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Der schicke Frass – WIENER Archiv 1981

Lange bevor sich Morgan Spurlock selbst „supersizete“ berichtete der WIENER über das neue, aus den USA importierte Essensmodell. McDonald’s war anno 81 schließlich noch eine ziemliche Neuheit in Wien. Hier die Nachlese.

Nahezu fünftausend McDonald’s-Lokale in aller Welt versprühen tagtäglich den gleichen unterkühlten Charme von Bahnhofshallen. Das synthetische und nüchterne Interieur ist bezaubernd und romantisch wie ein Supermarkt und erinnert penetrant an Disneyland. Seit rund dreieinhalb Jahren stürzen sich auch die Wiener Tag für Tag in die Future-World-Massenabspeisung, wo sie ein bis dahin völlig unbekanntes Freßgefühl genießen können: geschmacklose Rindfleischlaberln in viel Papier, Pappe und Styropor mit Fingern essen zu können.

Burger und Fritten - Faksimile
Burger und Fritten von McDonalds – Faksimile

Ein Tag in McDonald’s Freßhallen gemahnt an einen bizarren Stanley-Kubrick-Filmverschnitt. Und George Orwells Vision von 1984 wird hier zur erschreckend greifbaren Wirklichkeit. Auch tausende Wiener stürzen sich seit dem 9. September 1977 Tag für Tag in die Future World der Massenabspeisung. Zur Premiere der gastronomischen Tragödie setzten sich die Hamburger-Köche just auf den altehrwürdigen Schwarzenbergplatz – einen Ort, wo vorher schon der Schnellrestaurateur Tardi verreckte und die Wök einen langsamen Hungertod starb. Der aufdringliche Geruch vom American Way of life machte der gemütlichen Ringstraßenkultur über Nacht den Garaus.

Ein altbackenes, aber ungebrochen wirksames Amerikansiches Prinzip: Minimaler Aufwand und maximaler Profit

Seither schwappt freßgieriges Jungvolk, wie von einer geheimnisvollen Kraft angezogen, täglich nach dem Unterricht in die kühl-kitschige Plastikwelt zum hastigen Essenfassen. Und auch Studenten, Omas und Touristen schlagen sich gleich neben der Wiener Nobelherberge Imperial mit Begeisterung die Bäuche voll.

An der Selbstbedienungstheke von McDonald’s chromblitzendem Laberlparadies werden sie mit sechs Varianten über ein und dasselbe Fleischlaibchen abgespeist. Den meisten Kunden gerät dieser Vorgang zu einem unbewußten Akt des Mampfens, dem in der Eile zwei ganz wesentliche Dinge abhanden gekommen sind: Die elementare Lust am Essen und der Sinn für Geschmack.

Nach dem Unterricht in die kühl-kitschige Plastikwelt zum hastigen Essenfassen.

Denn in Wirklichkeit gehen die Hamburger-Konsumenten nur einem altbackenen, aber ungebrochen wirksamen, amerikanischen Prinzip auf den Leim: Minimaler Aufwand und maximaler Profit. Trotz der an sich kinderleicht durchschaubaren Philosophie ist die Hambuerger-Walze aus Chicago auch in Österreich praktisch durch nichts mehr aufzuhalten.

Leute am Eingang zu McDonalds - Faksimile WIENER Feb 81
Faksimile WIENER Feb 81

Erst vor einem Monat hat der Konzern, der mit rund 60 Milliarden Schilling Umsatz das Coca-Cola-Imperium bereits überflügelte, in der Bundeshauptstadt seine neune Filliale eröffnet, die zehnte ist im Fertigwerden. Anschließend werden sich die US-Hackfleischbrater mit Sicherheit zum Sturm auf die Bundesländer formieren.

Nach dem Barry-Café am Wiener Schwarzenbergplatz mußte bald darauf auch das renommierte Stiller-Café auf der Mariahilfer Straße dran glauben und im erinst stilvollen Restaurant „Hausboot“ am Schwedenplatz klotzt neuerdings ebenfalls ein McDonald’s-Gastronomen-Schreck.

George Orwells Vision von 1984 wird hier zur erschreckend greifbaren Wirklichkeit.

