GENUSS

Stoppel-Geld

Eine üppige Weinlese steht bevor, doch damit beginnt auch das Zittern: Wie viele Flaschen davon werden „stoppeln“? Der WIENER weiß es – denn er hat heuer im Alentejo eifrig Kork­eichen geschält.

Text: Roland Graf / Fotos: Roland Graf

Mitten auf einem portugiesischen Waldweg haben wir unseren „Sendung mit der Maus“-Moment: Wie kommt der Korken in die Weinflasche, fragen wir, während unser Fahrer flucht, dass der Wagen vor ihm zurecht „Duster“ heißt. Es ist heiß und es staubt. Und das ist angeblich auch gut so. Denn nur wenn Trockenheit herrscht, kann die Kork-Ernte beginnen. Quercus suber, die mediterrane Korkeiche, ist eine Diva. Wenn es ihr heiß genug ist, stößt sie ihre Rinde ab. Okay, ein Descortiçador oder Tirador muss schon nachhelfen. Doch unter den kundigen Händen der axtschwingenden Portugiesen geht die Borke eines Baumriesen so leicht ab wie die Haut eines Engländers nach dem Sonnenbrand.

Mitten in den Foros de Mocho, einem Waldgebiet in der Kork­eichen-Hochburg Alentejo, hat die Ernte-Partie ihr Lager aufgeschlagen. Wir befinden uns in der Domäne von José Rodrigues, dem Einkäufer von M.A.Silva, einem der größten Korkproduzenten des Landes. So skurril das klingt, weiß José, wo es dieses Jahr die besten Eichen gibt. Er sucht die Wälder aus, nennt den Tiradores die Ernteplätze und kontrolliert ihre Arbeit. Die romantische Wald-Handarbeit ist schließlich Teil einer Milliarden Euro schweren Industrie: 80 % aller Weinkorken dieses Planeten kommen aus Portugal.

Zwar befand sich immer schon ein Großteil der Korkeichenwälder in diesem Land, doch es dauerte, bis auch die dazugehörige Indus­trie hier ihr Zentrum fand. „Schon die Römer nutzen Kork als Schuhsohle, wichtig waren auch die Schwimmer für die Netze unserer Fischer“, blickt Nuno Silva zwei Jahrhunderte zurück. Er ist als Marketingchef der Übersetzer zwischen dem Reich der Eiche und den Winzern dieser Welt. Erst die Engländer, traditionelle Verbündete der Portugiesen, investierten in den Kork als Verschlussmaterial, so seine kurze Geschichte des Weinverschlusses. Doch lange Zeit hatte Spanien, das nur rund 27 % der Eichenwälder besitzt, die Nase vorn. Girona lag näher zur französischen Grenze und damit zum Absatzmarkt Bordeaux. Heute importiert Portugal Kork aus Spanien, denn mit der eigenen Ernte wäre der Weltmarktanteil nicht zu halten. Immerhin 500 Firmen sind offiziell in der Korkverarbeitung tätig, etliche davon allerdings sind Zwei-­Mann-Betriebe. Die 200 wesentlichen Erzeuger sind Mitglied des Erzeugerverbandes APCOR.

Doch die Kontrolle über den Rohstoff üben die Waldbesitzer aus. 800 bis 2000 Hektar haben sie teilweise seit Generationen in Besitz, den nach wie vor wächst der Großteil der Eichen wild im Wald. Daher bedeutet Kork zu ernten auch ein Geduldspiel. Nach 25 Jahren kann ein Baum erstmals für die Erzeugung von Korkgranulat herangezogen werden, erst nach 45 Jahren ist die Borke dick genug, um daraus die begehrtesten Weinverschlüsse („Amadia“) zu bohren. Damit nicht genug, ist dann neun Jahre Pause, bis sich die Rinde wieder regeneriert hat. Damit gehen sich im Idealfall 16 bis 17 Kork-Ernten aus. Zwischen 20 und 200 Kilo Korkrinde kommen von einem Baum, die ältesten Eichen haben an die 200 Jahre auf dem Buckel, hier ist das Zusammenspiel von zwei Descortiçadores gefordert.

