Neuer Film, neues Album: Gruber geht, Dylan kommt

Am 30. Jänner veröffentlichte Bob Dylan sein neues Studioalbum „Shadows In The Night„. Schon der Titel alleine provoziert bei Anti-Dylanern wie mir einen Weghör-Reflex. Aber dann startete am selben Abend „Gruber geht“ im Kino …

Man kennt  das ja. Kaum wagt man es, über Ikonen, die jeder supertoll findet, deren Songs oder Machwerke prinzipiell großartig wie sakrosankt sind und deren Tod man schon aus Kulturräson mehr fürchtet als den eigenen oder jenen engster Anverwandter – also, kaum wagt man es, über solche Leute ein kritisches Wort zu verlieren, wähnt man sich mitten in der Rolle des Monaco Franze während seiner berühmten Opernkritik.

Bei mir verhält es sich so mit dem gottgroßen Bob Dylan. Klar, der Mann hat unbestritten ein paar G’stanzln im Repertoire, die fein im Ohr klingen, textlich Sinn machen und zu Recht eine gewisse ikonische Relevanz im Kanon des popkulturellen Gesamtwerkes tragen – wiewohl: es gibt einfach keine originelle Möglichkeit mehr, „Knocking on Heavens Door“ zu interpretieren. Oder „Like a Rolling Stone.“ Aber dafür, dass sie dauernd rauf- und runterinterpretiert wie gespielt werden, können diese großartigen Songs ja nix.

Nun wird der gute Robert Allen Zimmermann, 1941 als solcher in Duluth, Minnesota geboren, später als Bob Dylan zunächst zum wichtigsten Folkie der Sechziger Jahre und, noch später, nach erfolgreicher Elektrifizierung, zur Rock- und Popkultoberfigur für eh fast alles inthronisiert, alt und sonderlich, auch aus Hardcore-Fansicht (die ihm übrigens schon 1965 das Anstecken seiner Gitarre rechtschaffen übelnahmen). Zuerst lässt sich der Mann für Autowerbespots filmen und singt anlässlich der letztjährigen (nicht der gestrigen) Superbowl ein Loblied auf Chrysler und jetzt covert er auch noch Sinatra. Frank Sinatra. So wie jeder in die Jahre gekommene, US-amerikanische Popstar sich im Spätherbst seiner Schaffensperiode irgendwann mal übers Great American Songbook hermacht. Gähn.

Bob Dylans Original-Kommentar zum Release: “It was a real privilege to make this album. I’ve wanted to do something like this for a long time but was never brave enough to approach 30-piece complicated arrangements and refine them down for a 5-piece band. That’s the key to all these performances. We knew these songs extremely well. It was all done live. Maybe one or two takes. No overdubbing. No vocal booths. No headphones. No separate tracking, and, for the most part, mixed as it was recorded. I don’t see myself as covering these songs in any way. They’ve been covered enough. Buried, as a matter a fact. What me and my band are basically doing is uncovering them. Lifting them out of the grave and bringing them into the light of day.”

Ein x-beliebiger Pressetext? In der Art von „was soll er denn sonst schreiben“? Das Aufwärmen von kann-nix-schief-gehen-Songs zwecks Kommerzialisierung ohne großes Risiko? Nun – nicht ganz. Zumal schon fest steht, dass sich Dylan spätestens seit „Time out of Mind“ (1997) so ziemlich alles erlauben darf, bei Fans und auch an der Plattengeschäft-Kassa. Und auch die Verstörung über ein Sinatra-Album werden sie überwinden, spätestens wenn der Altmeister als Station der seit 1988 „Never Ending Tour“ mal wieder Wien, Graz oder Salzburg bereist und sie zweieinhalb Stunden lang hartnäckig ignoriert, die in Ehren ergrauten Alt-Bobos, Kunsthändler, Galleristen und Kaffeehaus-Wirte mit der friedliebenden Einstellung und den Range Rovers in der Garage.

Und gerade, wie man sich so überlegt, ob man das jetzt gut, wurscht oder abscheulich finden soll, dass Dylan also Sinatra covert, damit also eigentlich einem wie mir sogar ein bisserl entgegenkommt, nicht zuletzt, weil er seine Hardcore-Fans damit vergrämt, kommt „Gruber geht“ ins Kino. Jene Verfilmung eines Doris Knecht-Romans mit Manuel Rubey, Bernadette Heerwagen und Doris Schretzmayer, der schon seit einiger Zeit in vielen Medien Vorschußlorbeeren entgegenwehen und die schon ob ihrer schrägen Besetzung, aber auch dem Fernbleiben üblicher Austro-Blockbuster-Stereotype (Schalko, Düringer, Palfrader) wegen interessant klingt.

