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Die 80er und ich

Die 80er und ich – New Order und ich – Der Oberboss und ich
Wir beim WIENER waren das Nationalteam für Style und Coolness. Ansonsten waren die Achtzigerjahre schnell vorbei.

Text: Götz Schrage / Foto: Sandra Keplinger

Ich war dabei und ich kann mich erinnern. Jeder, der wirklich dabei war, kann sich erinnern. Falco wollte euch nur trösten, von wegen, wer sich erinnern könne, wäre nicht dabei gewesen. Absoluter Bullshit. Die 80er waren groß. Wirklich groß und wirklich wichtig. Jeder war wichtig auf einmal. Andy Warhol hatte gewonnen. Und diese larmoyante Bescheidenheit der schmierigen Hippies hatte verloren. Die 70er waren das Jahrzehnt des Kollektives, der Kommune, der Gruppe. Es gab ein Campari-Plakat in den 70ern, und da stand fett: „Ferien vom Ich“ und obwohl die Menschen ohnedies so ein mickriges Ich hatten, wollten sie von diesem Ich tatsächlich noch Ferien machen. Quasi Kiffen, Campari trinken und dann ungewaschen Liebe machen. Die 80er waren Ficken und Koksen. Nur der Campari durfte bleiben, weil er so stylish rot war. Das Koksen allerdings war die schlechteste Idee der 80er. Sonst waren sie grandios.

Wirklich grandios. Die 80er waren so scheißkurz. Das kürzeste Jahrzehnt, seit es den Kalender gibt. Und das stimmt wirklich. Nicht nur so ein Spruch. Begonnen haben die 80er am 8. Dezember 1980. Da hat der durchgeknallte Mark Chapman den John Lennon erschossen. Ich bin natürlich gegen Mord. Jemand umzubringen ist einfach nicht korrekt und wird zu Recht bestraft. John Lennon hätte einfach aus der Öffentlichkeit verschwinden sollen. Golf spielen, Orchideen züchten und Motorboot fahren, anstatt sich an diese gruselige Japanerin zu klammern und mit Heroin zu experimentieren. Heroin ist ja wirklich das Letzte. Völlig ohne Ich und völlig jämmerlich. So jämmerlich wie der ganze John Lennon nach den Beatles überhaupt war. Mark Chapman war ein Mörder und sitzt wohl immer noch in einem amerikanischen Gefängnis und kann sich an die 80er fix nicht erinnern, weil er einfach nicht dabei war. Weil er keinen Scheißtag der eigentlichen 80er in Freiheit war. Ich vermisse ihn auch nicht.

Vorbei waren die 80er am 7. März 1983. Länger waren sie einfach nicht. Nach etwas mehr als tausend Tagen war die Show zu Ende. Am 7. März 1983 erschien „Blue Monday“ von New Order. Gleich als Maxi und mit so einem geilen Cover, dass jeder der geschätzten 200 Millionen Käufer die Platte ganz vorn hinstellte. Sodass man sie sehen konnte, und da blieb sie auch stehen und steht wahrscheinlich auch heute noch. Und natürlich kam nichts besseres nach. Was danach kam, war der furchtbare Bob Geldorf, der ganz Afrika nochmals fickte mit seiner eitlen Mission. Der mit Konzernen paktierte, denen er ein bisschen Fame versprach und die dann, wie zu erwarten war, den Rest des Kontinentes erbarmungslos auspressten. Danach kam AIDS, danach kam ein explodierendes Spaceshuttle, danach kam ein Sting, der Indianer umarmte und uns die Welt erklären wollte, obwohl wir von den Welterklärern der 70er immer noch die Schnauze voll hatten. Und als schlimmstes aller Danachs kam dann der Fall der Berliner Mauer. Eine dankbare Nacht vor dem Fernseher flennen, weil eine verwirrte, alte Berlinerin einen Offizier der Nationalen Volksarmee umarmt, der sie wohl auf der Stelle erschossen hätte, wären da nicht die Kameras vom ZDF gewesen. Eine Nacht rührseliges Flennen vor der Glotze und dafür haben wir uns bis heute die Scheißnazis in den neuen Bundesländern eingetreten. Kein fairer Deal. „And I thought I was mistaken – And I thought I heard you speak – Tell me how do I feel? – Tell me now, how should I feel?“ (Blue Monday – New Order).

An der Rest der 80er kann ich mich nicht erinnern. So wie sich sonst auch sicher keiner erinnern kann. Da hat Falco wieder recht aber das darf man als keine Anspielung auf Drogen verstehen, da geht es mehr um kollektive Verdrängung. Ich erinnere mich aber daran, wie gewaschen die Menschen alle waren. Selbst in einer vollen Diskothek um 4.00 Uhr in der Früh rochen alle gut. Man duschte nicht ständig, weil man so reinlich war. Man duschte, weil man einen Grund brauchte, um nackt vor dem Spiegel zu stehen und sich toll zu finden. In den 70ern war niemand toll. Vielleicht fünf Menschen in ganz Österreich wurden toll gefunden und fanden sich wohl selber toll. Karl Schranz, Peter Alexander, Udo Proksch und Ilona Gusenbauer. Mir fällt nicht mal ein fünfter Name sein, obwohl ich schon zwei kleine Braune lang nachdenke. Vielleicht hätte ich noch Franz Hasil geschrieben. Ja, Franz Hasil kann man als fünften Menschen, der sich toll fand und toll war, gelten lassen. Dann ist aber definitiv Ende Gelände. In den 80ern waren fünf Millionen Menschen toll. Allein in Österreich. Auf der Welt wahrscheinlich 100 Milliarden. Jeder sagt „ich“ und „mein“ und niemand entschuldigte sich dafür.