Während einer von oben die präzisen Axtschläge führt, verlängert der andere den Spalt. Am Ende steht ein mannshohes Stück Rinde, in das man sich einwickeln könnte. Und es ist kein Zufall, dass die ältesten der Kork-Crew diesen Baumriesen bearbeiten dürfen – und sonst niemand. Ein letztes „9“ malen die beiden mit Kreide noch auf den nackten Baum. Es ist das Zeichen dafür, in welchem Jahr geerntet wurde. Die Arbeit der Tiradores ist für heute getan, haben sie rund 900 Kilo geerntet, dann ist auch ihr Lohn hoch: „100 Euro pro Tag sind viel Geld in der Landwirtschaft“, nennt Nuno Silva Zahlen. Im Gegensatz zu vielen anderen Kulturen, Wein eingeschlossen, sind alle Erntehelfer hier Einheimische.
Für den wertvollen Rohstoff geht es nun per Traktoranhänger zur Weiterverarbeitung. Je schneller das Material in die Lagerhallen kommt, desto besser. Denn eine der Hauptanfälligkeiten für Kork-Geschmack entstand durch Nässe und Bakterien während des Lagerns, speziell auf nicht betonierten Flächen. Heute weiß man um diese Einflussfaktoren. „Der Kunststoffverschluss war ein Weckruf für uns“, meint dazu der Patriarch und Namensgeber von M.A. Silva, Manuel Alves Silva, ganz nüchtern. Denn als Monopolisten in Sachen Weinverschluss machte man nicht viel Federlesen. Selbst die teureren Qualitäten – immerhin 19 Kork-Stufen gibt es heutzutage mit dem „Magnum“ an der Spitze – waren mitunter fehler­anfällig.

Nur: Die daraus resultierenden „Stoppel-Quoten“ von fünf bis zehn Prozent stellten für Winzer ein großes Risiko dar. Zumindest im Inland mussten Flaschen zurückgenommen und ersetzt werden, so ist es Usus unter Gastronomen, aber auch großen Privatkunden. „Wir bekamen ohnehin immer die schlechteste Qualität, weil wir so weit weg waren“, spitzt es ein Mann zu, dessen Weine 500 Euro pro Flasche und mehr kosten. Stephen Henschkes Nachsatz im fernen Australien erklärt auch die Liebe seines Nachbarlands zum Schraubverschluss: „Und was wir nicht nahmen, ging weiter nach Neuseeland.“ Henschke stellte für seinen „Hill of Grace“ daher auf Glasverschlüsse („Vino-Lok“) um, für ihn das perfekte System. Doch viele Kollegen in der Neuen Welt tun es Österreich gleich – sie lieben den „Schrauber“.

Global betrachtet macht sich Manuel Silva aber keine Sorgen. „Kork gewinnt wieder an Boden“, das liege nicht nur an der Zunahme der Biowinzer, die das Naturmaterial aus Portugal lieben. „Auch Sekt wird viel mehr gemacht als früher“, meint der Herr der Korken. 600 Millionen Stück produziert M. A. Silva, bei geschätzt 12 Milliarden Korken, die jährlich auf Weinflaschen kommen, kein kleiner Anteil. Dazu kommt die Qualitätskontrolle nach dem „Weckruf“. Eine 70.000m² große Lagerstätte nahe an den Eichenwäldern bereitet die „Planken“ auf, wie man die zugeschnittenen Stücke der Rinde nennt, aus der sich Korken – immer quer zur Rinde – extrahieren lassen. Denn das eigentliche Zentrum der Kork-Welt liegt im Norden, in Mozelos bei Porto.

Doch auch die Aussortierung der „refugos“ erfolgt vor Ort, „im Süden“. Die spektakulärste Phase dabei stellt sicher das einstündige Kochen von zwei randvoll bepackten Paletten mit Eichenrinde dar. Auch hier hat Dampf das Wasser abgelöst, in dem man den Kork früher einweichte. Die 2.600 Kilogramm einer Charge werden so auch von Gasen befreit, die mögliche Fehlgeschmäcker ergeben. Nun schlägt die Stunde des Manoel Coelho, der die Zuschnitte erledigt. Mit ihnen arbeiten dann die Kollegen in Mozelos weiter. Eine optische Kontrolle (Marke: strenge Frauen-Brigade) scheidet dort weitere zehn Prozent der Korken aus, ehe dann maschinelle Sortierungen und Zuschnitte Platz greifen.

Der letzte Schritt, der 20 Cent extra pro Kork kostet, wäre das „One to one“-Verfahren. Hier wird jeder einzelne Kork einer Gas-­Phasen-Spektrographie unterzogen. Kurz gesagt stellt dieses hochwertigste Testverfahren quasi eine Garantie gegen Korkgeschmack dar. Es gibt sogar umgekehrtes „Stoppel-Geld“. Korkt ein solcherart getesteter Verschluss, erhalten die Winzer die Flaschen ersetzt. Doch auch ohne diesen Aufpreis geht es für die Korken ins Labor. Stolz erzählt man, dass die Reklamationsquote von einst sieben Prozent auf 0,6 gesenkt werden konnte.

