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Die Sache mit dem Multitasking – Dirk Stermanns Kolumne im WIENER W427

Während ich Kolumnen für den WIENER schreibe, denke ich oft gleichzeitig an ganz andere Dinge. Zum Beispiel denke ich gerade in diesem Moment an einen Satz, den mir einmal eine Freundin im Streit an den Kopf geworfen hat. „Multitasking“, sagte sie. „Verstehst du das? Google mal ,multi‘ und ,tasking‘, aber das kannst du wohl nicht gleichzeitig!“

Seit damals hab ich zwei Laptops, auf denen ich inzwischen problemlos parallel googeln kann. „multi“ und „tasking“ schaff ich locker, die Ergebnisse erscheinen gleichzeitig auf den zwei Bildschirmen. Multi (lateinisch „viele“) steht für ein Transportkonzept der Bundeswehr, das Wechsellagersystem MULTI, ein multinationales Unternehmen, eine ehemalige Handelskette der Böblinger Kriegbaumgruppe und einen horizontal wie auch vertikal fahrenden Aufzug von Thyssenkrupp.

Aha.
Tasking bedeutet in Anspruch nehmend, arbeitend oder, in der substantivierten Form, Aufgabenzuteilung.

Ich erinnere mich an die Szene, als sie mir damals vorwarf, von Multitasking so weit entfernt zu sein wie der neue österreichische Innenminister Herbert Kickl von menschlicher Größe (er ist nur 95 cm groß). Sie hatte am Telefon ihr wütendes Kind, kochte daneben für mich und sprach gleichzeitig mit mir und einem anwesenden Elektriker, dem sie erklärte, dass Steckdosen sinnlos seien, wenn sie in ­einer Höhe von 2 Metern 50 angebracht sind. Da hatte sie recht. Herbert Kickl zum Beispiel könnte die Steckdose nicht einmal dann erreichen, wenn er auf den Schultern eines zweiten Herbert Kickl stünde. Während sie also kochte, telefonierte und den Elektriker kritisierte, versuchte ich mit ihr ein Gespräch darüber zu führen, ob sie, also meine Freundin, glaube, dass ­Elfriede Jelinek oder Peter Handke mit Buchstabensuppen anders umgehen als Nichtliteraten. Ich glaube nämlich, dass Schriftsteller nicht in Ruhe Buchstabensuppen essen können. Ich stelle mir vor, dass man immer neue Wörter sieht, die man zusammensetzen will, und deshalb gar nicht zum Essen kommt. Aus heutiger Sicht gebe ich zu, dass der Moment von mir schlecht gewählt war. Ich hätte vielleicht warten sollen, bis sie auflegt oder der Elekriker geht.

Beim Kochen hätte ich sie wahrscheinlich in dieses schöne Gespräch locken können. So aber schmiss sie den Hörer neben den Topf, den Löffel gegen die hohe Steckdose und brüllte mich so laut an, dass der dumme Elektriker betreten auf seine dämliche Steckdose glotzte. Die Buchstabensuppe im Topf drohte überzuschwappen, so aufgebracht war sie.

Jetzt, da ich gleichzeitig multi und tasking googeln kann, wundere ich mich natürlich. Was wollte sie mir damals sagen? Sollte ich das Wechsellagersystem der Bundeswehr in Anspruch nehmen? Oder einem horizontal wie auch vertikal fahrenden Aufzug eine Aufgabe zuteilen? War es das, was sie damals von mir wollte?

Ich kaufte mir einen dritten Laptop, auf dem ich das zusammengezogene Wort multitasking googelte. Und da las ich einen interessanten Artikel in dem Fachblatt Open Science der britischen Royal Society. Forscher haben getestet, ob Menschen das gleichzeitige Gehen und Denken gelingt. Ich musste an meinen Agenturchef denken, der nicht gleichzeitig gehen und telefonieren kann. Er muss immer stehen bleiben, sonst kann er nicht einmal sprechen, vom Denken ganz abgesehen.

Bei dieser Studie kam heraus, dass jüngere Frauen sich auch von intensiver Denk­arbeit nicht aus dem Tritt bringen lassen, während bei Männern jeden Alters und Frauen über 60 der rechte Arm beim Gehen merklich weniger mitschwingt, wenn die linke Gehirnhälfte mit einer Denkaufgabe beschäftigt ist. Bei den Männern, die auf dem Laufband standen und einfache Aufgaben lösen mussten, brach die Symmetrie der Bewegungen komplett zusammen. Das ist, laut den Wissenschaftlern, der Beweis für die Überlegenheit jüngerer Frauen, was Multitasking betrifft. Östrogen sei wohl für diese überlegene Fähigkeit verantwortlich. Warum ich diese Geschichte erzähle?

Vor Kurzem war ich in einem bekannten Wiener Restaurant. Am Nebentisch saßen Peter Handke und Elfriede Jelinek und aßen Buchstabensuppe. Ich schaute genau hin. Die Jelinek fischte Buchstaben aus der Suppe und legte sie zu großartigen Textflächen aus, dabei löffelte sie in aller Seelenruhe die gute Rindssuppe, während Handke völlig überfordert die Hälfte der Suppe verschüttete und überhaupt nichts auf die Reihe bekam.

Jelinek telefonierte parallel mit ihrem Verleger und zeichnete Schaltpläne für ­ihren Elektriker. Sie war so genial wie ein horizontal und vertikal fahrender Aufzug, er wirkte eher wie ein pensionierter Regalbetreuer einer ehemaligen Handelskette der Böblinger Kriegbaumgruppe.

Foto: © Udo Leitner