AKUT

Durchstarter des Jahres – Die neuen Sexworker

Nie war Ms Sexworker so wertvoll wie heute. Dank neuer Portale entwickelte sich jenseits von Pornhub & Co ein ­neuer, erfrischend sexpositiver Markt.

Text: Manfred Sax / Foto Header: Twitter

Wenn es um Filmtitel geht, war Steven Spielberg immer schon „Crossover“, eine Inspiration für Pornomacher. Kaum lief „Jurassic Park“ im Kino, gab es im Porno auch schon einen kongenialen Ghost – „Jurassic Porking“, letzteres ein Slangwort für Du-weißt-schon-was, jenes simple horizontale Ritual, per se banal, das trotzdem große Freude macht. Aus „Star Wars“ entsprangen die „Star Whores“, und die berühmteste Produktion war wohl das Spin-off zu „Saving Private Ryan“, da ging es um Intimrasur („Shaving Ryans Privates“).

Dass auch Spielbergs Tochter Mikaela (24) Einlass in die horizontale Branche finden würde, kam wie der berühmte Blitz aus heiterem Himmel. Im Februar 2020, der erste Lockdown war noch Zukunftsmusik, berichtete die US-Ausgabe des Boulevardblatts „The Sun“(1), dass die Adoptivtochter von Spielberg und dessen Partnerin Kate Capshaw ein paar Clips auf die Webseite Pornhub geladen hatte, Abteilung Solosex. Im Interview dazu ging es um ihre Oberweite, mit der sie offenbar lange unglücklich war. Nun aber habe sie den Busen als ihren „Moneymaker“ entdeckt und gelernt, die zwei respektablen Dinger zu lieben. Das öffentliche Echo war entsprechend, und selbstverständlich offerierte Daddy Steven sofort Verständnis und Unterstützung.

Im Detail jedoch transportierte die Meldung diverse Missverständnisse, allen voran einen für die Szene typischen Missbrauch. Die Clips wurden nicht von Spielbergs Tochter auf Pornhub geladen, sondern von Piraten, also illegal. Sie selbst hat beim Pornoriesen weder Konto noch Kontrolle, sie verdient dort keinen Groschen, ihre Arbeit wurde simply gestohlen. Und ja, es wäre wünschenswert, die Clips ihrer Performance auch als Arbeit eines Sexworkers zu verstehen – und entsprechend zu konsumieren; an ihrem Arbeitsplatz, der Plattform „ManyVids“, ihres Zeichens das Portal mit dem stärksten einschlägigen Zuwachs.

Wie schon in der Sommer-Ausgabe des WIENER (W440) berichtet: Jede Krise ist auch eine Chance. Im Jahr des global verordneten Hausarrests profitierte klar die Pornobranche, bei Pornhub etwa mehrten sich die Besuche um 24 Prozent, bei einem Prä-Corona-­Tagesschnitt von 115 Millionen Besuchern ist das phänomenal. Ebenso im Aufwind: die Indie-­Szene, die außerdem Kampfbereitschaft signalisierte, allen voran die großartige schwedische Pornoproduzentin Erika Lust(2), Stichwort „faires Wichsen“. Die Lage aus ihrer Sicht: Nie waren Sexworker so wertvoll wie heute, arbeiten aber weiterhin ohne soziale Sicherheiten; die Regierungen zahlen keine Arbeitslose, die Banken geben keinen Kredit. Wichtig daher zunächst die Kontrolle über die eigene Arbeit, des Weiteren eine Korrektur der Konsumentenlage. Das Pornobusiness wird generell vom sogenannten „männlichen Blick“ dominiert (er wünscht, sie spielt), bei Ms Lust wurden von Anfang an (seit 2004) auch Frauen und LGBTQI(3) animiert, sich mit ihrer Sexualität zu befassen, und nicht zuletzt dem Sex zuliebe, denn wie heißt es so nett: It takes two to tango.

Bella French
Foto: Twitter

Somit zurück zu Mikaela Spielberg, diese hatte ihre Erfahrungen mit „ManyVids“ in einem aktuellen Interview(4) als „Reise der Heilung“ dargestellt. Die Probleme (Panikattacken, Depression) waren vorher, nun habe sie als unabhängiger Sexworker, als Produzentin von Solo-Erotik eine solide Identität, die sie mag. Und „ManyVids“ erlebte einen Aufschwung, wie er immer passiert, wenn sich zwischen Mainstream und Planet Porno ein „Crossover“, also ein Brückenschlag ereignet.

