GENUSS

Jenseits-Teig

Es war ein gefürchteter Gang. Doch irgendwann lässt er sich halt nicht mehr aufschieben. Erstmals nach Wochen in mediterranen Gefilden, tagsüber umsorgt vom Pool-Boy („Nein, heute doch nur ein Flascherl Rosé, Kostas!“) und mit Souv­laki-Full-Service abends, muss man wieder in einen heimischen Supermarkt gehen.

Das Shopping-Canossa hat in etwa die Qualität der ersten Radionachrichten nach einem Urlaub. Nur noch schlimmer. Denn die epische Schilderung eines Rehs auf der Fahrbahn als Top-Meldung (!) kann man weg-playlisten. In den Markt muss man aber.

Damit trifft man auf einen neuen Erzbösewicht, von dessen Existenz man ein Leben lang nichts wusste. Auftritt: der „Low Carb“-Pizzateig! Was bitte soll man von einer Menschheit halten, die solches hervorbringt? Jetzt ist die zivilisatorische Sonne eh schon tief gestanden in Neapel, als man Tiefkühlversionen der „Margeritha“ in die Welt entsandte. Aber dann noch die einzige Basisqualität aus der Pizza zu entfernen, die diesen Siegeszug rechtfertigte? Wie kann ein Low-Carb-Fladen denn bitte Räusche aufsaugen? Wie soll sie uns noch nach zwei Tagen am Computer am Leben halten? Da ist die doch längst schon Staub!

Bisher holten wir die alte Jean-Baudrillard-Ausgabe (Merve Verlag, Berlin – what else?) immer nur heraus, wenn es galt, jemanden von Youporn loszueisen und ihm das reale Begehren nahezubringen. Doch der Franzose hatte schon recht, wir sehen uns immer mehr „Simulacra“ gegenüber, selbst das Essen ist nur mehr ein Schatten. Was soll man von dem Hype um „blutende“ Erbsenprotein-Burger sonst halten? Da schüttelt selbst die vielen Ess-Moden gewogenen junge Kolumnisten-Schwester den Kopf: „Entweder Fleisch oder Veggie“. So einfach kann es sein. Man müsste ja nur lesen: „Beyond Meat“ heißt das von Investoren beflügelte Patty-Surrogat. Könnte man auch mit „jenseits“ übersetzen.

Jenseitig hat das auch ein anderer Philosoph gefunden, der slowenische Miesepeter Slavoj Žižek: „Wir trinken alkoholfreies Bier, koffeinfreien Kaffee, essen fettfreies Fleisch, und haben letztendlich virtuellen Sex … ohne Sex.“ Ein Leben ohne Substanz, nennt er das. Meine Rede! Im Übrigen brauchen wir mehr Souvlaki im Supermarkt. Räumt von mir aus das Low-Carb-Regal dafür.

Ding des Monats
Shake your Bambooty!
Drei Jahre lang hat Mario Nestlehner getüftelt, bis aus jenem Naturmaterial, das ganze Häuser trägt, auch ein Cocktail-Shaker wurde. Das Innenleben seines Bambus-Tools hilft Nachwuchsmixern – Magnete verschließen den Shaker bombenfest. Nachwachsendes Material und händische Fertigung in Vietnam treffen den Zeitgeist, der Name bezaubert dafür Fred-Feuerstein-Fans: Bam Bam!

Bam Bam, „Bamboo-Shaker“, um 159,90 Euro bei www.bambam.cc


Roland Graf
Der bekennende (und in der heimischen Gastroszene Bunthund-bekannte) Genussmensch ist unermüdlich auf der Suche nach dem guten ­Geschmack.