Film & Serie
„Der verweichlichte Saab-Fahrer bin ich“ – Josef Hader im großen Interview
Josef Haders erste Regiearbeit „Wilde Maus“ startet im Wettbewerb der Berlinale. Mit dem WIENER spricht er über die lange Vorbereitung auf das Projekt und seine Erwartungen nach der Fertigstellung.
Interview: Manfred Rebhandl
Herr Hader, Sie haben mit „Wilde Maus“ Ihren ersten Spielfilm als Regisseur gedreht, in dem Sie selbst die Hauptrolle spielen und für den Sie auch das Buch geschrieben haben. Gratuliere!
Dankeschön! Es hat aber auch lang gedauert.
Wie lange ungefähr?
Angefangen zu schreiben hab ich vor drei Jahren. Und gedreht haben wir vor einem Jahr. Insofern wird’s eh Zeit, dass er ins Kino kommt.
Wie waren die Dreharbeiten?
Kalt und lustig. Und aufregend. Regie führen und spielen gleichzeitig war schon eine Herausforderung. Nach drei Tagen hab ich das Gefühl gehabt, es sind drei Wochen vergangen, so intensiv war das.
Haben Sie in der Vorbereitung heimlich Haneke-Seminare an der Filmakademie besucht?
(lacht) Ich glaube, die Teilnehmerzahlen an der Filmakademie sind so beschränkt, dass das heimlich nicht geht.
Außerdem würden alle neben Ihnen sitzen wollen!
Sehr geholfen hat mir der Wolfgang Murnberger (Anm: Regisseur der Brenner- Krimis, in denen Hader die Hauptrolle spielt), der hat mich bei unserem letzten Film als Lehrling verwendet.
Hatten Sie filmische Vorbilder? Woran haben Sie Ihr Auge geschult?
In der Schulzeit war im Melker Stadtkino immer „Aktion der gute Film“, das war dann meistens das New Hollywood der Siebzigerjahre. Alle diese lässigen Filme, die am Ende immer sehr schlecht ausgehen: „French Connection“, „American Graffiti“, „Bonnie and Clyde“ …
Bloß kein Happy End!
Genau. „French Connection“ hat für mich den deprimierendsten Schluss der Filmgeschichte. Ich mag aber auch gern französische Filme. Und asiatische: „Old Boy“ zum Beispiel, oder „Hana-Bi“.
Das harte Zeug?
Asiatische Filme sind hart, aber elegant.
Der Held in Ihrem Film, Georg Endl, ist am Anfang alles andere als hart. Er ist Kritiker für klassische Musik bei einer Tageszeitung, berüchtigt allenfalls für seine bösen Zeilen. Er wirkt auf mich ein bisschen wie so ein verweichlichter Saab- Fahrer …
Der verweichlichte Saab-Fahrer bin eher ich. Ich fahr aber einen neueren Saab aus der Zeit, als Saab von General Motors aufgekauft wurde, das ist also mehr eine Art Opel, wo außen Saab draufsteht.
Na, dann halt wie ein verweichlichter Volvo-Fahrer.
Einen Volvo hätte der Held in meinem Film tatsächlich fahren sollen. Aber dann bin ich bei den Vorbereitungen auf das Projekt im 2. Bezirk am Filmset von Marie Kreutzers „Was hat uns bloß so ruiniert?“ vorbeigekommen, da ist der Manuel Rubey in einem Volvo Kombi gesessen. Deshalb ist es dann in „Wilde Maus“ ein Renault Vel Satis geworden. Das ist natürlich ein Auto, wo man sagen kann, das ist eine Schüssel. Aber der hat einen Sechszylinder-Diesel, der klingt im Film unglaublich bedrohlich, wenn man ihn untertourig fährt. Fast wie ein -Special Effect. Kavalierstarts sind dafür nicht so die Stärke.
Jedenfalls ist dieser sogenannte Held ein ziemlicher Wappler, ein unentschiedener Typ. Seine Freundin will mit Anfang 40 unbedingt noch ein Kind, und er zieht nicht recht mit. Ihr Zusammenleben ist ein bisschen freudlos, sie essen keinen „Fisch aus Aquakultur“, und wenn sie Eisprung hat, muss er sofort antreten. Haben Sie viel Daniel Glattauer gelesen, als Sie das Drehbuch schrieben, oder kennen Sie sich aus in Bobo-Land mit Altbauwohnung und teurer Kaffeemaschine?