Schon im zweiten Bild schlägt einem Bob Dylan entgegen. In Form eines Zitats. Kurz darauf wird unmissverständlich klargestellt: John Gruber ist Dylan-Fan. Was auf den ersten Blick so gar nicht zu Porsche, Rolex, Yuppie-Gehabe und Koks-Ziehen auf dem Küchentisch passt. Auch auf den zweiten nicht, übrigens, eher hätte man einem wie ihm zugetraut, die Güte seiner „Weiber“ nach Filmzitaten aus Top Gun, Wall Street oder Mad Men zu taxieren, nicht nach deren Fähigkeit, fehlerfrei Dylan zu zitieren. Aber dann, als Gruber seine Krebsdiagnose bekommt, zunächst hartnäckig ignoriert und gleichzeitig zu spüren beginnt, nämlich Liebe, Lebenssinn, Schmerz und noch einiges mehr, da beginnt der Dylan-Konnex plötzlich Sinn zu machen. Und wieder einmal hätten wir den Altmeister des Folk-Rock-Pop in die Depro-Ecke gestellt, in der sich seine Fans so gerne wiederfinden, wenn sie von ihm schwärmen …

Aber weder ist „Gruber Geht“ ein Depro-Krebsdrama, noch meint es Gott Dylan stets und immer nur traurig. Und beides geht formidabel auf. Zum einen, weil der tolle Manuel Rubey bravourös der Versuchung widersteht, den halben Film (während er also den kranken Gruber gibt) bedeutungsschwanger-melancholisch dreinzuschaun und sich ob seines dräuenden Endes selbst zu bemitleiden. Und zum anderen, weil „Shadows in the Night“ ein eigentlich hochfröhliches Album ist. Das zwar nicht von Dur-Noten strotzt, dennoch aber Zuversicht deutet. Nicht zuletzt deshalb, weil die Interpretation jener bekannten, berühmten Songs aktuell besser zu Bob Dylans Kehlkopf-Reibeisen in Stimmband-Gestalt passt (mit dem er seit Jahr und Tag eigentlich genial tonalitätsbefreit agiert), als manche seiner eigenen Songs.

Die für mich magische Vereinigung von Gruber und Dylan geschieht etwa zur Mitte des Streifens, als bei einer Schlüsselszene mitten im Läuterungsprozess von Johnny der mir bislang unbekannte Song „Girl from the Red River Shore“ erklingt, in einer fein arrangierten, dezent instrumentierten, keineswegs puristischen Version. Nicht nur das Kippen der Grundsätze in Grubers Leben erhält damit einen feinen Soundtrack (überhaupt verdienen sich Florian Horwath und Florian Blauensteiner höchstes Lob für den geschmackvollen Klangteppich des Filmes), auch Dylan’s Werk bekam in meiner höchstpersönlichen Wahrnehmung einen neuen Spin.

Jenen nämlich, dass Bob Dylan diesen Song für John Gruber geschrieben hat (was natürlich völliger Blödsinn ist und die Güte des Musikarrangements des Streifens ein weiteres Mal adelt). Ohne erhobenen Zeigefinger, eher mit um die Schulter gelegtem Arm und ganz viel Verständnis: „Now I’m wearing the cloak of misery and I’ve tasted jilted love. And the frozen smile upon my face, fits me like a glove.“

So, also. Wenn Dylan Songs für John Gruber schreiben kann, warum dann nicht auch für sich selbst? Plötzlich macht das Dylan-Interview zu „Shadows in the Night“ Sinn. Der Meister hat sich selbst eine Freude gemacht, dabei den legendären Tontechniker Al Schmitt (legendär auch hier für eher, hm, gefällige Produktionen, vor allem aber hat Schmitta auch mit Sinatra gearbeitet, back in the days) Studio gebeten und ein tatsächlich nachezu zeitloses Statement abgegeben. Vielleicht auch weil, wie der deutsche Spiegel schreibt, „es an der Zeit sei, den eigenen Mythos ein wenig auf Normalmaß zu stutzen.“ Und ja, Dylan singt hier. Echt und wirklich:

Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist man auch Freund mit John Gruber, was dieser natürlich nicht so gerne hören würde. Dennoch empfindet dieser plötzlich nicht alles, so wie früher, als Ballast. Und man bekommt sogar den Verdacht, nicht nur die Krebs-Diagnose trägt Schuld daran. Vielleicht wäre die Neuordnung von Grubers Sicht der Dinge auch einfach nur durch das Auftauchen Sarahs in seinem Leben erfolgt. Aber das Extra-Drama einer 70/30-Überlebenschance wirkt folgerichtig als Brandbeschleuniger. Und die Dinge nehmen dann eh ihren Lauf. Beeindruckend bleibt hier weniger das – vorhersehbare – Ende, sondern wie Regisseuse und Drehbuchautorin Maria Kreutzer die Straße dahin beschreibt, erzählt und aufzeichnet.

Was steht also am Ende eines Textes über zwei Kultur-Ereignisse der letzten Woche, deren Start ins offizielle Leben zufällig am selben Tag erfolgte? Zwei Kaufempfehlungen. Eine für Bob Dylans neue Scheibe „Shadows in the Night“ und eine für die Kinokarte zu „Gruber geht.“

 

 

„Shadows In The Night“-Tracklisting:
1. „I’m A Fool To Want You“
2. „The Night We Called It A Day“
3. „Stay With Me“
4. „Autumn Leaves“
5. „Why Try to Change Me Now“
6. „Some Enchanted Evening“
7. „Full Moon And Empty Arms“
8. „Where Are You?“
9. „What’ll I Do“
10. „That Lucky Old Sun“