„Wir haben nicht geglaubt, daß es so viele Geschäfte geben wird“, beteuerte mit beneidenswerter Naivität Wolfgang Dorner von der Fachgruppe der Wiener Gast- und Schankbetriebe, als wären Innungsverbände bloß Sekten gutgläubiger Standesvertreter. Die Kammerfunktionäre boten in jedem Fall ein Bravourstück an beamteter Unfähigkeit, als es galt, die Expansionsgelüste der Hambuerger-Kette einzudämmen. Vorderhand kann Dorner seine Kammerkinder nur auf bessere Zeiten vertrösten. Paradoxerweise wies man in Österreich ausgerrechnet der renommierten Churrasco-Restaurant-Gruppe die Tür. Der international rührige Steak-Spezialist verwendet für seine Fillialen in aller Welt nämlich keine inländischen Fleischsorten, sondern fliegt seine tiefgfrorenen Klasse-Beefsteaks eigens aus Südamerika ein. Weil allerdings der Import von Rindfleisch nach Österreich verboten ist, müssen Beefsteak-Gourmets nach wie vor in Deutschland dinieren.

Hingegen öffneten die Gewerbewächter den Konzerngewaltigen des amerikanischen Fressalienmarktes McDonald großzügig Tür und Tor. Mit beispielloser Brutalität und Konsequenz begannen die Amis in Österreich vor allem zweierlei durchzuboxen: Sie setzten sich von vornherein nonchalant über die heimischen Lebensmittelbestimmungen hinweg und zertrümmerten mit ihren gigerlfarbenen Buden jegliche altwiener Stadtbildtradition.

im bisher größten Faschiertentreffe blüchen Plastikpalmen unter stuckverzierten Decken.

Der Münchner Immobilienmakler Klaus Frisch, 39, hat die ersten Scharmützel mit den österreichischen Behörden erfolgreich ausgefochten. Denn kaum hatte der frischgebackene McDonald’s Lizenznehmer die Wiener mit seinen Schnellsieder-Laibchen made in USA eingebraten, erregte er auch schon den Zorn der heimischen Lebensmittelwächter. Dem obersten Hüter des österreichischen Lebensmittelgesetzes, Hofrat Dr. Friedrich Petuely, waren die Profit-Laiberl zu fett: „Was sich Hambuerger nennt muß Steakfleisch erster Qualität sein.“

Faschiertes Steak darf in Österreich aber nur fünf, maximal sieben Prozent Fett enthalten. Die Quote im Rinderfaschierten der McDonald’s-Hambuger ist hingegen traditionsgemäß dreimal so hoch. Die kleinen Fettbomber – billigst produziert, teuer verkauft – killen auch im Nu jegliches Hungergefühl, enthalten sie doch das schwerst verdauliche Fett überhaupt, das sonst nur noch bei der Seifenproduktion Verwendung findet.

Denn nicht die lächerlichen fünf Deka reines Rindfleisch, sondern das Drumherum – wie die faschingskrapfenähnliche Milchbrotsemmel und die frittierten Erdäpfel – sorgen für das Sättigungsgefühl. So hat ein Big Mäc 557 Kalorien, die aufgeschäumte Schokoladenmilch 317 und die kleine Pommes-frites-Portion 215 Kalorien.

Die individuelle Esskultur ist dem Untergang geweiht.

Doch die wenigsten Hamburger-Schnabulierer wissen, was sie ihren Mägen zumuten. Und die wenigen, die das McDonald-Haschee kritischer beäugen, werden von der Massiv-Werbumng eingelullt. Im Laibchen tatsächlich reines Rindfleisch zu vermuten, heißt aber soviel wie an das Christkind zu glauben. Und jemandem einreden zu wollen, daß die Hamburger-Kalorien-Wanzen wirklich vorzüglich schmecken, zeugt von lukullischer Präpotenz.

Das „Essen mit Spaß“ – so ein McDonald’s-Werbeslogan – verliert seinen ohnehin nicht überwältigenden Witz erst recht, nehmen zart darm-besaitete Zeigenossen die McDonald’s Magenfüller regelmäßig zu sich. Wenn die Hamburger-Schwemmen mit der Zickzackabfertigung auch garantiert kein Hundefutter faschieren, so können sie mit ihrer extrem schwer verdaulichen Kost dennoch besonders Magen- und Gallekranken problemlos zu massiven Beschwerden verhelfen.