Neben dem einfachen Geruchstest, für den die Korken einer Charge in Alkohol getränkt werden (was ziemlich lustig aussieht, wenn die Versuchsanordnung einen ganzen Raum füllt), geht es auch um die „Kapillarität“. Der Fachausdruck beschreibt die Langsamkeit, mit der der Wein in den Stoppel eindringt. Ist der Kork nach vier Jahren Lagerung bereits zur Hälfte durchnässt, hatte er definitiv keine Topqualität. Auch diesen Blick in die Zukunft des Weins simuliert man aufwendig. Denn lieber hier in Portugal eine Handvoll Korkverschlüsse verlieren als später einen Weinbauern als Kunden. Da dankt auch der Gast aus Österreich artig. Denn korkende Weine braucht wirklich niemand!

Der schleichende Tod
Wie man Korkfehler erkennt

Eines gleich vorweg: Den Trick mit der Kupfermünze können Sie vergessen. Dieser „Test“ auf Korkgeschmack ist nicht nur widerlich, sondern auch überholt. Viel einfacher ist das Aufspritzen des Weines (auch beim Roten!) mit Soda. Tatsächliche Korkgerüche werden von der Kohlensäure in der Regel potenziert. Daher sind auch korkende Schaumweine meist unstrittig unter Verkostern.

Schwierig wird es aber beim „Schleicher“, einem Korkfehler, der eben nicht gleich zu riechen ist. Vor allem beim Weißwein sind die frischen Fruchtdüfte oft stärker als der leichte Korkmuff. Wird ein Wein nach hinten am Gaumen bitter und verliert seine Frucht, ist das ein Indiz. Allerdings sollte man nicht gleich auf Kork-Sheriff machen; so mancher vermeintliche Fehlton lässt sich auch aus dem Glas „schütteln“. Dieser Wein brauchte einfach Luftkontakt.

It’s the Headspace, stupid!
Die Mär von der Kork-Atmung
Die einzige Luft, mit der Wein – ungeachtet vom Verschluss – in Berührung kommt, ist der sogenannte „headspace“. Der Abstand zwischen Wein und Verschluss bestimmt die Alterung. Luftzufuhr bringt immer auch Oxidation, die nicht nur die Farbe des Weins verändert. Winzer Kurt Feiler aus Rust: „Bei Altweinen ist das Füllniveau der Flaschen entscheidend für Qualität und Preis. Je weniger Wein in der Flasche verblieben ist, desto mehr Luft wurde nachgezogen und desto eher ist der Wein schon verdorben.“ Darauf beziehen sich Angaben der Auktionshäuser wie „Schulter“ oder „high fill“.

Würde der Kork tatsächlich „atmen“ und der Schrauber nicht, dann würden auch Cham­pagnerkorken Kohlensäure und damit Frische entweichen lassen. Bei Großflaschen wie Magnums (1,5 Liter) allerdings sorgt der geringere Headspace im Verhältnis zur Weinmenge tatsächlich für langsameres Reifen.

Wenn der „Schrauber“ korkt
Die Tücke des muffig-bösen TCA

Warum der Wein „stoppelt“, wusste man recht lange nicht. Es war auch ein Minderheitenproblem. Viel öfter fanden sich in den 1980ern noch unsaubere Keller, die für „Mäuseln“ oder dumpfe Noten sorgten. In dieser Zeit machte die Eidgenössische Agrarforschungsanstalt in Wädenswil auch den Hauptverursacher des Korkgeschmacks im Wein aus: 2,4,6-Trichloranisol, kurz TCA. Der Stoff entsteht – vereinfacht gesagt – durch die Verarbeitung von Chemikalien durch Mikroorganismen. Das können Spritzmittel an den Korkeichen sein, müssen es aber nicht.
Denn auch 2,4,6-Tribromanisol (TBA), das in Kartons und bei Verpackungen vorkommt, kann z. B. muffige Töne wie ein Korkfehler erzeugen. Lagern also Schraubverschlüsse offen im Keller, kann selbst der „geschraubte“ Wein korken. Lacht Sie der Sommelier beim Reklamieren aus, sollte er in Chemie nachsitzen.