AKUT
„Wüst a Watsch’n?“
Über den drohenden Verlust von Kulturtechniken. Und die Frage, warum in der #MeToo-Bewegung nie über Frauen geredet wird, die schmerzhaft lächerliche 600 Euro im Monat verdienen und sich dann auch noch alles gefallen lassen müssen, um überhaupt überleben zu können.
Text: Manfred Rebhandl
Was ich gerne mal lesen würde: „Eilmeldung! Die von einem schmerzhaften Bandscheibenvorfall, einer hartnäckigen Sehnenscheidenentzündung, brennenden Füßen und reißenden Waden geplagte geringfügig beschäftigte Putzfrau im Drittberuf Olga P., die obendrein mit faulen Zähnen sowie wunden Händen ausgestattet ist und schon seit 14 Jahren nicht mehr beim Frisör war, weil sie ihn sich einfach nicht leisten kann, verklagte auf Anraten einer Frauenrechtsorganisation ihren Arbeitgeber, den halbseitig gelähmten Vorstadtwirten Schurli A., der ihr nach einer 16-stündigen Schicht beim Zusammenstellen der Tische und während dem Herauswischen des Bodens auf die Duttel geschaut hat. Beide schliefen in den frühen Morgenstunden übereinander liegend und komplett übermüdet auf dem frisch gewienerten Boden ein.“
Oder: „Die 34-jährige Hutschenschleuderin Karin K. verklagte den 52-jährigen Schausteller Otto B., weil der sich während eines Vorstellungsgespräches in einem Hotelzimmer – was der Hutschenschleuderin K. gleich spanisch vorgekommen ist, „dass der sich in einen Hotel mit mir treffen wü!“ – nicht für ihre Fremdsprachenkenntnisse und ihr abgeschlossenes Doktoratsstudium in Numismatik interessierte, sondern stattdessen nur den Hotelbademantel geöffnet und versucht hat, sich vor ihr einen abzuwichsen, was ihm aber aufgrund von Zucker und Bluthochdruck nicht gelingen mochte.“ Selten nur, allzu selten, dass wir in der Gosse oder der Posse zum Beispiel, den beiden heimischen Blättern von Schwachmatikern für Schwachmatiker, etwas über die Olga und den Schurli lesen, oder über die Karin und den Otto. Und zwar deshalb nicht, weil sie in den Augen der Krawallblätter komplette Wappler sind und obendrein so arm und übermüdet vom täglichen Kampf ums Überleben, dass sie schlicht und einfach keine Zeit haben, sich über Themen wie Sexismus überhaupt Gedanken zu machen – nicht über den alltäglichen, nicht über den strukturellen, und auch nicht über den schwachsinnigen. Und darum werden sie dazu halt auch nie befragt.
Solange wir uns nur damit beschäftigen, dass man sich bei Netflix in New York während einer Sitzung bei veganen Brötchen nur noch 20 Sekunden lang in die Augen schauen darf, weil alles andere sexuelle
Belästigung ist, wird in der Sache nicht viel weitergehen.
Äußern zum Thema Diskriminierung tun sich also immer nur „die Großkopferten“ oder „die G’scheiterl“, „die G’studierten“, „die Schauspüler“ oder überhaupt gleich „die Stars“. Aber halt nie die „Rostigen“, wie die Rotschädeln früher geheißen haben, oder die „Bladen“, wie man die Adipösen früher nannte; nie die „Bloßhapperten“, die was die Untalentierten waren, oder die „Blinden“, die von nichts eine Ahnung hatten; nie die „Langen“ und nie die „Kurzen“, nie die „Hatscherten“ und nie die „Schiarglerden“, und nicht zu vergessen: vor allem nie die „Flachen“ und die „Negeranten“, die nie etwas hatten, außer natürlich schon auch ihre Probleme mit Diskriminierung, aber halt nicht so prominent, dass man auf Insta gleich ein Hashtag für sie macht und „MeToo!“ im Chor schreit. Zwar muss man auf alle Fälle dafür sein, dass Behinderte im Rollstuhl nicht mehr über die Stiege ins Amt getragen werden müssen, und darf man sich unbedingt auf die Seite der Bladen schlagen, auch wenn einen bei genauerem Hinsehen niemand dazu zwingt, jeden Tag zwei Liter Billigenergydrink hineinzuschütten.
Aber in der Sache mit den Frauen und dem Sexismus kann man sich schon fragen, warum es da immer um Schmerzensgeld in Millionenhöhe gehen muss und der Schmerz dadurch entstanden ist, dass man einem Wichser beim Wichsen im Bademantel zuschauen musste. Warum aber andererseits nie über jene Damen geredet wird, die mit schmerzhaft lächerlichen 600 Euro im Monat nach Hause gehen und sich vielleicht genau deshalb im Leben wirklich alles gefallen lassen müssen – eben auch den besoffenen Alten zu Hause, der ihnen mit seiner Mindestsicherung die 50 Euro zur Miete dazu zahlt, ohne die sie womöglich obdachlos wären, und der im Gegenzug glaubt, sie dafür „Du Fut!“ nennen zu dürfen. Oder den Chef, dem sie am Freitag einen runterholen müssen, damit sie am Samstag auch mal dienstfrei haben und zur Abwechslung ihre Kinder sehen können.
Solange wir uns in dieser Sexismus-Debatte nur damit beschäftigen, dass man sich bei Netflix in New York neuerdings während einer Sitzung bei veganen Brötchen und handgeschöpfter Schokolade nur noch handgestoppte 20 Sekunden lang in die Augen schauen darf, weil alles andere als sexuelle Belästigung und also als Strafdelikt durchgeht, wird in der Sache nicht viel weitergehen. Außer vielleicht, dass wir auf dem Weg hinein in die Sackgasse, wo Mannderl und Weiberl dann überhaupt nichts mehr miteinander zu tun haben werden, wenn sie nicht vorher einen Vertrag unterschrieben haben, auch noch alte und sehr bewährte Kulturtechniken verlernen wie: „Sich wehren können“; „Sich auf die Hinterfüße stellen“; „Ihm die Wadeln nach vor richten“ oder „eine ordentliche Gosch’n anhängen“. Ganz zu schweigen von „Ihm eine feste Watsch’n reinhauen, wenn er deppert wird.“