Ein tag in McDonald’s Fresshallen gemahnt an einen bizarren Stanley Kubrick Filmverschnitt.

Und wer nicht schon vornherein krank ist, kann es beim Dauergenuß von Hamburgern immerhin noch werden – nicht zuletzt haben selbst die Amerikaner für ihr weltweit verfüttertes Laberl den Terminus Junk-Food (=Abfall, Ausschuß) geprägt. Trotzdem brachte die McDonald-Kette etwas fertig, was Churrasco mit seinen Qualitäts-Steaks nicht gelungen war: Das Gesetz erfuhr eine Änderung zugunsten der Mächtigen. Denn als Österreichs Lebensmittelbeschauer zunächst auf einem adäquaten Fleischgehalt und dem entsprechend geringen Fettgehalt der Hamburger bestanden, klebte Klaus Frisch kurzerhand einen Hinweis in sein Schnellrestaurant am Schwarzenbergplatz: „Unsere Produkte entsprechen nicht dem österreichischen Lebensmittelcodex.“ – was seinem Geschäftserfolg aber keinen Abbruch tat. Das dreiste Vorgehen schien Hofrat Petuely anfangs an den Rand eines Herzinfarktes zu bringen, doch kommt in Österreich vieles anders, als man denkt.

Denn schon kurze Zeit später freuten sich die McDonald’s Lizenznehmer über eine Neuregelung: Demnach dürfen alle Hamburger bis zu 17 Prozent Rundsfett enthalten. Die „Lex McDonald“ gilt wohl für jedes Rindfleischlaberl, doch besitzen die Amerikaner ein Quasi-Monopol bei der Produktion von Hamburgern in Österreich. Allerdings will auch die Unilver-Tochter „Nordsee“ ihre Fischimbisse in den nächsten Jahren um Hamburger-Farmen bereichern.

Das Gesetz erfuhr eine Änderung zugunsten der Mächtigen

Bei der Einrichtung der zweiten Freßfilliale in Österreich spielte das Hamburger-Imperium auch die Wiener Stadtbildbewahrer glatt an die Wand. Unter den alten stuckverzierten Decken des ehemaligen Café Siller in Mariahilf, das mit rund 700 Quadratmetern den bisher größten Faschiertentreff im Land beherbergt, blühen nun die Plastikpalmen, und zwischen den Fin-de-Siècle-Säulen rinnen Ketchup und Senf. Daß oberndrein noch die Fassade des unter Denkmalschutz sthenden Gebäudes hoffnungslos verschandelt wurde, braucht gar nicht eigens erwähnt werden.

Doch dem Kaffeehausbetreiber Dr. Erwin Cmyral blieb keine andere Wahl. Der 70jährige Vollblut-Cafetier – er war auch Fachgruppenvorstand der Kaffeehäuser-Innung – hatte für seinen aufwendigen Betrieb keinen geeigneten Nachfolger gefunden und daher „schweren Herzens“ die ganzen Räumlichkeiten auf 20 Jahre an McDonald verpachtet.

Cmyral, der jahrelang seine Wiener Kaffeesieder mit Sprächen zum durchhalten „gegen die ausländischen Konkurrenten“ ermunterte, ist schließlich der Einbruch der Amerikaner in die Wiener Gastronomie-Tradition zu verdanken. Auch bei der jüngsten McDonald-Eröffnung hat ein Cmyral die Hand im Spiel. georg Cmyral – der Sohn des Café-Siller-Killers – machte in seinem „Hausboot“ Platz für die neunte McDonald-Filliale, die den anderen wie ein Ei dem anderen gleicht.

Denn die weltweit einheitlich orange, rot und braun gehaltenen Self-Service-Saftläden erheben zwei Dinge zum Prinzip: Geschmacklosigkeit und Uniform-Look. McDonald hat von den von Maschinen ausgespuckten Rindfleischlaberln, den rot-braun-weiß gestreifen Gewändern der Mannschaft, den geschraubten Sitzen bis zum unverbindlichen Allerweltslächeln, das einem die Hilfskraft an der Kasse mit aufs Tablett packt, auf allen fünf Kontinenten haargenau gleich zu sein. Einzige Ausnahme: In Österreich ist der chice Fraß wesentlich teurer als andeswo. Die Konzeption der klinisch sterilen Läden ist genau darauf ausgerichtet, sich darin gerade solange wohl zu fühlen, solange Salat und Fleisch auf dem teller sind. Nicht einmal eine Verdauungszigarette gönnt die Hamburger-Religion ihren Kunden, was die Raucher in der Regel wenig stört, die Nichtraucher chic finden – und McDonald den Laden schneller räumt für neue Esser.

