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Charles Schumann und die verzögerte Betroffenheit
Neid muss man sich erarbeiten. Doch das Internet potenziert auch da die Möglichkeiten: Wie man mit widerlichen Grapschern in einen Topf geworfen wird und Todeswünsche erhält, erfuhr die Münchener Bar-Ikone. Aber auch viel Solidarität.
Text: Roland Graf / Foto: Getty Images
„Shithead“, „Asshole“, „Trash“ darf sich jener Bar-Mann nennen lassen, dem zu verdanken ist, dass Mixen überhaupt ein anerkannter Beruf ist. Doch alle, die da genüsslich die Empörungswelle ihres selbst erzeugten Fäkalien-Sturms reiten, haben ein Problem: Der 78-Jährige hat seine Hand nie gegen eine Frau erhoben, keinen Rock festgehalten, keinen Trump-Sager losgelassen. Sondern lediglich in einem Film angemerkt, dass Frauen im Nachtgeschäft seiner (!) Meinung (!!) nach keine gute Idee sind.
Das war vor fast drei Jahren, und Julie Reiner, die mit ihrem Empörungs-Post Hashtags wie #shamefulschumann nach sich zog, war die Gesprächspartnerin in dieser Dokumentation von Regisseurin Marieke Schröder. Vor der Kamera gab es keinen Aufschrei. Im Gegenteil, sie entlockt Schumann die Zusage, seine Nachfolge in München werde dereinst eine Frau antreten. Wörtlich fällt auch der Satz des Bayern über seine Tagesbar: „There, mostly ladies are working, because they are fantastic.“ Dafür ließen Reiner und ihre Geschäftspartnerin in der New Yorker Bar „Leyenda“ den Kettenbrief-Hunden des Webs freien Lauf, als Schumann am 4. Oktober zum Branchenidol („Industry Icon“) gekürt wurde: Ein Frauenfeind sei er, kein Vorbild. Etliche hätten unter ihm zu leiden gehabt. Wer denn? Sei’s drum, „suffering“ klingt halt besser als „von seiner Meinung beleidigt“.
„Du riechst nach Knoblauch“, sagte mir Charles letztens zur Begrüßung. Muss ich jetzt auch einen Hater-Club gründen? Süßholz ist im Cocktail seines Lebens keine Zutat. Das wissen alle, die ihn kennen. Aber, viel wichtiger: Er hält es mit jedem so. „In der Ecke könnt ihr sitzen, aber seid leise“, muss sich auch der Schauspiel-Star anhören, wenn er vor Eröffnung der Bar im Hofgarten Espresso trinken will. Man respektiert das, so wie man seine tägliche Präsenz in der Bar schätzt. Das sollten ihm einmal die Jungen nachhüpfen, die lieber im Coworking-Space Hass drechseln, anstatt Erdäpfel fürs Mittagsgeschäft zu schneiden wie Schumann.
Wenn man seine Sprache kritisieren will, dann deshalb, weil er zu wenig sagt. Etwa über Dinge, die mehr über Inklusion und – stecken wir das Fremdwörterbuch mal weg! – Menschlichkeit aussagen als die penetrant eingeforderte Selbstrechtfertigungen via Twitter. Man könnte die von ihm verhinderte Abschiebung eines Mitarbeiters nennen, das liebevolle Porträt des „Feinschmecker“ herauskramen, das Charles seinem Abwäscher widmete (der über 30 Jahre für den „bösen“ Arbeitgeber tätig ist). Oder schlicht auf die Tatsache verweisen, dass er einem anderen langjährigen Kollegen dessen selbstgemachte Wurst abkauft und sie auch als „Gerhards Bratwurst“ auf der Karte anführt. Was gäbe das für Likes! Aber Charles liest halt lieber Bücher, statt sich online abzufeiern.
Apropos Bücher: Der Zufall brachte just am Tag nach der freiwilligen Rückgabe des „Icon“-Preises durch Schumann eine andere Auszeichnung in die Schlagzeilen: Peter Handkes Literatur-Nobelpreis. Der gefeierte und ebenso nicht unumstrittene Kärntner fand schon vor Jahren dafür ein Wort, was die Gegner vom WIENER des Monats hier sind: „Fernfuchtler“.
Ehrungen für sein Lebenswerk sind dem Bar-Mann, Model, Boxer und Autor („Schumann’s American Bar“) nicht fremd. Den Shitstorm nach der Verleihung des „Industry Icon“-Preises in London beendete der Münchner aber im echten Leben: Er gab die Trophäe zurück, nachdem man ihn im Internet wissen ließ, dass seine Entschuldigung für missverständliche Äußerungen nicht reiche. Entleiben wollte sich Japan-Kenner Schumann auf Geheiß der Ami-Moralisten aber nicht.