AKUT

Kopfgeldjäger

Sarah Wetzlmayr

Investieren in Panini-Sticker? Auch das ist möglich. Alles, was man für ein prosperierendes Sammeldepot benötigt, ist ein wenig Kleingeld und viel Geduld.

TEXT: MANFRED GRAM

Ausnahmezustände lassen sich nicht immer ganz einfach erklären. Selbst dann nicht, wenn sie sich zyklisch wiederholen. Ermittelt der Fußballsport einen Weltmeister oder kürt Europa die beste Fußballnation, wird irgendwo im Gehirn von – vorwiegend – Männern ein Schalter umgelegt. Plötzlich sind quer durch alle Alters- und Sozialschichten alle verrückt auf kleine Klebebildchen mit Konterfeis von mehr oder weniger attraktiven Männerschädeln, die der italienische Kinder- und Jugendbuchverlag Panini in millionenfacher Ausführung auf Bögen druckt und eintütet. Ein lukratives Geschäft für den Verlag, der 2014 einen Umsatz von 751 Millionen Euro machte, und gleichzeitig ein überaus interessantes Schauspiel, das alle zwei Jahre im Frühling und Frühsommer stattfindet. Vor allem die Österreicher – das lässt uns Paninis Presseabteilung wissen – sind narrisch auf die kleinen Sticker. Und zwar unabhängig davon, ob die Nationalmannschaft für die Endrunde qualifiziert ist oder nicht. Ist es Kompensation für jahrelang gebeutelte Ballesterer-Seelen, die sich auf Tauschbörsen konspirativ ein „Wir sind Klebekaiser“ zuzwinkern? Sind es Nostalgie, Regress, genetisch tief verankerte Jagdinstinkte oder eine perverse Lust am Archivieren, die hinter diesem Verhalten stecken? Vielleicht ist es alles zusammen, vielleicht auch gar nichts davon. Was es allerdings sicher ist, hat der britische Mathematiker Paul Harper ermittelt: eine verhältnismäßig teure Angelegenheit.

Um ein EURO-Album für Frankreich ohne Tauschen vollzukriegen, braucht es 522,90 Euro respektive 747 Sackerl. Das macht natürlich kein vernünftiger Mensch. Deswegen gibt es Tauschbörsen. Finden sich zehn Gleichgesinnte, kann man zu immer noch happigen 168 Euro ein Album füllen. Mitgeklebt wird allerdings auch das Glücksgefühl, etwas vollendet und vollbracht zu haben. Nichtsdestoweniger stellt sich die Frage, ob denn das irgendwas bringt. In absehbarer Zukunft sind ja EURO und Weltmeisterschaft vorüber, das Album ist voll und man fragt sich unter Umständen, ob das Gesammelte mehr als persönlichen Wert für einen selbst hat. Erzielen nicht auch Steiff-Bären, Zippo- Feuerzeuge oder Plastikspielzeug aus Schokoeiern mitunter Höchstpreise in leidenschaftlichen Kennerkreisen? Der deutsche Webprogrammierer Arndt Greiff kennt die Antwort: „Was den Wert einzelner Alben betrifft, gibt es eindeutig eine Tendenz – und die zeigt nach oben“, erklärt er. Im November 2013 launchte der 41­jährige Panini-­Fan die einschlä­gige Online­-Tauschbörse Stickerpoint. Wer heute besondere oder seltene Sticker aus längst vergangenen Fußballtagen sucht, tut gut daran, die Plattform zu besuchen. Neben Alben und den dazu gehörenden Stickersätzen zu fast allen Welt­ und Europameisterschaften findet man hier auch seltene, einzelne Panini­ Sticker von Wappen und Länderwappen oder noch originalverschweißte Sticker­tüten von Welt­ und Europameister­ schaften, die zu durchaus respektablen Kleinbeträgen gehandelt werden.

Greiff, der sich über die Jahre ein inter­nationales Netzwerk aus Panini-­Liefe­ranten, Händlern und Sammlern aufgebaut hat, relativiert dann allerdings auch ein wenig und dämpft gar zu hohe Erwartungen an in Dachböden oder Kellern schlummernde Schätze aus der Jugend: „Damit Wertsteigerung über­ haupt erst möglich wird, dürfen die Sticker nicht eingeklebt werden und müssen – so wie das Album auch – in bestem Zustand sein.“ Eselsohren oder vergilbte, vielleicht gar angeschmierte Seiten, die nach Nikotin oder Bier rie­chen, sind also nicht gefragt, will man seinen Klebeschatz gewinnbringend veräußern. „Zudem verschwindet eine Serie, kurz nachdem sie gelaufen ist, in einer wertmäßigen Talsohle. Das Ange­ bot ist nach einer WM oder EM einfach noch zu groß“, schärft Greiff nach. So erhält man im Moment einen Komplett­ satz der Weltmeisterschaft in Brasilien von vor zwei Jahren mit 680 Abziehbil­dern und einem dazugehörigen Album um 39,90 Euro. Das führt zum nächsten kleinen Abstrich. Auch nicht unbedingt wertsteigernd wirkt sich nämlich aus, dass Panini seit 2002 Fußballpickerl massenweise produziert. Allerdings hat alles, was seltener oder in eigenen Ländereditionen von Panini auf den Pickerlmarkt gebracht wird, ein paar Jahre später Chancen auf gute Rendite. Das heuer eigens für österreichische Sammler beigelegte Poster mit 20 Zusatzpickerln, die das Austro­Team in Jubel­ und Actionposen zeigen, könnte demnach bald etwas wert sein. Und in der auch nicht gerade sammelfaulen Schweiz haben Renditenjäger vielleicht noch mehr Glück. Die Nationalwappen der aktuellen Album-­Serie zur EURO sind hier aus Stoff gefertigt. Das gab es bis dato noch nie.