„ManyVids“ (MV) wurde 2014 von der kanadischen Business­lady Bella French gegründet, aus einer Not heraus, die häufig erfinderisch macht. Ihr Fashion-Store war nach einer Überschwemmung ruiniert, sie brauchte schnelles Geld und wurde Camgirl. Dazu Ms French: „Das Motiv war Verzweiflung, aber Webcamming entpuppte sich als die beste Sache, die mir je widerfuhr.“(5) Ihre nächsten Schritte waren die für eine gelernte Business-Frau logischen: Schaffung einer Infrastruktur für Sexworkers mittels Webseite, die sich wie Streamingdienste à la Spotify und Netflix finanziert. Eine kleine monatliche Pauschale, und dein ist das Himmelreich. Schwerpunkt Sex, wenn auch interessanter als der von den mächtigen Gratisportalen gebotene „Voyeurs only“-­Service. Die Sexworker haben garantiertes Copyright auf ihre Arbeit, es gibt Platz für Onlineshops und Kampagnen (z. B. gegen Slutshaming), auch Interaktivität ist möglich, die Beziehung zwischen Producer und User eine positive. Ein Umstand, den Porno­star Casey Calvert dem WIENER so vermittelte: „Die Kunden suchen vermehrt den persönlichen Kontakt, sie wollen, dass ich mit ihnen rede. Ich bin heute eine Art Titten-raus-Therapeutin.“(6) Besonders wichtig für Ms French: der Brückenschlag zum Mainstream, also zur gesellschaftlichen Akzeptanz. Es gibt Podcasts, in denen Sexworker Einblicke in ihr Leben gestatten, es gibt ein eigenes MV-Magazin für Mitglieder, und es gibt „MV-Botschafter“, die Sexpositivität promoten. Vielbeachtete Sternstunde etwa ein MV-Interview mit Schauspielerin Coco Austin, Gattin des Rappers Ice-T. Macht in Summe ein Portal, das MV im Vorjahr den Award „Global Web Brand of the Year“ einbrachte.(7)

Ähnlich unterwegs das 2016 ins virtuelle Leben gerufene Portal „OnlyFans“ mit Sitz in London, das ursprünglich von Amateuren mit Bedarf an Zusatzverdienst getragen wurde, heute aber auch von Fitness-Gurus und Musikern bevölkert wird; aufsehenerregend der Einstieg von Rapperin Cardi B mit Hintergrund-Clips zu ihrer Person („Meine Pussy kriegst du nicht zu Gesicht, aber frag mich, wenn du was wissen willst.“)(8).

Der Punkt dieser Portale ist immer eine Demokratisierung der Pornografie. Anstatt einen Großteil des Einkommens an „Mittelmänner“ wie Pornhub & Co zu verlieren, haben die Sexworker komplette Kontrolle über ihr Material und 100 Prozent des Profits. Und wie an diesem Platz gern erwähnt: Sex ist Kommunikation, also gegenseitige Vermittlung von Bedeutung. Die Gemeinschaft der Sexworker vermittelte in diesem ablaufenden Scheißjahr den ultimativen Trost. Höchste Zeit, das auch mal zu honorieren.

Quellen:
(1) www.the-sun.com/entertainment/405226/steven-spielberg-daughter-mikaela-porn-star-erotic-dancer/
(2) www.erikalust.com
(3) Lesbian, Gay, Bisexuell, Geschlechtsidentität (T), Queer, Intersex
(4) www.thedailybeast.com/steven-spielbergs-daughter-mikaela-spielberg-is-a-sex-worker-and-shes-never-been-happier
(5) Zitat aus www.vergemagazine.co.uk/verge-meets-bella-french/
(6) WIENER 440, Sommer 2020.
(7) XBIZ Europa Awards.
(8) HuffPost: www.huffingtonpost.co.uk/entry/only-fans-cardi-b-musicians-on-onlyfans-onlyfans-music_uk_5f353069c5b64cc99fe31152


The Sound of Sex
Hört, hört! Neues aus der Sexküche von Erika Lust: Am 7. 1. 2021 hat ihr Film „ASMR“ Premiere. ASMR steht für Autonomous Sensory Meridian Response, soll heißen, in Ms Lusts Worten: „Klang und Töne gehören zu den mächtigsten sexuellen Stimuli. Ein Umstand, den wir oft ignorieren, weil visuelle Botschaft dominiert.“ Mit dem Film „ASMR“ hat sie unter Mitwirkung der Sexworker Luna Corazon, Nat Portnoy und Maximo akustische Genüsse in den Vordergrund gestellt. Eine spannende Sache.

Foto: Rita Puig-Serra

Info: ASMR bei XConfessions via ErikaLust.com, ab 7. 1. 2021