Interview

Du brauchst das Verlangen – Fischer-Z’s John Watts im Interview

Franz J. Sauer

Fischer-Z Mastermind John Watts über Musik heute wie damals, was einen echten Punk ausmacht und warum es im Moment leider mehr Spaß macht, die Rechten zu wählen.

© Discogs

WIENER: Ihre Karriere startete in der Mitte der 70er, und 1982 war es mit Fischer-Z auch schon wieder vorbei. Statement von damals: Die Band hat sich zu weit von ihren Punk-Idealen entfernt. War es wirklich so leicht damals, uncool so werden?

John Watts: Es war nicht nur das. Es kam damals der Stadion Rock auf, all die gigantomanischen Shows. Und das war halt nie meine Sache. Meine Heroes waren aber Punks, Leute wie Andy Warhol, die Velvet Underground, ich stand nur auf verrückte Leute, auf Menschen, die etwas ausserhalb des Mainstream bewegten. Und wohin sich Fischer-Z damals entwickelte war mir unangenehm. Ausserdem fühlte ich etwas aufkommen, das man heute wohl als „Burn Out“ bezeichnen würde. Ich habe mich damals arbeitsmäßig etwas übernommen.

Aber wenn ich Songs wie „Berlin“, die ersten Hits höre, das war doch immer fein gemachte, sauber produzierte Musik. Wo war da die Punk-Attitüde?

Och, wir haben das unglaublich schnell auf genommen, auch wenn es nicht danach klingt. Damals haben wir reduziert gearbeitet, nur ich und die Rhythmus-Sektion. Und drei Tage vorm Studiotermin hatten wir noch nicht mal einen Song geschrieben. So sind wir also ins Studio gegangen, haben einfach mal gespielt und solche Sachen wie Marliese, ich schwöre, das waren First Takes. Songs, in einer halben Stunde aufgenommen.

Klingt aber professioneller.

Naja, wir haben sehr viel gespielt damals, waren sehr eingespielt auf einander. Wir haben damals zwei Shows als Special Guest mit Dire Straits gespielt, das war schon was großes, musikalisch gesehen. Schau, Punk war für mich nie eine hörbare Attitüde, das war was ganz anderes für mich. Ich bezeichne etwa bildende Künstler als Punks, Leute wie Marcel DuChamp, die diesen Stempel sonst eigentlich nicht aufgedrückt bekommen.

Ihr werdet auf Wiki oder sonstwo in Lexika gerne als „New Wave-Band“ beschrieben. Trifft das wenigstens zu?

Ach, das ist noch einfach zu erklären. Jede „neue Musik“, die damals aufkam, wurde so bezeichnet, egal ob es Punk oder die Straits waren. Ich meine, Elvis Costello spielte R’n’B in Pubs sechs Jahre lang – und plötzlich war er New Wave.

Wie habt Ihr Euch „herangespielt“?

Bei Fischer-Z lief das ganz anders. Ich habe in einem Spital für psychisch kranke Menschen gearbeitet, habe mich also tagsüber mit Psychopathen beschäftigt und abends in Punk-Clubs aufgespielt. Ein 9-to-5-Job also, dann schnell in den Van und auf zum Gig. Spielen bis in der Früh, dann wieder rüber ins Spital. Der Background war also bei uns viel anarchistischer. Klar steckte im Punk-Zeug viel Gewalt, viele seltsame Dinge, aber ich war Härte gewohnt. Ich meine, der Job, dann spielte ich damals sehr viel Rugby, Härte und Schläge kannte ich.

Bei Fischer-Z entstehen die Wörter vor der Musik, oder?

Ich war immer schon ein Sänger. Manche malen, manche machen Musik, ich zeige meine Sicht der Welt mit Wörtern und normalerweise mit Musik drumherum. Ich sehe ein Bild in meinem Kopf, wie einen kleinen Film, ein Bild, das schreibe ich dann nieder und fiddle herum auf der Gitarre, manchmal auch am Keyboard, aber das wird dann immer gleich recht jazzig (lacht).

Und es gibt immer ein Lick, „Destination Paradise“, oder „The Islamic American“ …

Das ist auch was wichtiges an der Punk-Sache, keine Opern, kurze, eingängige Lines. In den späten Siebzigern hatten wir alle wahnsinnig genug von Menschen, die brilliant Gitarre spielten. Nicht falsch verstehen – ich mag gut gemachte Musik. Aber das, was uns von anderen New Wave-Bands unterschied, war immer schon die Melodie …

Reden wir über John Watts, den Multi-Media-Artist. Du hast eigentlich Poetry Slam erfunden – damals in den Achtzigern. Dann die Geschichte, als Ihr mit Mikro und Videokamera Rapper in New York gefilmt habt …

Ja, das war meine Freundin damals, die filmte, eine absolute No-Budget-Sache. Wir planten das Ganze als Album und als DVD, dann wollte das niemand veröffentlichen, so haben wir damals recht früh Sachen online gestellt. Das selbe war mit Poetry, in den Neunzigern, vor den CD-Playern. Lesungen zu Platten. Große Bühne, gemeinsam mit einem DJ, vor 20.000 Menschen. Und die Plattenspieler hatten Feedback und alles, und wenn sich die Nadel verhüpfte, kam sie nie wieder zurück, wirre Textkompositionen … Mann, das waren Multimedia-Events, richtige Live-Experiences.

