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Die Sapiosexuellen: Wie geil ist gscheit?

Franz J. Sauer

Das Gehirn war immer das mächtigste Aphrodisiakum. Im Zeitalter der sozialen Netzwerke gilt Smart als das neue Sexy. Aber: Wie geil ist Intelligenz tatsächlich?

Text: Manfred Sax

„I wanna fuck your brains out“, zu Deutsch: „Ich will dein Gehirn rausdingsen.“ Das ist häufig der letzte Einzeiler einer Anbahnung, die zumeist in Online-Chats Geschichte wird – und in der Folge nicht notwendigerweise enttäuscht: „Dieser Hirnfick war genial“, schwärmt die Wiener Musikerin Babs (1) über ein entsprechendes Erlebnis. Dabei war anfangs von Sex keine Rede. „Es ging um Philosophie und Buddhismus und so Sachen. Den Ausschlag gaben nicht einzelne Sätze, sondern das, was zwischen den Zeilen durchkommt. Er wirkte überlegen und das starke selbstständige Weib in mir schmolz dahin. Irgendwann schrieb ich, wie fein der Chat mit ihm sei. Als er dann was auf ‚ich will dich und ich krieg dich‘ tippte, war ich wehrlos. Crazy, aber es funzte.

„Ich liebe smarte Männer“, schreibt Bloggerin Gigi. „Er kann meinetwegen ein Arschloch sein, aber er muss ein smartes Arschloch sein.“

Es „funzte“, weil der Raum zwischen den Ohren dieses Typen nicht nur der Platz war, wo der Hut hingehört. Logisch, meint Babs: „Sind wir superg’scheiten Weiber nicht prädestiniert dazu, da alle körperlichen Gegenargumente zu ignorieren? Stinkt a bissl? Wurscht. Kriegt in echt I eigentlich keinen hoch? Scheißegal. Ist ja sein Hirn, dem ich einen Blowjob gebe.“ Klingt wie das Prinzip Hoffnung für den Nerd von heute. Zumal es im Web von Babs‘ Schwestern im Geiste nur so wimmelt: „Ich liebe smarte Männer“, schreibt Bloggerin Gigi. „Er kann meinetwegen ein Arschloch sein, aber er muss ein smartes Arschloch sein. Einmal sprach mich ein Mann in einem Kaffeehaus an, als ich gerade ein Buch von Solschenizyn las, und wir redeten über russische Literatur. Eine Woche später lag er in meinem Bett. Intelligenz macht mich ganz einfach heiß.“ Der simple Satz „das wusste ich nicht“ kann in solchen Fällen zu einem anderen Begriff für „bitte fick mich“ gerinnen.

Im Bett ist es dann nicht unbedingt so, dass das Gehirn eine Pause einlegt. „Als Vorspiel“, doziert Psychologin Diana Rabb, „geben sich diese Leute gern philosophische Diskussionen, weil sie das verlässlich antörnt.“ Und auch nach dem Sex ist der Geist nicht notwendigerweise gesättigt, im Gegenteil, da dominiert Kant statt Cunt (2), wenn es nach einem Blogger namens Mokami geht, der postkoital davon fantasiert, dass ihm sein Girl„Kants ontologisches Argument“ laut vorliest. Womit angemerkt ist, dass sich der Hunger nach Intelligenz beim horizontalen Geplänkel nicht auf Frauen beschränkt. Ein Zeitgenosse namens Wolfieboy, der von Partnern träumt, deren Intellekt ihn „autsch“ gehen lässt, meint sogar, dafür einen neuen Typus erfunden zu haben: „Ich habe beschlossen, dass ich Sapiosexueller bin.“

Es ist auch schon wieder 13komma7 Milliarden Jahre her, dass der Big Bang passierte und das Universum entstand. Anfangs war es simpel, in den ersten Minuten nach dem Bang gab es nur Hydrogen und Helium. Aber heute gibt es auch Sapiosexualität. Ein Wort, das aus sapere (lat.: wissen) und sexus (Geschlecht) zusammengesetzt wurde und eine Sexualität meint, die vornehmlich auf den Intellekt und weniger auf den Körper ausgerichtet ist – und andeutet, dass sich die erotische Lust mit steigendem IQ des Partners maximiert. Mitunter so maximal, dass ein entsprechend heiß gemachtes Girl „am liebsten meine Klitoris an ihren Gehirnen reiben“ würde.