Es braucht also ein wenig Geduld. Gegenwärtig steigt in Sammlerkreisen übrigens gerade der Kurs für die Sticker der Weltmeisterschaft 1998. „Panini hatte damals Lizenzprobleme, des­ wegen wurden die Engländer Robbie Fowler, Les Ferdinand und Tony Adams erst zu einem späteren Zeitpunkt nach­ gedruckt und konnten nur bestellt werden“, erzählt Greiff. Das Trio nennt man in Fachkreisen übrigens „die drei seltenen Engländer“. Wer den flotten Dreier will, zahlt aktuell ca. 30Euro. Wer die noch selteneren iranischen Kicker haben will, muss sogar einen ganzen Druckbogen kaufen. Auch hier erhielt Panini anno 98 keine Lizenz, die Mannschaft aus dem Nahen Osten wurde dann ausschließlich in England nachgedruckt und gratis dem Observer beigelegt. Gut 100 Euro zahlt man jetzt für einen dieser Druckbögen, und dabei heißt es auch noch aufpassen, denn die heiße Ware wird aktuell besonders gerne gefälscht. Prinzipiell gilt beim Hardcore­-Sammeln mit Blick auf preisliche Schädelhöhen aber immer noch: Je älter die Sticker, umso wertvoller! Das Nonplusultra in dieser Hinsicht ist das Sammelalbum zur Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko. Es war Paninis erstes Album und Arndt Greiff muss sich selbst ein wenig stoppen, wenn er davon erzählt. Die Fußballköpfe fanden sich damals noch auf Karten, man musste sie selbst mit Uhu ins Album pappen – wenn man wollte. Auf einer selbstklebenden Folie fanden sich vor 46 Jahren lediglich die Verbandswappen und die Länderflaggen der teilnehmenden Nationen. Und noch dazu im Doppelpack. „Diese Flex-Badges werden mit einem Wert zwischen 300 und 1.000 Euro gehandelt, für seltene Spielerkarten, die ,Rares‘, zahlt man pro Stück bis zu 150 Euro“, sagt Greiff.

Was kostet ein komplettes Album? Da müsste doch ein erkleckliches Sümmchen zusammenkommen? „Das ist nicht einfach zu beantworten. Es gibt ja keinen Katalog. Der Preis der Alben und Bilder wird durch die Nachfrage bestimmt. Ich habe aber schon komplette Sticker-Sätze verkauft, die rund 21.000 Euro einbrachten“, erzählt der Sammler, der Anfang der 1980er-Jahre vom Panini- Fieber erwischt wurde. Summen in dieser Höhe werden aber tatsächlich nur fürs 1970er-WM-Album hingeblättert. Was jetzt nicht heißen soll, dass die anderen Welt- und Europameisterschaften wertlos sind. Die WM 1974 in Deutschland schlägt mit 3.000 Euro zu Buche, für die WM in Argentinien legt man bis zu 2.000 Euro hin, Mexiko 1986 kostet immer noch satte 1.000 Euro und für Italien 1990 müssen mehrere Hunderter einkalkuliert werden. Ähnlich sieht es auch bei den Sammelalben aus, die im Zuge von Europameisterschaften gedruckt wurden. Für das erste Klebearchiv dieser Art, das 1980 für die EM in Italien produziert worden ist, bezahlt man mittlerweile ebenfalls gut 2.000 Euro, für einzelne Wappen, wie etwa das seltene der Engländer, löhnen Extremsammler gegenwärtig bis zu 180 Euro. „Je weiter man in die Fußballgegenwart vordringt, umso günstiger wird es“, so Experte Greiff.

Tauschbörsen im Web.

stickerpoint.at: Panini-Raritäten, aber auch aktuelles Material wird hier gehandelt.
retrofootballstickers.co.uk: Alben (leer und vollgeklebt), Tüten und lose Stickersets lassen sich hier auftreiben.
mystickerbook.90minuten.at: Anlaufstelle zum Tauschgeschehen zur EURO 16.
stickermanager.com:offizielle Panini-Tauschbörse.
sammlerboerse.at: mühsam, aber effektiv.

Fotos: Getty Images (3), Tschuttli Heft/Jens Rassmus/Maria Martin/Kevin Zysset/Luis Gomez-Lanza/Patrick Graf