AKUT

Der Sanifair-Kaiser

Aktien? Nie mehr. Brauche ich nicht. Mein Großvater war Trucker und ist noch, zugegebenermaßen illegal, mit über 90 und blasenschwach mit seinem Laster durch Österreich und Deutschland gebrettert. Seine Prostata war nicht schwach, sondern inexistent, also musste er an jeder Raststätte halten, manchmal schaffte er es nach dem Pinkeln kaum zum Laster zurück und ging noch einmal. Er hatte die goldene Ehrennadel von Sanifair, dem größten Kloanbieter on the Road. Opa war der Grund, dass Sanifair wuchs und gedieh. Er pinkelte im Alleingang Sanifair an die Spitze. 50 Cent pro Klobesuch, das ging natürlich ins Geld. Die Fahrt selber lohnte sich für ihn praktisch gar nicht, es war ein Nullsummenspiel. Sanifair bekam von ihm fast soviel wie BP. Natürlich haben wir immer gesagt, er solle mit dem Fahren aufhören, den Lkw-Führerschein zurückgeben und endlich seine Zeit in Wartezimmern von Urologen verbringen. Er war eine Gefahr für den Verkehr. Er sah schlecht, war aber als alter Frauentyp zu eitel, mit Brille zu fahren. Er hatte Gleichgewichtsstörungen, behauptete aber, das sei egal, solange er nur schwindlig wurde, der riesige Lkw aber nicht. Er war nachtblind, fuhr aber ­regelmäßig in der Dunkelheit. Tastete sich von Sanifair-Klo zu Sanifair-Klo vor. Immerhin war er kein Raser. Selten fuhr er schneller als 70 km/h, dafür aber sehr gern links. Kolonnen von Autofahrern hassten ihn. Meistens fuhr er von der linken Spur direkt auf die Autobahnraststätten, und wenn er weiterfuhr, ging’s direkt zurück auf die Überholspur. Opa war ein Horrortrucker. Gleichzeitig dachte ich mir, dass mein Großvater schon auch ein cooler Hund war. Natürlich hätte er vom Gesetz her niemals hinter dem Steuer seines Lasters Platz nehmen dürfen, aber ein befreundeter Kleinkrimineller aus längst vergangenen Prater­zeiten hatte ihm einen gefälschten Pass besorgt und ihn um zwanzig Jahre jünger gemacht. Tatsächlich sah Opa ­jünger aus als 90. Er hatte volles, lockiges Haar und war drahtig. Wahrscheinlich, weil er seine gesamten Lebensflüssig­keiten auf den Sanifair-Toiletten abgab.

Seine wechselnden Frauen­bekanntschaften waren auch deutlich jünger als er, zehn, 20 Jahre. Manche hätte gut seine Tochter sein können. Opa war 1926 auf die Welt gekommen und hatte nach dem Krieg seinen ­ersten Lastwagen gekauft. Damenstrümpfe von Duisburg nach Wien, später Dessous, dann irgendwann auch Tiefkühlgemüse und Friseurbedarf im großen Stil. Trockenhauben und so. In Duisburg hatte er eine Braut und in Wien eine. Und dazwischen, als seine Blase noch intakt war, an jeder Ausfahrt ein Gspusi. Erst mit über 80 begann er, nicht mehr aus amourösen Gründen von der Autobahn abzufahren, sondern aus urologischen. Und da begann er, Sanifair-Bons zu sammeln. Bon um Bon. Man wird es mir nur schwer glauben, aber Sie können jederzeit beim Notar nachfragen. Als Opa starb, bekam ich testamentarisch seine Sanifair-Bons vermacht: 12.568 Bons. Sein Ak­tienpaket, das wertstabil bleibt. Jedes Mal, wenn ich jetzt auf einer Autobahntankstelle oder einer Raststätte etwas einkaufe, kann ich einen seiner Bons eintauschen. Alles ist für mich um 50 Cent billiger. Dank Opa. Und 12.568 Mal werde ich mich an ihn erinnern. Erpinkelte Erinnerungen. Pissed Memories.

Ich habe seine Haarpracht geerbt und sein Sanifair-Vermögen. Freunde von mir haben Aktien­pakete von nebulösen, menschenverachtenden Turbokapitalismus-­Firmen ohne jede Moral, und regelmäßig wird da gejammert über fallende Kurse und Ängste vor weiteren Crashs. Ich bin da ganz entspannt. Sanifair-Bons sind wie Gold. Stabil in schwierigen, turbu­lenten Zeiten.

Den Laster hat übrigens sein kleinkrimineller Freund aus den alten Pratertagen bekommen. Er schmuggelt damit jetzt gefälschte, billige Zahnprothesen nach Österreich und beliefert damit einen windigen Zahnarzt im Speck­gürtel von Wien.

„Schlechte Prothesen. Da kannst du dir genauso gut einen Sanifair-Bon in die Pappn kleben“, sagte er. Er ist auch schon 94 Jahre alt und hat noch alle Zähne. Keine einzige Plombe. So wie mein Opa, sein Freund. Ohne jemals beim Zahnarzt gewesen zu sein, ist er gestorben. Mein Opa hat noch mit einer 72-jährigen Lady in der Schlange beim Sanifair-Eingang vor der Drehstange geflirtet, hat seinen letzten Bon gezogen und ist im Stehen am ­Pissoir gestorben. Er ist nicht ­umgefallen, sondern lehnte starr gegen das Becken. Als wäre er ­eingeschlafen. Den letzten Bon in der Hand.


Dirk Stermann
kolumniert seit Jahren im WIENER, heißt wöchentlich Österreich ­willkommen und ist erfolgreicher Autor.

Foto: Gerald von Foris