AKUT
2020. Ein Sommer wie damals.
Bloß nicht allem nachtrauern, was jetzt einfach wuascht ist. Was man sich so schön ausgedacht hat, am Anfang dieses eigenartigen Jahres. Zum Beispiel das vollkommene Durchplanen dieses Sommers. Zum ersten Mal. Es war vollbracht. Die Camps für die Kinder gebucht und bezahlt. Der Urlaub in den Bergen fix genauso wie der bei der Oma und der bei den Freunden in Italien, die man endlich früh genug angejammert hat, dass man sie heuer echt gern sehen möchte. Ach, ihr wohnt am Meer? Dann noch besser! Kurz hat man sich abgefeiert, weil so super organisiert. Dann ist die ganze Chose geplatzt und die Welt im Corona-Lockdown verschwunden.
Wir sind mit ein paar blauen Augen wieder aufgetaucht, ohne Camps, ohne Kohle (Kreativbranche = ganz schlecht), Burn-out aufgrund der Aggressionen, weil man den Kindern über elendslange Wochen das Homeschooling schmackhaft zu machen hatte, obwohl man selber absolut ihrer Meinung war, dass die Nintendo Switch der wesentlich bessere Zeitvertreib wäre. Und ohne Ideen. Und zwar in keine Richtung.
Das war der Moment, an dem ich gleich einmal Ausschau hielt nach einem Erwachsenen. Wie diesen eigenartigen Sommer verbringen? Es folgte der Moment, an dem ich realisierte, dass ich die Erwachsene bin. Schade. Und dann habe ich, das Tiroler Kind, beschlossen: Dann wird es halt ein Sommer wie damals. Einer mit gar nix. Denn das ist für meine Kinder tatsächlich brandneu. Und auch für meine Freunde, wenn sie mitmachen. Denn eigentlich und auch uneigentlich war doch der beste Sommer der Welt der, der ewig gedauert hat. Wir sind nicht weggefahren. Jeder Tag war gleich. In der Früh überlegten wir uns, ob wir schwimmen gingen oder auch nicht. Ob wir wen besuchen wollten. Oder wen einladen. Vielleicht einen Kuchen backen. Besser backen lassen. Oder Himbeeren suchen gehen. Später im August gab es dann Heidelbeeren. Meine Kinder kennen das nicht, sie sind die Kursgeneration, die Camphopper, die ihr Leben gut organisiert wissen, von außen. Von mir.
Ich erwarte mir zunächst schauerliche Szenen vor lauter Langeweile. Alle voll auf Turkey vor lauter „Wirmüssenwas“. Aber dann, dann wird es losgehen. Wir werden unsere Passionen finden und unsere Talente. Kleine Abenteuer sammeln. Es wird so sein wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“. In unserer unendlichen Fadesse werden wir beginnen, YouTube-Tutorials zu schauen, um neue Instrumente zu lernen und auch Sprachen. Wir werden alle „Universum“-Dokumentationen, die jemals gezeigt worden sind, nachschauen. Wir werden unsere Stadt umwandern. Oder einmal über die Alpen gehen. Nein, doch nicht. Aber ein kleiner Ausflug auf einen Hügel, der wird drin sein. Wir werden Ausfahrten machen und Wetten abschließen, wie lange unsere Klapperkiste noch hält. Wenn die dann im ungünstigsten Augenblick (wahrscheinlich in der Nacht im Südburgenland bei Regen) zusammengebrochen ist, werden wir uns lachend in ein Abenteuer mit Autostoppen begeben. Ewig werden wir uns an die herrliche warme Badewanne danach erinnern. Wir werden Freunde treffen und ihnen absichtlich scheußliche Mundschutze schenken, die sie dann tragen müssen, weil sie uns nicht beleidigen wollen. Wir werden es uns antrainieren, für jeden Tag gute Ideen zu haben.
Und wir werden zur Oma fahren. Sie wird mit uns einen Kochkurs machen, damit ihre berühmten Rezepte unbedingt Familien-
erbe bleiben. Die Rindsrouladen, das Lamm und all die anderen Köstlichkeiten. Das heißt, sie muss uns zurufen, was wir tun sollen, weil wir ja Abstand halten müssen. Sie wird es dann nicht aushalten, nach fünfzehn Minuten kocht sie weiter, und wir hängen vor der Glotze. Saugemütlich.
Und im Herbst werden wir dann als passabel harmonierendes Streichquartett sowie mehrsprachig und ausgeruht in die neue Saison starten. Mit einem Rucksack voller fantastischer Erlebnisse. Gestärkt. Selbstbewusst (1 Instrument und 1 neue Sprache, bitte!). Wunderschön (viel Luft).
Oder auch nicht. Aber der Sommer wird anders gewesen sein. Und die Neugier darauf ist jetzt das Beste.
Heidi List
Wenn sie nicht liest oder Musik hört, arbeitet die zweifache Mutter selbstständig als Kommunikationsmanagerin und freie Autorin.