Da kennen wir uns doch alle aus, oder? Ich bin aber vergleichsweise ein Kaffeemaschinen-Banause. Ich hab so eine Pavoni-Maschine mit Handhebel, das war eher der Hit in den Achtzigerjahren. Die macht nur einen guten Kaffee, wenn man vorher zehn schlechte Kaffees macht und wegschüttet. Ich wollte eine Komödie machen, und kein Sozialdrama, deshalb ist der Held kein Arbeiter, sondern ein Journalist. Das macht ihn lächerlicher.
Bitte?
Mein Held wird arbeitslos. Wenn ein älterer Arbeiter arbeitslos wird, steht er vor dem Nichts. Wenn ein älterer Journalist arbeitslos wird, bekommt er eine Abfindung. Wenn er vor lauter Egoverlust dann auch noch so tut, als stünde er vor dem Nichts, ist das lächerlich und man kann böse Witze drüber machen. Beim Arbeiter würde ich das nicht tun. Außerdem kenn ich mich bei Arbeitern nicht so gut aus, ich treff ja dauernd nur egozentrische Künstler und Journalisten. Gell?
Sehr gut kennen Sie sich aber scheinbar mit Sex aus, denn bei den entsprechenden Szenen kriegt man eine Ahnung davon, wie anstrengend das alles ist.
Wir haben die erste Sexszene zur Sicherheit in verschiedenen Varianten gedreht, von zärtlich bis anstrengend. Weil man muss am Anfang des Films aufpassen, dass sich der Zuschauer nicht denkt: „So wie die Sex haben, interessiert mich der restliche Film gar nicht.“
Und am Ende haben Sie sich dann doch für „schwere Arbeit“ entschieden?
Ja. Der restliche Film war spannend genug. Wobei meine Lieblings-Sexszene ja eigentlich die zweite ist, wo man überhaupt nur die Füße der beiden sieht. Ich wollt schon immer einmal eine Sexszene drehen, wo man nur die Fußsohlen und die Zehen sieht, da -bekommt der Sex so was Insektenmäßiges.
Haben Sie Ihren Körper so Method-Acting-mäßig auf das Projekt hingeformt, wie Robert de Niro auf „Raging Bull“, oder nimmt man dann als Regisseur einfach, was einem der Schauspieler „anbietet“?
In meinem Alter muss man nehmen, was da ist, und das Drehbuch passend zum Körper schreiben. Trainieren hat bei mir keinen Sinn mehr, da ruinier ich mir nur die Gelenke. Ich bemüh mich zumindest, dass ich im Film nicht so gebückt daherkomm wie privat, aber auch das gelingt nicht immer. Rundrücken.
Den hatten Sie aber schon, als ich Sie vor 30 Jahren das erste Mal auf der Bühne gesehen habe!
Ja, den hab ich, seit ich ein Kind bin. Der ist einfach Ausdruck meiner Seelenlage. Lieber sich ducken, es könnt ja gleich die nächste Katastrophe daherkommen.
Sie haben eine gekrümmte Seelenlage?
Als Kind hab ich eine gehabt. Die Mitschüler haben mich öfters in die Mangel genommen, die Kindheit war sicher die gefährlichste Zeit meines Lebens. Jetzt bin ich eigentlich viel entspannter, aber der Rücken bleibt zur Sicherheit noch in Gefahren-stellung. Mein Rücken ist misstrauischer als ich. Aber solang er nicht wehtut …
Vielleicht liegt das auch daran, dass Sie nicht so viel sitzen, sondern halt sehr viel auf der Bühne stehen, Sitzen ist ja das Schlechteste für den Rücken.
Das spielt sicher auch eine Rolle. Sitzen muss ich nur beim Schreiben. Und auch da spring ich manchmal auf und spiel mir was vor, was ich dann hinschreib. Oder ich renn zum Kühlschrank, um mich für eine gute Idee zu belohnen. Das Schreiben ist eigentlich das Beste am ganzen Beruf. Wenn ich einmal im Schreiben drinnen bin, gibt es keine schönere Arbeit. Aber bis man hineinkommt ins Schreiben, das kann bei mir lang dauern. Da sitzt man tagelang da und es fällt einem nichts ein. Und dann ist es wichtig, sitzen zu bleiben und zu warten, bis die Verzweiflung so groß ist, dass man aus Verzweiflung zu schreiben beginnt.
Aber dazwischen machen Sie sich’s gemütlich?
Ja. Ich hab kein Problem mit dem Faulenzen, ich komm nur leider so selten dazu. Am liebsten würde ich mich einigeln, nur noch zu Hause bleiben, herumräumen, lesen, Filme schauen, die sozialen Kontakte langsam einschlafen lassen … es wäre eine Katastrophe. Ich würde gar nicht mehr aus der Wohnung herauskommen.
Hängt vielleicht mit den unsicheren Zeiten zusammen?
