Film & Serie

Genau hinschauen

Der Filmproduzent und Regisseur Franz Novotny spricht im großen WIENER-Interview über sinnentleerten Konsumismus, eine gerechtere Welt, die Identitären und seinen neuen Film „Deckname Holec“.

INTERVIEW: MANFRED REBHANDL / FOTOS: MAXIMILIAN LOTTMANN

Herr Novotny, der schwarze Carrera vor der Türe – gehört der Ihnen? Um Gottes Willen! Der gehört der Gattin. Ich selbst fahre nur einen Mitsubishi Outlander PHEV Hybrid.

Seit wann das? Seit 2.500 Kilometern. Aber in Wien find‘ ich leider fast nirgends eine Stromtankstelle. Ich fahr ja jeden Tag von meinem Haus in Wolfsgraben nach Wien. Die fünf, sechs Tankstellen der Wien Energie, die es da auf der Stre- cke gibt, sind alle kaputt. Net amal ein Schild „Außer Betrieb“ hängen sie raus!

Was machen Sie dann? Mich beschweren natürlich! Aber es nutzt ja nix!

Und wo kriegen Sie dann den Strom her? Ich stecke den Wagen zu Hause an. Das reicht, um nach Wien zu kommen.

Vorbildlich. Ich frage deshalb nach dem Porsche, weil Dr. Helmut Zilk – so wie Sie – ein bekennender Sozialdemokrat und Hedonist war. Nun thematisieren Sie in Ihrem Film „Deckname Holec“aber eine problematische Facette in seiner Vita, die Spitzeltätigkeit für den ČSSR-Geheimdienst in den Jahren 1965 bis 1968. Es heißt, das Motiv dafür sei Geld gewesen. Haben Sie Verständnis dafür? Teils, teils. Die Tschechen haben ihm ja Schilling zugesteckt, und der Schilling war eine harte Währung damals, da hat man schön damit leben können. Verraten wird er nix haben …

… außer, dass wir in Wien Bauknecht-Kühlschränke haben und Meinl-Kaffee trinken, wie es im Film so schön heißt … Genau! Die wollten ihn wohl nur anfüttern für die allfällige spätere Verwendung.

Sie haben immerhin herausgefunden, dass Zilk „gerne in teure Restaurants geht“ und „Geld nicht im Überfluss hat“. Wie sind Sie an den Stoff gekommen? Durch Zufall. Da war plötzlich ein großartiges tschechisches Drehbuch über die wahre Geschichte eines Regisseurs mit Namen Jan Němec, der hoch-brisantes Filmmaterial nach Österreich – zu Zilk – schmuggelte. Und da Zilk darin nur marginal vorkam, haben wir uns gedacht, wir verbreitern seinen Part und machen eine Koproduktion daraus. Die Sache wurde ohne jede Zensur gefördert, und so war „Deckname Holec“ schließlich finanzierbar.

Darf man fragen, wie es bei Ihnen cashmäßig ausschaut? Ich g’frett mich durch, danke. Bis auf den Frankenkredit in mittlerer sechsstelliger Höhe, der mir ein bisserl Sorgen macht. Der ist von 400.000 auf 580.000 Euro g ́hupft und ist in sechs Jahren endfällig. Den habe ich Trottel mir wie zweihundertausend andere Deppen einreden lassen …

Ui! Wofür aufgenommen? Für mein Haus in Wolfsgraben draußen.

Dann kann es sein, dass Sie bald wieder in Wien wohnen und alles zu Fuß gehen müssen? Möglich, ja. Soll ja g’sund sein.

Ist jeder käuflich? Bei mir fangt’s ab 300.000.000 Ententalern an.

Gut zu wissen. Sie haben ja Ihre eigene Theorie, warum Zilk außerdem so gerne in Prag war. Frauen! Es gab damals auf der ganzen Welt wahrscheinlich keinen sichereren Ort als ein Hotel in Prag, um unerkannt und diskret fesche Frauen zu treffen. Ein vom Eisernen Vorhang umranktes Liebesnesterl sozusagen? So ungefähr. Der Eiserne Vorhang garantierte auch ein Hide-away, ganz abgesehen von der Kaufkraft des Schillings im Osten.

Deckname HOLEC

Das Nachrichtenmagazin profil belegte 2009, dass Wiens ehemaliger Bürgermeister Helmut Zilk in den Jahren 1965 bis 1968 Spitzeldienste für den damaligen ČSSR-Geheimdienst geleistet hat, sein Deckname lautete: Holec. Dafür soll er umgerechnet etwa 30.000 Euro erhalten haben. Laut der Zeitung Mladá fronta Dnes, die sich in ihren Recherchen auf Geheimdienstakten berief, sei Zilk aber „nicht Zuträger im wahrsten Sinne des Wortes gewesen“. Der Wiener Produzent und Regisseur Franz Novotny machte Zilk nun zum Helden seines Films, den er rund um die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 ansiedelt: Ein junger Regisseur, der die Geschehnisse filmt, sieht in Zilk die Chance, das Filmmaterial in den Westen zu bringen…In der Hauptrolle: der aus den „Copstories“ bekannte Johannes Zeiler.