So lehrt es ein rund 60 Seiten starker Lizenzvertrag, der den Hackfleisch-Bratern von München, New York, Tokio bis Wien klitzeklein alles vom Speisenzubereiten bis zum Aufwischen vorkaut. In den 23 Ländern der Welt, wo sich die Kochunsitten der McDonald’s bereits eingebürgert haben, bemühen sich größtenteils Pächter redlich darum, die Hamburger-Philosophie in die Realität umzusetzen. Tausende Menschen in aller Welt werden von einem Mammut-Konzern gegängelt, zu gleicher Zeit mit dem gleichen Fleischlaberl-Einheitsfraß echte Hungergefühle oder bloß von der Werbung oktroyierte Bedürfnisse zu befriedigen. Jegliche individelle Eßkultur ist damit dem Untergang geweiht.

Rigoros streng sind auch die Bedingungen, die die Konzern-Herren aus Chicago ihren sogenannten Franchise-Partnern diktieren. Die Amerikaner bestimmen den Standort und handeln für ihre Lizenznehmer die Miete aus. Wird dem Pächter vom Konzern auch die Ablöse vorgestreckt, so hat er nach der umsatzabhängigen Lizenzgebühr auch einen Pachtschilling zu entrichten. Der McDonald’s-Wirt hat auch den Maschinenpark zu bezahlen, der garantiert, daß die ungelernten Hilfskräfte auf der ganzen Welt den gleichen Hamburger produzieren.

365 Tage im Jahr müssen die McDonald’s-Köche offen haben. In Amerika blüht das Geschäft bereits rund um die Uhr. In Österreich genügen noch 15 Stunden am Tag. Auch die Lieferanten werden von den US-Kettenmanagern ausgesucht. Nach eingehenden Prüfungen wurde die Linzer Vieh und Fleisch GesmbH. – ein Ableger der oebrösterreichischen Viehverwertungsygesellschaft – für würdig befunden, die handtellergroßen Rindfleischlaberln anzuliefern. Ein eigenes Fettmeßgerät um eine halbe Million Schilling soll einen stets gleichbleibenden Fettgehalt zwischen 16 und 19 Prozent garantieren.

Die Milchbrötchen durfte die Brotfabirk Anker liefern, bis ihr die Liesinger Bäckerei Mann den Auftrag über die Herstellung des Spezialgebäcks („Buns“) vor zwei Jahren wegschnappte. Von den süßlichen Laberln, deren Form vor dem Abpacken stichprobenweise mit Schublehre und Farbskala kontrolliert wird, wandern wöchentlich mehr als 18.000 Stück in die McDonald’s-Fillialen.

Was im Land selbst nicht aufzutreiben ist, wird kurzerhand importiert. So kommen aus England die Apfeltaschen und die undefinierbare Sauce für das Hamburger Doppeldecker-Modell „Big Mäc“.

Lebensmittelprüfer Petuely ist indes „noch immer nicht glücklich“, denn der Fettgehalt der Fleischlaibchen ist ihm nach wie vor zu hoch. Immer wieder kommet es zu Verfahren, bei denen es um Prozent geht: Während der Lebensmittelcodex für faschiertes Rindfleisch wie erwähnt höchstens 17 Prozent Fettanteil zuläßt, ergaben Petuely-Recherchen mitunter „20 bis 23 Prozent“ (Petuely). Der Lebensmittel-Hofrat wollte ursprünglich überhaupt nur fünf Prozent gelten lassen. Doch das hat ihm den Optimismus noch nicht geraubt: „Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Die Chance, den Restaurantriesen noch aufhalten zu können, ist allerdings sehr klein geworden. Das gute Geschäft der McDonald’s-Pioniere hat längst andere finanzkräftige Investoren angelockt.