Essen
Frankfurter Legende
Die Namensverwirrung zwischen Wiener Würstchen und Frankfurter geht auf Johann Georg Lahner zurück – sein Urrezept aus dem Jahre 1805 füllt heute wieder die Därme.
Text: Roland Graf / Fotos: Hersteller
Die Geografie der Wurst ist eine vertrackte: Denn die Frankfurter kommen zwar aus der hessischen Stadt, wurden aber in Wien in ihre heutige Form gebracht. Der Urversion allerdings kommt ein Paar Würstel am nächsten, das in Wiener Neustadt entsteht. Bei Stefan Windisch in der Lederergasse werden die Original Sacherwürstel gefertigt, und daher ereilte den Fleischer auch ein Anruf des Kochs und Autors Gerd Wolfgang Sievers. Er hatte bei den Erben Johann Georg Lahners ein Rezept gefunden – nämlich das der ursprünglichen Frankfurter. Aus ihnen gingen alle späteren Hot-Dog-Füller hervor, aber auch die Wiener Langversion, das „Sacher Würstel“.
Lahner war Anfang des 19. Jahrhunderts nach Wien übersiedelt und machte die „Frankfurter Wiener Würstel“ zur Trademark im Schottenfeld. Kennengelernt hatte er die wenig geselchte Wurst während seiner Lehrzeit, dort wurden sie in kleine Kisten gepackt, was den Würsteln eine kantige Form verlieh. Doch anders als in Deutschland durften in Wien Fleischsorten auch vermischt werden. Die ursprünglich deftige Schweinswurst wurde nun 1805 in „Tafelspitz-Country“ mit Rindfleisch verfeinert. Der gewaltige Erfolg machte die Würstel populär, auch die später erzeugten feineren Frankfurter gehen auf einen Lahner-Nachfahren zurück. Bis in die 1970er-Jahre blieb diese innovative Fleischerdynastie als Name – in der Wiener Kaiserstraße (passend: denn auch Franz Josef I. war beim Gabelfrühstück ein Lahner-Fan) – erhalten.
Doch dann tauchte vor zwei Jahren das Rezept aus dem Familienbesitz auf und Windisch und Sievers begannen, nach dem historischen Vorbild zu produzieren. Was einfacher klingt, als es ist. Denn Kochrezept war es keines, das hier im Lahner’schen Familienarchiv schlummerte. Zunächst musste man Zugeständnisse an den heutigen Geschmack machen, denn beim Fettgehalt des Originals wäre die „Lahner“ heute schon als Einspänner eine Hauptmahlzeit. „Wir haben daher den Fettgehalt reduziert und den Geschmack mit Reingewürzen „nachgebaut“, erzählt Windisch über die Adaption des Urfrankfurters. Welche Mengen allerdings von den Gewürzen zu Lahners Zeiten verwendet wurden, darüber schwieg die Rezeptur, Würstelprofi Windisch musste sich also herantasten.
Die wiederauferstandenen Würstel selbst basieren auf einer aromatischen Mischung des Fleischs der Mangalitza-Schweine und des Graurindes; beide gab es bereits zur Habsburgerzeit als Haustierrassen. Selbst den teureren Schafsdarm als Hülle hat man in Wiener Neustadt beibehalten. Dafür hatte sich in der Zwischenzeit auch die Technik weiterentwickelt; so wird etwa der Speck nicht mehr in Würfeln wie zur k.-u.-k.-Zeit beigefügt, sondern in kleineren Stücken. „Retro“ ist das Würstel aber allemal, denn Stefan Windisch sorgt dafür, dass das Wurstbrät nicht zu fein „gecuttert“ wird, wie die Fleischer sagen. Dann wäre die Füllmasse zu modern, zu brav und auch zu nahe am heutigen Frankfurter. Im Original aber sorgten „Wiegemesser, die zwei Mann bedient haben wie eine Bloch-Säge“ für die damals relativ feinen Stückchen, die im Schafsdarm landeten. Weniger Technik für mehr Text(ur)-Treue war angesagt: Der Biss der „Wiener Frankfurter“ sollte schließlich erhalten bleiben – auch 214 Jahre nach der Geburt der weltbekannten Würstel!
Lahners Erben
Wo die Urfrankfurter heimkehren
Den direkten Würstelvergleich ermöglicht der „Stadtwirt“ im Dritten (Untere Viaduktgasse 45): Auf einem Teller werden je ein Frankfurter und ein „Lahner“ serviert. Für zu Hause gibt es die „Urfrankfurter“ in ausgewählten Billa- und Merkur-Filialen (u. a. am Hohen Markt/Wien 1).
Gerd Wolfgang Sievers, der das Rezept der Alt-Wiener Lahner-Würstel aufspürte, steht selbst am Vorgartenmarkt, Stand 30, im zweiten Bezirk. Stefan Windisch verkauft die Würstel nicht nur in seiner Filiale in Wiener Neustadt, sondern auch via Web-Shop: Hier kostet ein Paar 3,90 Euro.