In Fischer-Z Songs werden selbst die schlimmsten Botschaften freundlich verpackt. Ist das schwarzer Humor?

Ja, das ist mir sehr wichtig. Die Weltsicht der Musik ist dunkel in einer Art und Weise, wie es halt ist, aber das große Drama muss dann ja doch nicht sein, das wäre nur aufgeblasener Bombast. Schau, ich bin ein großer Fan von Kurt Vonnegut, von seiner Philosophie, im Sinne von, es ist fein, gut zu sein, es ist toll, moralisch einwandfrei zu sein, kein großes Aufsehen darum zu machen, ein guter Mensch zu sein – allerdings: Viel Erfolg wirst Du damit nicht haben. Aber: Mach es trotzdem.

Wird da jetzt nicht tiefgestapelt, ein wenig?

Oh ja, natürlich, es ist ein großes Privileg, das ich lebe: seit 40 Jahren zu machen, was ich will und davon auch noch gut zu leben. Und, wie soll ich sagen – ich habe viele Freunde um mich herum, die viel reicher sind als ich. Aber – die haben noch nie eine Platte gemacht (lacht).
Ach, ich bin ein Künstler, das Zeug muss raus.

Sie sind also Recording Artist seit 43 Jahren. Da hat sich eine Menge getan im Business. Ist es jetzt einfacher oder war es damals einfacher?

Das kann man nicht vergleichen. Schau, ich wurde in eine Zeit geboren, in der es Menschen generell so einfach hatten, wie noch nie zuvor. Und sie werden es nie wieder so einfach haben. Wir hatten keinen Druck, wir haben gemacht was wir wollten. Und konnten uns damit was aufbauen. Heute? Meine Kids, die sind zwischen 21 und 35, die arbeiten hart, Tag und Nacht, haben Wahnsinns-Druck. Und werden sich niemals aus eigener Kraft ein eigenes Haus oder so leisten können. Vieles kann man heute einfacher erreichen vielleicht, es fällt sicher leichter, etwas zu veröffentlichen, zum Beispiel. Aber da habe ich es einfach, mit meinem halbwegs bekannten Namen. Wenn Du aber keinen Namen hast? Da gehst Du unter in all dem Zeug, das da über das Netz wabert. Wann war es also einfacher? Damals in relativer Exklusivität? Oder heute, inmitten der Massen?

Aber ist „Broadcast yourself“ nicht ein riesen Vorteil?

Wie gesagt, für Leute wie mich vielleicht, man ist immer präsent, PR-Arbeit wie früher, das ist alles nicht mehr so nötig, und das ist fein, für jemanden wie mich. Aber für die meisten Leute ist das Internet doch nichts anderes als ein riesiger Haufen Mist voller unnötiger Scheisse, die über sie hereinbricht und wo sich keiner mehr auskennt. Das muss man dann erstmal sortieren, in die richtigen Laden tun, ihren Nutzen daraus ziehen. Das einzige, was sich nicht verändert hat, damals wie heute: Das Verlangen. Der Zug aufs Tor. Schau, ich hab, als ich jung war, mit einem tollen Songwriter gespielt, ich war der Drummer, er hat gesungen und Gitarre gespielt. Ich hab ihn absolut bewundert, er hat alles besser gekonnt als ich. Aber dann wurde er Wissenschaftler, irgendwas in der Landwirtschaft, er ist es wohl noch immer. Mich zog es auf die Bühne, ich konnte mir nichts anderes vorstellen. Und dieser Antrieb, dieses unbedingte Wollen, das gibt es auch heute noch, das brauchst Du, das muss man haben. Sonst hat man es damals nicht rausgeschafft und schafft es auch heute nicht.
Ein großer Vorteil damals: Es gab Plattenfirmen, die haben Dich gesignt und dann etwas gemacht, das es heute nicht mehr gibt: Artist Development. Das haben die Kids heute überhaupt nicht mehr. Heute gibt es nurmehr diese ganzen Rock-Schools, wo Eltern ihre Kinder reinstecken, 15.000 Euro für ein Semester zahlen und erwarten, dass nachher Rockstars rauskommen. Leute, man kann Rockstar nicht lernen. Konnte man nie und wird man nie können. Bestenfalls wirst Du dann Cover-Musiker auf einem Cruise-Ship oder irgendsowas …

Was muss man denn dann können, wenn man ein Rockstar sein will?

Du musst versuchen, Dein Weltbild, das was Du empfindest, was Du zu sagen hast, über Deine Musik auszudrücken. Und dann noch das Glück haben, dass jemand hören will, was Du zu sagen hast. Dazu musst Du übrigens nicht mal ein Sänger sein oder Songs schreiben. Auch Instrumentalmusiker, die großen Jazzer, Virtuosen – alle haben etwas zu sagen, drücken etwas aus mit ihrer Musik. Das unterscheidet sie von den bloßen Handwerkern.