Es muss gesagt sein, dass obiger Wolfieboy das Wort keineswegs erfunden hat. Die deutsche Schauspielerin und zweifache Oscar-Preisträgerin Luise Rainer, die 2014 im Alter von 104 Jahren in London verstarb, hatte es bereits im Vokabular, als sie sich eine Aäre mit Albert Einstein leistete und ihn als „sapiosexual“ bezeichnete. Als solcher ist der alte Albert unter Sapiosexuellen bis heute passiv aktiv („Lass uns mit Einstein masturbieren.“). Mit dem Aufwind des Internets gerieten die Sapiosexuellen vor sechs Jahren in den deutschen Sprachgebrauch, in sozialen Netzwerken erfreuen sich ihre Fanseiten steten Zuwachses, der einschlägige Facebook-Platzhirsch „Intelligence is sexy“ hat 1,2+ Mio Fans.

Der Zeit ihren Sex. Ein Merkmal der vergangenen Jahrzehnte ist weiters, dass den Typen dazu entsprechende Labels verpasst werden. Das 21. Jahrhundert war diesbezüglich recht erfindungsreich. Einmal dominierten die Metrosexuellen, also Menschen mit äußeren Werten wie Waschbrettbauch und dem richtigen Eau de Toilette am Hals, dann wieder Dadbods (Männer mit Wampe) und sogar Lumbersexuelle (barttragende Hipsters mit Axt im Wald). So manche Publizisten macht das gelegentlich grantig. Der ehemalige WIENER Redakteur Peter Praschl etwa vermutet hinter dieser Labelsucht „Lifestyle-Lohnschreiberinnen, die alle paar Monate einen neuen Trend durchs Global Village treiben müssen, um ihre Jobs nicht zu verlieren“ und weiß nicht mehr, wie Mann es Frauen recht machen kann.  Nun, das muss kein Mann können. Es reicht, wenn du weißt, wer du bist. Diplom-Kaufmann Marc Messer wiederum, Pressesprecher des Hochbegabten-Netzwerks Mensa und Mitglied der Triple Nine Society für Menschen mit einem IQ von 149+, möchte sich nicht auf seinen IQ reduziert sehen: „Wo besteht da der Reiz?“ Und überhaupt, welcher Mensch sagt schon „deine Dummheit macht mich ganz feucht“?

Wie jeder Trend haben auch die Sapiosexuellen ihre Ikonen, allen voran den britischen Professor Brian Cox, einst ein Popstar (3), heute Kernphysiker und Sprachrohr von CERN. Letztere Funktion sieht ihn in Sachen Large Hadron Collider im Einsatz, jenem Schlauch 100 Meter unter Genf, in dem Lichtgeschwindigkeit gemacht wird. Ein Rechtschreib-Fauxpas des Tagblatts The Telegraph, der an Stelle von „Hadron“ das nette Wort „Hardon“ (= erigierter Penis) druckte, stempelte Cox über Nacht zu Mister Sapiosex. Was ihn keineswegs störte. Für eine Talkshow baute er den Hadron Collider sogar einmal mit Utensilien aus einem Sexshop nach.

Ähnlich verehrt wie Cox wird die Anthropologin Alice Roberts (42), was zwar auch mit ihrem fabelhaften Aussehen, vor allem aber mit ihrem Stil, die „unglaubliche Reise des Homo sapiens“ nachzuzeichnen, zu tun hat. Mal ist sie in Afrika beim ältesten je gefundenen menschlichen Schädel, dann steigt sie in ihr einmotoriges Flugzeug, das sie selbstverständlich selbst pilotiert, und landet unweit der Donaumündung am Schwarzen Meer, um zu zeigen, wie der Homo sapiens nach Europa migrierte. Ganz nebenbei demonstriert sie damit, dass der Mensch nie jemand war, der sich an irgendeiner Landesgrenze aufhalten und zum Umdrehen zwingen lässt. Weil Migration ein klassisches Erbgut des Menschen ist, nicht eine temporäre Marotte, die futterneidische Neandergeister verstört.

Auch die Kunstwelt gibt sich dieser Tage sapiosexy. Es gibt die amerikanische Performance-Künstlerin Ann Hirsch, die ihre Vagina das Lied „I Feel Pretty“ singen lässt (ja, tatsächlich), um das weibliche Selbstbewusstsein zu stärken. (Der Kunstfurzer Mister Methane, dessen Anus „Smoke On The Water“ intoniert, ist dagegen müder Abklatsch.) Das sapiosexuelle Video „Go To Go“ der niederländischen Girlband Adam, das sie während eines Orgasmuserlebnisses zeigt – nämlich mit auf die Gesichter fixierter Kamera, um die sexuelle Priorität des Kopfes zu unterstreichen –, verzeichnet mittlerweile 17+ Mio. Zugriffe. Es tut sich was in der sapiosexuellen Welt.

