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Jeden Tag eine Reise

Instagram ist toll. Da liest man Sinnsprüche wie: „Gehe jeden Tag auf eine Reise“. GENAU! Weil so geht es nicht weiter. Alles ist immer nicht so, wie es gehört. Und man muss versuchen, die Zeiten, wenn gar nichts flutscht, zur Lebenskunst zu erheben. Das ist die Zeit, aufzuräumen. Ausgangslage: Gegen Ende des Jahres waren die Kinder wochenlang abwechselnd krank, in den gesunden Phasen haben sie dafür Läuse nach Hause gebracht, das Auto ist eingegangen, nach zwanzig Jahren und 300.000 km, diese treulose Tomate, man ist zu nichts mehr gekommen, man hat niemanden mehr gesehen, zumindest niemanden, den man gerne hätte sehen wollen. In den Weihnachtsferien ist man im Burn-out vor sich hin gesimmert. „Chillen“ sagen die anderen dazu. Dann ist der Silvester vorbeigerauscht. Der Neujahrsspaziergang ist mit „Knieweh“ eines der Kinder am nächsten Eck im Keim erstickt worden. Die Schule hat wieder begonnen, und irgendwann hat man auch den Blue Monday hinter sich gebracht. Das ist der zweite Montag des Jahres und der Tag, an dem statistisch die meisten Menschen deprimiert sind, weltweit. Denn da wurden dann in der Regel schon die meisten Neujahrsvorsätze gebrochen. Außerdem war das letzte Vitamin-­D-Depot weitgehend aus dem Körpersystem. Die Umstände sind schuld. Jeden Tag eine Reise, jetzt aber wirklich. In die Gänge kommen im neuen Jahr. Keine Zigaretten mehr. Fasten. Fit werden.

Ein Leben ohne Auto beginnt sowieso, aufgrund höherer Gewalt. Fahrräder müssen her. Und Jahreskarten für die Öffis. Fahrpläne. Der Alltag gehört überdacht. Man muss mehr Sport machen. Eislaufschuhe werden angeschafft. Und Laufschuhe. Aber laufen ist so fad. Außer man hört Podcasts. Zwei Tage lang sucht man die besten Podcasts zusammen. Eine Liste von 2.500 Podcast-Episoden lauert nun in der Ecke und verursacht ihrerseits Druck, auch angehört werden zu müssen. Wie aber sich aufraffen? Ein Hund muss her, zufällig war einer auf Facebook zu sehen, ein lieber, mit einer gescheckten Schweineschnauze, nicht zu groß. Man schafft das ja locker, denn der Hund treibt einen in die Natur. Wahrscheinlich werden wir nun nur mehr rotbäckig über Wiesen hüpfen! Oder schweben, wegen des Serotonins. Was für ein wundervoller Jahresbeginn! Der Start in ein neues Leben, das mit der täglichen Reise.

Man schafft sich den Hund an, das Hundegeschirr, die Hunde­impfungen, die Hundedecke, die Hundebox, das Hundebettchen, die Hundespielsachen und das Buch über Hunde. Für drei Stunden ist man die tolle Mutter, die eine großartige, die ihren Kindern tatsächlich den Hund erlaubt hat, den alle seit Jahren ihren Eltern abschwatzen wollten. Danach hört man die Nachrichten der Freundinnen ab, ob man bei Trost sei, ihre Kinder wollen nun auch Hunde, danke herzlich, das sei Verrat. Der Hund wiederum will nur drinnen auf Hundewindel­matten machen, auf die er vor ­unserer Zeit geprägt worden war. Draußen ist es ihm zu kalt. Man steht alle drei Stunden auf, wegen Gassi gehen. Der Hund drückt sich zitternd um die Bäumchen. Macht drinnen in der Wärme sein Geschäft. Die Kinder sind in der Schule. Spielen mit dem Hund. Gehen ansonsten ihrer Wege. Bringen Läuse. Die Fahrräder ­rosten vor sich hin. Man raucht. Man arbeitet den Deadlines hinterher. Der Mechaniker ruft an, das Auto kann doch repariert werden. Man kann mit dem Hund nun spazieren fahren in den Wald, damit es nicht über das harte Pflaster muss, dieses schweineschnäuzige Prinzessinnengerät.

Man sitzt da und betrachtet das Leben, wie es jetzt, nach all diesen Veränderungen also ist. Es ist das von vorher, nur mit Hund. Man wünscht sich für die eigenen Kinder ein erwachseneres Leben, wenn sie einmal erwachsen sind. Dann schwingt man sich ins Auto, fährt mit dem Hund zum Tierbedarfsgeschäft wegen der Pinkelmatten. Jeden Tag eine Reise: check!


Heidi List
Wenn sie nicht liest oder Musik hört, arbeitet die zweifache ­Mutter selbstständig als Kommunikationsmanagerin und freie Autorin.