Unsichere Zeiten sind ja immer. Es hat ja noch nie eine Zeit gegeben, die sicher war. In meiner Jugend gabs zwei Supermächte, die sich gegenseitig bedroht haben und beide ein Atomwaffenpotenzial hatten, um die Welt zigfach auszurotten. Davor war der Zweite Weltkrieg, davor der Erste. Da frag ich mich: Wann genau war die gute alte Zeit? Im Dreißigjährigen Krieg? Oder während der Pest? Oder bei den Neandertalern?
Ist die Angst vor der Zukunft etwas, das man vielleicht überhaupt erst mit fortgeschrittenem Alter kriegt?
Schaut so aus. Als Kind habe ich mit alten Leuten geredet, die haben beide Weltkriege erlebt und die haben tatsächlich gesagt: „Ich bin froh, dass ich nicht mehr lang lebe, es kommen schreckliche Zeiten.“ Die Zukunftsangst ist vielleicht mehr was Hormonelles. Sobald der Testosteronspiegel sinkt, kriegen die Leute Zukunftsangst.
Wenn sie weiß und männlich sind, werden sie dann auch oft ärgerlich und böse.
Ja, die Jungen wählen meistens andere Politiker als die alten, da kann man das gut sehen.
Ärgerlich und böse wird auch der Musikkritiker, als er entlassen wird, er hatte einen „alten Vertrag“ und plötzlich ist er überflüssig. Er sinnt auf Rache.
Ja. So was denken wir doch alle einmal, oder? Wenn uns wer schwer beleidigt oder verletzt, wärs doch am schönsten, sofort zurückzuschlagen. Aber wir schlagen nie zurück. Weil dann kommt die Polizei und nimmt uns mit und wir wandern in den Häfn. Das ist der einzige Grund, warum wir’s nicht tun. Sobald wir relativ gefahrlos unsere Aggressionen ausleben können, machen wir’s sofort. Nur so ist zu erklären, wie manche Leute Auto fahren. Und in „Wilde Maus“ wird die Geschichte von jemandem erzählt, der so eine Wut hat, dass er wirklich zurückhaut.
Kennen Sie das an Ihnen selbst?
Ich bin kein zorniger Mensch. Aber leider sehr nachtragend. Wenn jemand eine bestimmte Grenze überschreitet, dann kann ich schwer verzeihen. Aber ich schlag nie zurück.
Georg ist spezialisiert auf klassische Musik, kündigt ein Buchprojekt „Der Orchesterklang vom Barock bis in die Gegenwart“ an …
aus dem aber nie was wird! Die meisten Journalisten nehmen sich ja nur vor, ein Buch zu schreiben, aber die wenigsten tun es.
Warum haben Sie sich für klassische Musik entschieden?
Ich wollte keinen durchkomponierten Score im Film. Lieber klassische Musik, aber keine zum Wohlfühlen. Die Titelmusik ist aus dem Barock, die klingt aber wie Punk. Bilderbuch sind aber auch mit einem Lied drinnen.
Manche Zuschauer werden vielleicht ein wenig enttäuscht sein, dass der Held seinen Rachefeldzug nicht richtig durch-gezogen hat. Am Ende mündet alles in eine Rauferei, die er sich mit seinem Widersacher liefert, und die wirkt so lebensnah wie der Geschlechtsverkehr zu Beginn des Films, mit ganz viel „Aua!“
„Aua“ hört man eigentlich nicht, es ist mehr so eine stumme, verbissene Rauferei wie am Schulhof. Das ist man im Film nicht gewohnt, da werden solche Kämpfe aufgepeppt, das passiert ja schon in jedem Tatort. Natürlich hatten wir auch einen Stunt-Koordinator, der uns gezeigt hat, wie das richtig gehen würde, mit viel Tschin Bumm auf der Tonspur, aber das fanden wir nicht richtig. Meine Erinnerungen an die Raufereien in der Kindheit sind andere: Immer waren die Kämpfenden ein bissl verzweifelt, beide hatten Angst im Gesicht, und am Schluss bin ich immer unten gelegen. So eine Rauferei hab ich gedreht, aber mit erwachsenen Männern.
Ich hatte als Kind immer die größte Sorge um meine Brille, wenn es ans Raufen ging.
Ja, das kenne ich auch gut! Vielleicht hab ich deswegen so oft verloren.
Wären Sie selbst manchmal gerne ein richtig harter Hund?
Nein, das wollt ich schon als Kind nicht. Ich habe mir ja immer gesagt, dass die Harten, die mich verdreschen, primitiv und dumm sind, zu denen wollte ich doch nicht dazugehören.
