AKUT

Thema Bildung

Sarah Wetzlmayr

Und wenn jemand fragt, wohin du gehst, sag ja nicht nach Bologna

Stichwort: Bildungskrise. Schon 1980 sah man das Leben langsam aus dem Studentenleben sickern und Bildung zu Ausbildung verkommen.

TEXT: SARAH WETZLMAYR

Hier: Universitäts-campus, 1090 Wien, eine Bierdose steht im Gras herum, eine Selbstgewutzelte steckt lässig zwischen Zeige- und Mittelfinger.
Jetzt: Erster Tag des Sommersemesters 2016. Die Sonne scheint. Es ist früher Nachmittag und die letzte STEOP-Vorlesung hätte eigentlich schon vor 15 Minuten angefangen.
Aber: „YOLO statt VO“. Das steht übrigens auch auf dem Shirt der Studienkollegin gegenüber, deren Augenringe schon beinahe wieder verschwunden sind.

März 2016. Das Sommersemester hat gerade begonnen und die ersten Sonnenstrahlen kitzeln nicht nur in der Nase, sondern auch die Wiener Studentinnen und Studenten aus ihren dunklen Kämmerchen hervor. Dunkel sind auch ihre Augenringe. Vom Wochenende noch, als man das private Kämmerchen mit der Duftnote „Räucherstäbchen“ kurz mal gegen diverse Clubkammern, Duftnote „kalter Rauch“, getauscht hat. „Yolo“ hat man sich mehrmals zugeprostet, wobei das „L“ mit zunehmendem Bierkonsum langsam verschwunden ist. Genauso wie die Gedächtnisleistung und die akkurate Selbsteinschätzung, vor allem angesichts des anderen Geschlechts. Jetzt, am frühen Montag- nachmittag, ist das alles nur noch eine beiläufige Anekdote wert. Was zählt, ist das Hier und Jetzt.

Wenn Studenten im Jahr 2016 dazu neigen, aus der Tragödie ihrer Studienzeit eine Romantic Comedy zu machen, kommt dabei meist ein – wie das obige – stark stilisiertes Gedankenbündel heraus. Das könnte man jetzt auch ganz einfach zusammenschnüren und gemeinsam mit dem Restmüll in die schwarze Tonne im Hof werfen. Denn jeder, der ein wenig die bildungspolitischen Debatten in diesem Land verfolgt hat, muss zumindest vermuten, dass Bologna eine solch fast unerträgliche Leichtigkeit des Studentseins nicht mehr so einfach zulässt. Man kann es aber auch öffnen und einmal darin stöbern, um hervorzukramen, woher die beinahe schon verzweifelten Romantisierungsversuche des Studentenlebens kommen. Meistens nämlich direkt aus den Fotoalben der Elterngeneration, einem antiquierten Setzkasten von Eindrücken, gespeichert in Jointstummeln, alten Skripten von Vorlesungen, die man nie besucht hat, und ewig aufgeschobenen Prüfungsterminen. Natürlich war auch in der Zeit vor 1980, als man post-Kreisky langsam begann, eine Bildungskrise in Österreich vorherzusagen, nicht alles einfach nur gut, genauso wenig wie im Jahr 2016 an den Universitäten alles schlecht ist. Dennoch kollidieren die meisten Versuche der Überführung des damaligen Studentendaseins in das neue Millennium zumeist mit den Ufern Bolognas und all den zusätzlichen Auswüchsen wie Studiengebühren, Punktekontigente, Verschulung und ECTS-Wahnsinn.

Der größere gesellschaftliche Kontext, in dem diese Visionen von Studentenleben als wirkliches Leben nicht nur von etwas zu viel Gras generierte Vorstellungen waren, sondern wirklich gelebt werden konnten, war natürlich ein ganz anderer als heute. Die 1970er waren vor allem durch die große Bereitschaft, die öffentlichen Ausgaben zu erhöhen, der beste Nährboden für eine soziale Öffnung der Universitäten, eine Abschaffung der Studiengebühren und diverse andere Entgegenkommen. Nachdem jedoch gegen Ende der 70er die Staatsverschuldung zusehends als Problem aufgefasst wurde, was vor allem die Bildung wie ein scharfkantiger Bumerang traf und sie mit einem tiefen Schlitz hinterließ, aus dem das hineingesteckte Geld nun wieder heraustropfte, mussten Maßnahmen getroffen werden, die der Priorität einer Budgetkonsolidierung eher entsprachen als einem gratis Öffi-Ticket. Mitte der 90er wurden dann endgültig „Sparpakete“ sowohl an Schulen wie Universitäten verschickt und 1999 das Budget der Universitäten von 2,4 Mrd. auf 2,3 Mrd. Euro gekürzt. Allerdings wurde die zunehmende Bildungsnachfrage an den Universitäten nicht mit einer Erhöhung des Budgets beantwortet, sondern mit Sparmaßnahmen und in weiterer Folge mit Zugangsbeschränkungen und sogenannten Eingangsprüfungen. Die Gleichung lautete nun nicht mehr „Investition in die Zukunft = Investition in Bildung“, sondern „Investition in Zukunft = Investition in Ausbildung“ und damit in die Wirtschaft. Aus diesem Grund hockten sich 2009 mehrere hundert Studenten ins Audimax der Uni Wien und beschlossen, dort nicht mehr rauszugehen, bis das „Bologna-Abkommen“ wieder ohne Absender in die Heimat von Tante Ceccarelli zurückgeschickt wird. Für viele war das, zumindest anfangs, der Moment, in dem so viel Leben in ihr Studium gelassen wurde wie nie zuvor. Ein kräftiger Atemstoß, der ein loderndes Feuer entfachte, aus dem dann „Uni brennt“ wurde. Nachdem rigide Aufnahmeverfahren und starre, verschulte Studienpläne keinen Raum mehr für die persönliche Entwicklung und Bildung ließen, wollte man sich diesen einfach wieder zurückerobern. Aber wo 2009 die Doktorhüte gebrannt haben, ist jetzt, 2016, nur noch ein schwaches Glimmen übrig, ähnlich wie das des in der Eile nur halb ausgedämpften Zigarettenstummels in der Wiese des Universitätscampus. Weil man doch noch schnell in den Hörsaal gelaufen ist, denn fehlen die ECTS-Punkte der Vorlesung, sind sie weg, das Leistungsstipendium, die Halbwaisenrente und das scheinbare Öffi-Ticket ins Leben.

Foto: Daniel Novotny | Facebook