Ab 29.7. im Kino. 

Bio-Box

Franz Novotny, geb. 1949 in Wien, besuchte die Akademie der bildenden Künste, bevor er sich dem Film zuwandte. Er zählte zu den bedeutenden Vertretern des österreichischen Avantgarde lms, 1977 lieferte er mit dem FS-Film „Staatsoperette“ einen ersten Skandal. 1982 ver lmte er Elfriede Jelineks „Die Ausgesperrten“, sein nach wie vor bester Film. Berühmt wurde er mit der Groteske „EXIT – Nur keine Panik“. Hanno Pöschl und Paulus Manker lassen sich darin durch Wien treiben und liefern großartige Anmachsprüche wie „Tschuldigung, kann man sich bei euch vaginamäßig ein bisserl wichtig machen?“ In den 90er-Jahren sorgte die reale Tötung zweier Schlachtpferde vor laufender Kamera nochmal für gehörig Aufregung, bevor es ruhiger um ihn wurde. Seit 1995 betreibt er zusammen mit seiner Frau Karin Novotny eine Firma zur Realisierung von Werbe- und Spielfilmen. Seit einigen Jahren inszeniert er selbst wieder fürs Kino.

Zilk war ein durch und durch sympathischer Typ, kann man das so sagen? Man kann vor allem wenig bis gar nichts gegen ihn sagen. Was er zur Anerkennung der Schuld Österreichs den Juden gegen- über beigetragen hat, war herausragend. Und er hat dazu beigetragen, Wien zu einer richtigen Stadt zu machen. Er war obendrein ein brillanter Fernsehmann. Was man ihm vielleicht vorwerfen muss, ist die Müllverbrennungsanlage Spittelau, die er vom Hundertwasser verschandeln hat lassen. Man sieht ja auch am Kunsthaus, was der Hundertwasser, architekturkünstlerisch betrachtet, für ein Trottel war.

Man macht Ihnen also keine Freude, wenn man Ihnen eine Hundertwasser-Postkarte schickt? Die geht retour.

Der Film beginnt mit einem der berühmten Stadtgespräche, die Zilk damals geführt hat. Haben Sie selbst Erinnrungen daran? Eigentlich nicht. Ich war 16 damals und habe gerade die Aufnahmeprüfung für die Akademie am Schillerplatz gemacht.

Mit 16? Ja, das ging damals mit Zusatzprüfungen. Ich war in der 6. Klasse an der Realschule in der Geblergasse im 17., die mich absolut angeödet hat. Ich wollte mir eine drohende Französischschularbeit ersparen, überhaupt wollte ich mir die ganze Schule ersparen! Da gab es ja noch „Schwarze Pädagogik“ damals, furchtbar. Katzmann, mein Zeichenprofessor, hat dann die Begabung im jungen Novotny entdeckt und der Mutti gesagt, der Bub soll auf die Akademie gehen. Begonnen hab‘ ich dann bei einem legendär anpasslerischen Karrieristen, einem gewissen Sergius Pauser, der 25 Jahre vorher – ganz lieb – das Töchterlein von Hermann Göring gemalt hat. Mein Diplomvater war dann aber der Mikl, ein vergleichsweise wunderbarer Mensch und großer Künstler.

Sie sind im 17. aufgewachsen? Im 17. und 8. Nach der Diktion der Nazis als reinrassiger Tscheche. Den Vater hab‘ ich oft aus den Gürtelwirtshäusern abgeholt, das war eine arge Hurengegend damals, Hotel Hernalserhof hieß z.B. eine feine Adresse.

Ein schönes Aufwachsen? Net wirklich.

Damals, um 1968, träumten viele von einem „Kommunismus mit menschlichem Antlitz“. Sie auch manchmal? Ich war zwar immer links, aber nie Kommunist und auch in keiner anderen Partei. Dem Kommunismus physisch am nächsten war ich wahrscheinlich 1982, als ich mit der Elfriede Jelinek zusammen „Die Ausgesperrten“ gemacht habe, die war ja Kommunistin.

Haben Sie selbst Erinnerungen an die Zeit vor dem Prager Frühling? Oldtimer in Wien! Seltsame Autos, zum Teil dreirädrige mit Zeltplanen, die von drüben gekommen sind. Unter Dubček, im „Prager Frühling“ hatten die Leute in der ČSSR ja kurz Reisefreiheit. Manche bunte Vögel konnten sich statt Tatra und Škoda auch italienische Sportwagen leisten, so wie der Regisseur in meinem Film, der ja damit seine aberwitzig freche Haltung gegenüber dem KP-Regime mit knallendem Auspuff nach außen trägt.