Reden wir über Politik. Als Ihr angefangen habt, da war der Kalte Krieg, der jeden Moment heiß werden konnte, die Atombombe und ihre Bedrohung war immer da. Wie war es da möglich, sich nicht dauernd zu Tode zu fürchten?

Das war doch viel sicherer damals! Da gab es das Gleichgewicht des Schreckens, alle hatten gleich viele Waffen, keiner würde losschlagen. Heute kannst Du Dir gebrauchte Atomwaffen von irgendeinem rostigen, sowjetischen U-Boot in der Ukraine kaufen oder in Malaysia. Das ist doch viel gefährlicher. Findest Du nicht?

Ok, das ist ein Punkt …

Sogar wenn Du einen Verrückten wie Trump hast – er ist nicht der gefährliche. Das sind die Leute hinter ihm.

Also ist die Angst vor dem großen Krieg bei den Kids heute größer, wo sie all diese Bedrohungsszenarien im Netz haben. Trotzdem drückt keiner mehr seine Angst in Songs aus, wie in den Siebzigern …

Das war ein Überbleibsel aus den Sechzigern, die ganze Antikriegs-Geschichte. Das war spektakulär damals, der heiße Scheiß, Thema immer und überall. Heute ist es spannender, wenn einer auf Youtube Ping-Pong-Bälle hin und herfetzt und dabei ein blödes Gesicht zieht …

Warum eigentlich „Fischer-Z“ und warum auf deutsch geschrieben?

Das ist eine statistische Sache, die „Fishersche z-Verteilung“, eine stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung, wie es Wikipedia nennt. Ich habe davon in meinem Psychologie-Studium gehört und dann einfach die Band danach benannt. Aber das hat natürlich für Rumours gesorgt. Die skurrilste Version, die mir mal zu Ohren kam, war die, dass ich ein australischer Fischer mit deutschen Vorfahren gewesen sei. Nun ja …

Weiter zur Politik: Wie kam es zum Brexit?

Das war ein Klassiker. Ein klassischer Fall von Fehlinformation, viele Messages in den Raum gepufft und keiner kannte sich aus. Und wenn Leute sich nicht mehr auskennen, wenn sie also nicht wissen, was mit ihnen geschieht, dann gehen sie zumeist und wählen die Rechten. Und das ist hier passiert …

Nun, in Österreich sind neuerdings die Grünen in der Regierung …

… ah, dann müsst Ihr Ungarn ein Gegengewicht geben, oder wie?

Eine Frage, die Sie sicher beantworten können: Gibt es einen Zusammenhang zwischen seltsamen Staatslenkern und seltsamen Frisuren?

Sie meinen den Squirrel auf Trumps Kopf? Mich macht das traurig. Ich hab keine Haare mehr am Kopf. Werde also nicht mehr die Welt regieren … Aber Spaß beiseite: Ein Problem unserer Zeit ist, dass die Linken in letzter Zeit keine Charaktere mehr zu bieten hatten, die Rechten aber schon. Die weitaus interessanteren, verqueren, schrägen Figuren sind in letzter Zeit auf der rechten Seite daheim. Und die Leute wählen immer nur Charaktere. Ich meine, klar ist Trump ein Arschloch, aber – er ist interessant. Johnson – ein echter schnöseliger, verkappter Public School Posh – aber unterhaltsam. Und die Linken? Fad, fad, fad …

Wenn John Watts auf Tour geht, stellt er eine Band zusammen oder ruft er einfach ein paar Studiomusiker an?

Das letzte Album ist das „bandigste“ seit langem, wir haben es echt zusammen entwickelt. Die Musiker, sie kommen leider alle aus völlig anderen Ecken Europas, was das Proben unglaublich teuer macht – aber wir sind im Moment wieder eine echte Band. Es ist ein echter Social Club. Die kommen aus Amsterdam, Madrid, Köln, der Drummer ist ein Kroate, der in Antwerpen wohnt … wir treffen uns also immer erst auf Tour und dann gehts auch gleich los. Aber das hält uns spielerisch scharf. Und wir essen dann erstmal viel und zusammen. Fischer-Z hat immer auch sehr viel mit Essen zu tun …

In diesem Sinne Mahlzeit, danke für das Interview, wir freuen uns auf das nächste Mal!

© laut.de

Fischer-Z LIVE in Österreich

„The Swimming In Thunderstorms“ Tour 2020, verschoben auf 2021:
19. November 2021 Dornbirn, Conrad Sohm
20. November 2021 Steyr, Kulturhaus Röda
21. November 2021 Salzburg, Rockhouse
23. November 2021 Wien, WUK

Tickets, die für 2020 gekauft wurden, behalten ihre Gültigkeit. Weitere gibt es unter www.oeticket.com.


Das aktuelle Album „Til The Oceans Overflow“ ist im Oktober 2021 erschienen.