In den 70ern gab es WGs und in den 80ern mieteten sich fünf Jungs gemeinsam eine Dachterrassenwohnung und jeder der fünf nannte sie „meine Dachterassenwohnung“ und das fanden alle fünf in Ordnung. Es gab keinen versifften Badezimmer-Putzplan und keine Zetteln an der Wurst im Kühlschrank. Einer von den fünf vercheckte am Wochenende etwas von dem schlechten Koks überteuert an einen Dummen und dann wurde Futter eingekauft und die Putzfrau bezahlt. So einfach war das.
Die 80er-Jahre waren das Jahrzehnt der Sturzhelme. So was gab es davor nicht. Bis 1979 konnte man einfach fahren, wie man wollte, und wer glaubte, schöne lange Haare zu haben, ließ die auch im Sommerwind der Stadt flattern. Und man durfte rauchen, quasi überall. In Spanien rauchten sogar die Apotheker, während sie einem Gurgellösung gegen Halsweh verkauften. In Wien durfte man überall rauchen, nur nicht in Apotheken eben. Mein Freund hat sich in den verspiegelten Vollvisierhelm ein Loch gebohrt. Mit einem Schlagbohrer unter das Visier. Die brennende Zigarette steckte also draußen, den Filter hatte er im Mund. Trotz dieses durchaus umsichtigen Verhaltens ist der dann tödlich verunglückt. Angeblich ist die Zigarette nicht mal abgebrochen und hat noch gebrannt, aber er war tot. Ewig schade. Ich hatte eine Vespa und einen Vollvisierhelm mit getöntem Visier. Auch nicht ideal in der Nacht. Irgendwann mal in so einer Nacht mit eingeschränkter Sicht hat mich ein fetter Mercedes 500 SEL geschnitten und ich wäre beinahe gestürzt. Natürlich habe ich geflucht, geschimpft und mit den Fingern gedeutet und der Mercedes ist tatsächlich stehen geblieben. Ich bin nach vorne gefahren, und am Beifahrersitz saß der Boss der Bosse. Der unbestrittene Chef von quasi allem, was es in der Nacht an Verbotenem gab. Zwei Bugln am Rücksitz, die aussahen, als wären sie schon in der JA Garsten geboren und der Chauffeur mit dem Gesicht eines ehemaligen Scheißfremdenlegionärs. „Alles in Ordnung, Burli?“, fragte mich der Oberboss, und ich sagte: „Ja, danke“, und dann nochmals „Danke“, ich glaube, ich habe mich fünfmal bedankt für eigentlich gar nichts. Ich war einfach so verwirrt. Das war im Januar 1981, also die 80er hatten ein paar Wochen vorher begonnen, und auf einmal fuhren Zuhälter und Gangsterbosse Mercedes. Bis dahin waren nur Direktoren, Internisten und Opas Mercedes gefahren. Das Milieu fuhr Amerikaner. Noch eine neue Sache, an die ich mich gewöhnen musste, aber ich hatte keine Angst mehr. Keine Angst mehr vor nichts und niemandem. Ich war jetzt das Burli vom Boss der Bosse. Mir konnte nichts mehr passieren. Absolut nichts mehr.

PS: New Order waren ja Joy Divison, nur eben ohne Ian Curtis. Der hatte sich ja im Mai 1980 erhängt. Ewig schade. Quasi im jahrzehntemäßigen Niemandsland freiwillig mit dem Leben aufgehört. Im Song Blue Monday gibt es ja diese Strophe: „And I thought I told you to leave me – While I walked down to the beach – Tell me, how does it feel – When your heart grows cold?“ Seit März 1983 denke ich darüber nach, ob das eine Botschaft ist an Ian Curtis. Aber ich weiß die Antwort einfach nicht. Alles irgendwie sehr rätselhaft. Das mit diesem kürzesten Jahrzehnt seit es Jahrzehnte gibt und überhaupt mit der Zeit und so.

PPS: Den WIENER gab es in den 80ern, und ich war dabei. Beim WIENER arbeiten war der coolste Job der Welt. Wenn man vielleicht davon absieht, Kay Parker den Körper abzupudern oder George Best die Fußballschuhe zu putzen. Zeitschrift für Zeitgeist stand am Cover, und das stimmte so auch. Und der Zeitgeist waren wir. Quasi das Nationalteam für Style und Coolness. Beworben hatte ich mich als Schreiber, genommen wurde ich als Musikredakteur und später als Fotograf. Meine Texte waren angeblich zu zerklüftet und zu wirr. Nicht mal meinen John-Lennon-Nachruf wollten sie drucken. 40 Jahre musste ich warten, aber jetzt durfte ich schreiben, was zu schreiben war. Danke, WIENER und auf weitere 40 Jahre. ×


Götz Schrage – 1981 zum WIENER gekommen. Viel gelernt, viel verdient und viel vergessen. Parallel dazu Musiker und Berufsspieler. Später Werbefotograf und Berufsspieler. Noch später Berufsspieler und bankrott. Steile Karriere gemacht bei den gefährlichen Männern der Nacht. Manager von allen möglichen diffusen Etablissements. Zweimal beinahe umgebracht worden und viermal beinahe richtig eingesperrt worden. Läuterung und Vernunft aus Altersgründen. Lebt als Autor in Bobo-Town und geht mit seinem Hund spazieren.