Außerdem lebte er in einer Art Kommune mit vielen nackerten Mädels. War der Osten sexuell offener? Die Mädchen und Frauen in den sozialistischen Ländern wuchsen selbstbewusster auf als die braven Hausmütterchen im Westen während der verzopften Adenauerzeit, jedenfalls vor 1968. Und grad als Künstler konnte man im Osten eigentlich ein lässiges Leben haben, die waren ja alle angestellt beim Staat.

Ein Modell auch für uns? Nicht wirklich. Man darf die Willfährigkeit der Künstler nicht kaufen.

Sie selbst sind leidenschaftlicher Wiener, auch kritischer Chronist der Stadt, wenn wir an „Exit I + II“ denken. Gibt ́s andere Städte, in denen Sie gerne leben würden? Rom, immer wieder. Und Mailand. Obwohl: Ich bin ja immer gerne dorthin gefahren, weil ich in Italien Italienisches einkaufen wollte. Aber jetzt krieg ich dort nur noch das Gleiche wie überall.

Früher wusste man: Brenner, Lire, Mortadella und italienische Maßschuhe. Genau. Heute schaut alles gleich aus, die großen Ketten verdrängen alles.

Wer ist schuld? Na ja, da muss ich kurz oberflächlich ausführlich werden: Wahrscheinlich die Beamtenseele eines Kaiser Franz Joseph, der leider um Jahrzehnte zu spät gestorben ist, wodurch er die Modernisierung des Landes und seine Chancen auf wahre Größe aufhielt. Anschließend natürlich die entfesselten Kleinbürger, die Nazis, die die besten Leute umgebracht oder vertrieben haben. Und dann die Amerikaner, die nach dem Gott sei Dank gewonnenen Zweiten Weltkrieg nun überall ihre Produkte verkaufen, für die der WIENER heute gerne Werbung macht …

… darf ich kurz …? Nein, ich bin noch nicht fertig! Mit dem daraus resultierenden, oft sinnentleerten Konsumismus, mit Brot und Spielen, werden wir nun artig nieder- gehalten. In Ermangelung großer Samm- lungsbewegungen, die Konzepte eines Wohlfahrtsstaates umsetzen könnten, haben wir dem nichts mehr entgegenzusetzen. Dass die großen Konzerne sich die Welt dann ihren Vorstellungen entsprechend auch ästhetisch untertan machen, ist nur noch der Gipfel des Ganzen!

Dann doch lieber Hundertwasser? Um Gottes Willen, nein!

Sind Sie vielleicht auch ein bisserl EU-müde? EU-müde nicht. Aber der ange- so ene Postler, der verlässlich jeden Tag, auch am Samstag, die Post gebracht hat, der geht mir natürlich schon ein bisserl ab. Der hatte noch einen Beruf. An seine Stelle sind die „Nutzlosen“ getreten, die den Rechten nun als Material dienen. Unter Kreisky hingegen hatte Vollbeschäftigung noch einen Wert.

In jedem Zug ein Schaffner! In jedem Lift ein Liftwärter! Die EU als reines Wirtschaftsprojekt, wie es sich heute darstellt, hat mich nie interessiert. Ich habe damals ja eigentlich wegen des Sozialprojekts und natürlich wegen des Friedensprojekts dafür gestimmt. Sozial ist daran aber nichts mehr, da muss man nur die 500.000 Arbeitslosen bei uns fragen.

Sie waren mit 16 an der Akademie am Schillerplatz. Heute ist Ihre Produktionsfirma auch so etwas wie eine Anlaufstelle für Nachwuchsfilmleute. Waluliso sang: „Die Jugend ist und bleibt immer unsere Zukunft.“ Richtig? Es ist meine Pflicht als Produzent, junge Existenzen zu fördern. Und Spaß macht es auch. Patrick Vollrath, Anfang 30, der mit „Alles wird gut“ für den Oscar nominiert war, wird in einer Koproduktion seinen ersten Langfilm drehen, bei dem wir dabei sind.

Bravo! Andere junge Leute machen Ihnen gerade ein bisserl Sorgen? Die Identitären, ja. Kreisky hat gesagt: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen – hohe Arbeitslosigkeit usw. –, dann ist es möglich, dass sich die Zustände der 30er-Jahre wiederholen. Jedenfalls wiederholen sich die Codes von damals: Bei den Nazis der 30er-Jahre waren es die weißen Stutzen und die Kornblume, bei den Neonazis heute ist es die „88“, bei den Identitären sind’s smarte Runen. Da muss man gut hinschauen und vorsichtig sein.

Und widerständig? Natürlich. Obwohl sich das natürlich leicht sagt. Mit jungen Leuten, die der Neid auf das neueste iPhone vom Kevin antreibt, wird man nicht weit hupfen und der Hetze nichts entgegensetzen können. Die muss man aber gewinnen. Wie und für was? Auf jeden Fall für eine gerechtere Welt! Und zum „Wie?“ muss verantwortungsvollen Politikern etwas einfallen. Man darf diese Leute weder verachten noch den rechten Rückschrittlern überlassen.

Ein kleiner Zilk gehört wieder her.