Bleibt die Frage: Wie geil ist g’scheit tatsächlich? Also, zunächst ist Intelligenz jedenfalls mal praktisch. Man kann nur eine begrenzte Zeit bumsen, aber reden kann man immer. Einzubringen wäre noch das alte Wissen vom Gehirn als mächtigstem Aphrodisiakum. Nur meint die Tradition, dass das Gehirn obsolet wird, sobald die Dinge zwischen zwei Menschen hormonell werden. Klar ist, dass die Suche nach sapiosexuell Gleichgesinnten insbesondere in Nerdland auf Gegenliebe stößt, wo der physische Eindruck nichts, die Potenz beim Bedienen des Computers alles ist. Jede vierte Beziehung beginnt heutzutage online, wo du viele Informationen über jemanden hast, noch ehe du ihn kennst. Anhand der Fotos und des Geschriebenen weißt du, wie das Subjekt der potenziellen Begierde aussieht und denkt, noch ehe Zweisamkeit und Pheromone und Hormone die Sache kompliziert machen. Ein Umstand, auf den auch Dating-Webseiten reagierten. Auf Tinder und OkCupid zum Beispiel wurde neben anderen Optionen – gay, straight, androgyn, asexuell etc. – nun auch die Kategorie „sapiosexuell“ eingeführt und mauserte sich zu einer der populärsten. Die digitale Gegenwart bedeutet: Vorteil Denkstelle. Wenn auch mit geschlechtlich unterschiedlicher Gewichtung, meint die Wissenschaft: Frauen hören lieber was Gescheites, Männer sehen lieber etwas, das sie „auch nicht dumm“ denken lässt. (4)

Wer im Intelligenztest versagte, hatte auch nichts Vernünftiges im Hodensack.

Tatsächlich gewann der sapiosexuelle Trend vor wenigen Jahren eine handfeste substanzielle Basis, nachdem eine aufsehenerregende Studie des Evolutionspsychologen Prof. Geoffrey Miller signifikante Evidenz brachte, dass Männer – getestet wurden deren 400 – mit dem höchsten IQ außerdem die gesündesten Spermien aufweisen. Wer dagegen im Intelligenztest versagte, hatte auch nichts Vernünftiges im Hodensack. Millers Schlussfolgerung: Spermienqualität und Gehirnsubstanz sind enge Verwandte. Die beiden Qualitäten haben sich vermutlich gemeinsam entwickelt, um gute Gene zu signalisieren, meint Miller: „Merkmale wie Sprache, Humor und Intelligenz evolvierten in beiden Geschlechtern, weil sie beiden Geschlechtern attraktiv erschienen.“  Intelligenz sei letztlich heute auch die wichtigste Qualität, um etwaigen Nachwuchs sicher über die Runden zu bringen.

Nicht unrichtig ist auch, dass Männer von gescheiten Frauen mitunter verunsichert werden. Zumindest beim ersten Chat-Kontakt helfen aber ein paar Regeln, um nicht sofort entfreundet zu werden. Korrekte Rechtschreibung und sparsamer Einsatz von Rofl, Lmao, Lol und so weiter zum Beispiel sind ratsam, kann ein Kurzweiler bestätigen, der auf Facebook als „sapiosexal angel“ recht einsam unterwegs ist. Es hilft, wenigstens „sapiosexual“ richtig zu buchstabieren. Anzuraten ist auch, nicht gleich in der ersten Nachricht sexuelle Fantasien zu äußern. Meldungen wie „Wenn ich dir das Gehirn rausgebumst habe, darf ich es dann behalten?“ sind tunlichst zu unterlassen. Für „pressante“ Fälle gibt es schließlich Porno. Dortselbst wiederum macht der Suchbegriff „sapiosexuell“ nicht wirklich Sinn. Das weltgrößte Portal Pornhub, dessen Videos zumeist siebenstellige Zugriffe aufweisen, offeriert dazu genau einen Clip, nämlich den Ligo Gravitational Wave Chirp (LGWC), eine vom LIGO Observatorium aufgenommene Klangwelle von der Kollision zweier Black Holes. Immerhin sind dort bereits 150 Pornhub-User gelandet, einer hinterließ sogar einen Kommentar: „wtf?“ Jedenfalls ist aber die Vermutung von Autor Praschl, dass der sapiosexuelle Trend, wie die anderen auch, bald wieder vorüber ist, ebenso unbegründet, wie Mann mit der Angst vor einer Abfuhr („Weißt du, ich vögle eigentlich lieber mit Männern, die wissen, wie Vögeln geht.“ Praschl) ganz einfach zurechtkommen muss. Für Sapiosexualität spricht, dass der Körper schnellerem Verfall ausgesetzt ist als der Geist. Also: Lass uns Sapiosex haben und unsere fleischliche Hülle hinter uns lassen.

 

(1) Name von der Redaktion geändert (2) Cunt – Umgangsenglisch für Vagina  (3) Keyboarder der Band D:ream (4) Helen Fisher: Anatomy of Love, New York 2004 

Illustrationen: Dennis Eriksson