AKUT

Der Brexit-Hangover

Manfred Sax

Boris also. Wie erwartet und trotz alledem. Zeit für Manfred Sax, seinen Freund Glen, den ehrlichen Fleischer von Winchester aufzusuchen. Wieso BJ, Glen?

Prime Minister Boris Johnson also. Der Tory mit Vergangenheit im berüchtigten Bullingdon Club der Uni Oxford, wo Schweinsköpfe für sexuelle „Mutproben“ herhalten, quasi als Reifezeugnis für den Gang in die Politik. Der Joker, der in einem früheren Wahlgang (2005) den männlichen Wählern versprach, dass sich ihre „Chancen auf den Besitz eines BMW M3 erhöhen (und ihre) Gattinnen größere Brüste kriegen, wenn sie Tory wählen“. Aber diesmal war er vergleichsweise wortkarg. Er versprach nur, dass er Brexit durchziehen werde. Das reichte auch. Mehr wollte der Wähler nicht. Das Thema saß dem Wahlvolk wie der Hangover nach einem mehrjährigen Dauerrausch zwischen den Ohren, es musste weg, auch wenn der Einsatz dafür Boris als Prime Minister hieß.

Es war einer dieser Wahltage, Winchester war kalt und nass. Alle paar Stunden klopfte wer an die Tür meines Hauses, zumeist ein Wahlwerber der LibDems mit der Bitte, man möge doch wählen gehen. An sich eine safe Sache, meine Stadt war seit Jahren eine LibDem-Festung, nur kamen die Wahlwerber seltsam nervös rüber. Die Tories begnügten sich mit einem Telefonanruf, meine Straße hat für Tories nichts übrig, überall hingen Schilder, die sich zur LibDem-Kandidatin Paula Ferguson bekannten. Und Labour, nun, die Roten waren hier immer nur die Toten. Tja, und heute früh war alles ganz anders. Sogar Winchester, das beim Referendum deklariert anti-Brexit war, ist nun Tory. Blau ist die neue Modefarbe, das gilt auch für den Himmel, der Regen ist weg, die Sonne scheint. Was ist passiert? Eine Frage, für die in meiner Stadt traditionell nur Glen Davies, der ehrliche Fleischhauer, die richtige Antwort kennt. Zum Glück ist heute Freitag, da hält Glen mit seinem mobilen Shop am Marktplatz der Stadt Hof.

Glen ist heute busy, die Passanten seltsam aufgeweckt. Kannst du mir den Umschwung erklären, frage ich. Klar kann er das. „Wie du weißt, Manfred, stimmte ich gegen den Brexit“, hebt er an, „ich war ein Remainer. Nur sind wir halt eine Demokratie, wir haben demokratisch abgestimmt, die Mehrheit war für den Brexit und Mister Johnson offenbar der einzige Mann, der das auch durchzieht.“ Na gut, Glen, aber was ist mit den Kosten – der Niedergang des Gesundheitswesens, das Ignorieren der Zukunft unserer Kinder, dieser Johnson ist doch ein Schwein! „Mister Johnson, Manfred, Mister Johnson“, sagt Glen, und: „Eins nach dem andern. Jetzt geht es mal nur um Brexit, das Thema muss weg. Die Alternative war ein zweites Referendum, niemand braucht das, Mister Johnson ist der richtige Mann. Aber weißt du, reden wir über Wichtigeres, reden wir über Fußball.“ Tja, meine ich, der Job von Ralph Hasenhüttl ist noch nicht safe, seine Saints (Southampton FC, Anm.) müssen morgen gewinnen. „Stimmt“, sagt Glen, „aber morgen kommt Westham, die sind schlagbar, und dann sind wir aus der Abstiegszone. Was solls denn heute sein, Manfred?“ Hast du zufällig einen Schweinskopf dabei, frage ich. „Leider nein“, sagt Glen, „aber wie wärs mit diesem Stück Schweinebauch?“ Der sah gut aus, der Schweinebauch. Deal, sage ich.

So sieht es aus in meiner Stadt. Die Sonne scheint, die Leute kommen happy rüber, kein Hangover mehr. Die Wahl, kaum geschlagen, ist auch schon vergessen. Am Heimweg merke ich, dass die LibDem-Schilder vor den Häusern bereits entsorgt sind. Keine Ahnung, warum mir gerade jetzt das Bild vom Truthahn einfällt, der sich auf Weihnachten freut.