einfüßen meist zu zwingend.

Einziges, durch das im Vorjahr veröffentlichte Doppelalbum „The 20/20 Experience“ augenscheinlich gewordenes Manko von Timberlake ist ein Mangel an jüngeren Singlehits. Wurden ältere Songs wie „Cry Me A River“, „Sexy Back“ oder „Senorita“ nicht nur vom Wiener Publikum begierig aufgesogen, sondern auch in den Radios und Clubs dieser Welt auf- und abgespielt, sperren sich durchaus ohrwurmtaugliche Stücke wie „Pusher Lover Girl“ aufgrund einer Länge von weit jenseits der fünf Minuten vor einer derartigen Verwendung. Das knackige Radioformat hört sich anders an.

Ein Umstand, der Timberlake sichtlich wenig stört. Schließlich gilt es nun, anspruchsvollen Pop für alle Altersgruppen abzuliefern. Ablesen ließ sich diese Entwicklung auch an der Kontroverse, die das Video zum melancholischen Liebessong „Tunnel Vision“ ausgelöst hat: Darin wird das Gesicht des Sängers auf die Körper von drei nackten Frauen projiziert. Die ästhetische, aber offenbar zu explizite Darstellung zog eine Sperre auf YouTube nach sich. Mittlerweile kann die offizielle Version auf dem Online-Videodienst zwar wieder abgerufen werden, allerdings muss man sich dafür anmelden, um sein Alter zu bestätigen.

Seine Metamorphose darf man Justin Timberlake aber durchaus abnehmen. Künstlerischer Anspruch scheint in vielen Belangen mittlerweile wichtiger geworden zu sein, als kommerzielle Schnellschüsse. Und schließlich läuft es ja nach wie vor bestens für den Posterboy, mehrfache Gold- und Platinauszeichnungen für „The 20/20 Experience“ sind ja auch keine Kleinigkeit. Die gut 14.000 enthusiasmierten Fans in der Wiener Stadthalle hingen ohnedies an den Lippen des Objekts ihrer Begierde, ganz gleich ob „Suit & Tie“ weitschweifige R’n’B-Seligkeit versprühte oder „Rock Your Body“ den Dancefloor bediente.

Einen wesentlichen Teil zur letztlich eindrucksvollen Performance beigetragen haben auch die diversen Showelemente: Neben einer wabenförmigen Projektionsfläche im Bühnenhintergrund, aufwendigen Lichteffekten und dem druckvollen, mitunter vielleicht etwas zu bombastischen Sound, war dabei allen voran eine über die gesamte Hallenbreite gespannte Hebebühne ein Hingucker. In der zweiten Hälfte der Show durfte sich das Publikum wie in einer Waschanlage fühlen, hob sich das Bühnenelement doch über ihre Köpfe hinweg und fuhr die gesamte Stadthalle ab. Die Fans im VIP-Sektor sowie im hintersten Eck dankten es Timberlake gleichermaßen lautstark.

Und während gegen Ende die beinahe obligatorischen Verneigungen vor Elvis Presley und Michael Jackson folgten sowie zum „Jungle Boogie“ ausgelassen gefeiert wurde, war die Entscheidung des Publikums längst gefallen: Für diesen popkulturell versierten Stimmakrobaten und Kunstturner – ja, Timberlake geht tänzerisch noch immer als Erbe Jacksons durch – zückte man die Höchstnote. So ging der im ebenso perfekt wie lässig sitzenden Anzug gekleidete Timberlake in die Knie und stieß ein letztes „Thank you, Vienna!“ aus, während seine 15-köpfige Band ein letztes Mal Funk, Soul und Pop zu einem leicht bekömmlichen Cocktail mischte. Der Schwebebalken wurde gemeistert, die Landung war geglückt.