„Wilde Maus“ ist also einerseits Beziehungsfilm, andererseits ein Rachefilm …
Und ein Buddymovie, und eine Satire über Bobos, und eine Tragikomödie.
Mit Ihrem Assistenten und Fahrer Pimperl sind Sie selbst oft wochenlang unterwegs, wenn Sie mit „Hader spielt Hader“ auf Tournee sind, ist das auch ein bisschen wie eine Beziehung?
Ja natürlich. Wir sind wie ein altes Ehepaar.
Wird dabei viel über Frauen geredet?
Über Frauen? Nein, also … eigentlich überhaupt nicht.
Frauen sind kein Männerthema?
Bei uns nicht. Wir reden so: Wie gefällt dir diese Autobahn? Wie läuft das Auto auf dieser Autobahn? Wann kommen wir an? Solche Sachen halt. Reelle Männerthemen. Vielleicht mach ich das nächste Mal ein Roadmovie. Da kenn ich mich auch gut aus.
Eine legendäre Zweierkonstellation gab es ja schon in „Indien“ mit Alfred Dorfer.
Ja, vielleicht machen wir „Indien 2“. Fellner kommt aus dem Jenseits zurück und hilft Bösel bei irgendwas. Könnte ein sehr spiritueller Film werden.
In „Wilde Maus“ sitzt Ihre Figur Georg gegen Schluss des Films in einer schönen Unterhose inmitten einer wunderbaren Schneelandschaft und will sich mit Whiskey und Tabletten das Leben nehmen. Haben Sie sich dabei mehr an „Fargo“ orientiert, oder mehr an „Django“?
Nein. Ich stehle so, dass es weniger auffällt. Ich hab als Jugendlicher Truffauts „Schießen Sie nicht auf den Pianisten“ gesehen. Ich war damals so begeistert, wie in diesem Film im Schnee dann alles anders wird. Nicht nur das Bild, auch der Ton. Alles so leise, wie in Watte gepackt.
Diese Art des Selbstmordes – wäre Ihnen die sympathisch?
Nein, so was wollte ich noch nie. Aber ich hatte vor vielen Jahren in einem Kabarettprogramm ein Lied, das von dieser Art Selbstmord handelt. Da ist nach der Premiere gleich eine bekannte Gesellschaftsreporterin zu mir gekommen und hat gesagt: Herr Hader, das müssen Sie unbedingt raustun, das ist so verführerisch. Das könnte wen verleiten, es nachzumachen. Da hab ich’s rausgegeben.
Wäre vielleicht interessant gewesen zu sehen, ob sie recht hat.
Lieber nicht.
Was sind nun Ihre Erwartungen?
Ich möchte, dass der Film so angenommen wird, dass ich wieder einen machen darf.
„Hauptberuf Regisseur“ als Berufsbezeichnung könnten Sie sich ab jetzt vorstellen?
Über meine Berufsbezeichnung muss ich mir keine Gedanken machen, ich hab ja keine Visitenkarte. Ich möchte nicht drei Filme im Jahr machen, aber wenn ich wieder einmal ganz allein ein Drehbuch schreibe …
Sie sind ja faul.
Richtig.
Also weiterhin „Hader spielt Hader“, bis es wirklich jeder gesehen hat?
Entweder ein neues Programm oder ein neuer Film. Aber Kabarett wird immer ein Teil von meiner Arbeit sein. Ich geh jedes Mal gern auf die Bühne.
Und fahren mit Ihrem Assistenten Pimperl über die Autobahnen, Männergespräche führend?
Mein großes Vorbild ist Dieter Hildebrandt, der hat Kabarett gemacht bis zum 86. Lebensjahr.
Das wird sich wohl machen lassen.
Schau ma mal.Österreichs erfolgreichster und bekanntester Kabarettist Josef Hader wurde 1962 in schwierigen, weil erzkatholischen Verhältnissen geboren. Die strenge Erziehung im Stiftsgymnasium Melk machte ihm zu schaffen, legte aber auch den Grundstein für seine baldigen Erfolge auf heimischen Kleinkunstbühnen: Ab 1982 ging es ihm in Programmen wie „Fort Geschritten“ oder „Tausche Witze gegen Geld“ noch mehr um die Pointe, während er mit „Im Keller“ oder „Privat“ eine Art eigene Erzählform auf der Bühne entwickelte, die ihn zum Star machte. Bald war er als Schauspieler gefragt, die Figur des Privatdetektivs Simon Brenner nach den Büchern von Wolf Haas brachte er kongenial auf die Leinwand. „Wilde Maus“ kommt am 17. Februar in die heimischen Kinos.